Applaus und Buh-Rufe Becks Bekenntnis
04.10.2007, 07:22 UhrSPD-Chef Kurt Beck hat sich auf dem ver.di-Bundeskongress in Leipzig zur umstrittenen Reform-"Agenda 2010" bekannt. Er forderte aber in seiner Rede eine Weiterentwicklung der Reformen, die der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder umgesetzt hatte. Die Agenda habe zu einer Million weniger Arbeitslosen geführt, sagte Beck, dessen Rede durch Buh-Rufe und Pfiffe gestört wurde. Er wolle die Linie nicht verlassen, aber die Agenda weiterentwickeln - und dabei werde er nicht "knieweich" werden. Während der Rede wurden von Delegierten Transparente hochgehalten, unter anderem mit der Aufschrift "Hartz IV macht arm".
"Diese Entscheidungen werden gelten"
Zuvor hatte sich Beck bereits auf einer SPD-Veranstaltung in Berlin fest entschlossen gezeigt, die von ihm angestoßenen Arbeitsmarkt-Korrekturen durchzusetzen. Es müsse möglich sein, die als richtig anerkannte Reformagenda fortzuführen, "aber das seine oder andere, was sich als veränderungsnotwendig gezeigt hat, auch zu verändern", sagte Beck zum Applaus der Zuhörer. Der Parteitag Ende Oktober in Hamburg werde auch zu diesen Fragen Entscheidungen treffen, "und diese Entscheidungen werden gelten".
Kein Richtungsstreit
Der Parteichef trat zugleich dem Eindruck eines heftigen Streits mit Vizekanzler Franz Müntefering über die Reform des Arbeitslosengeld I entgegen. Man dürfe aus der Kontroverse über den Umgang mit der "Agenda 2010" keinen Richtungsstreit machen: Es gebe in der derzeitigen SPD-Debatte keine "prinzipiellen Unterschiede", sondern "99 Prozent" Übereinstimmung. Es müsse aber möglich sein, "das eine oder andere" an der damals notwendigen und richtigen Reform-Agenda zu verändern. "Ich finde deshalb, dass es der Sozialdemokratie gut ansteht, eine solche Diskussion, auch in der Offenheit, wie wir es derzeit tun, zu führen."
Zwischen Marktradikalismus und Sozialdemokratie
Beck erinnerte in seiner Rede vor der Historischen Kommission der SPD daran, dass auch die CDU auf ihrem Parteitag eine längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer beschlossen habe. Während die Union sich jetzt darum bemühe, "fast sozialdemokratisch" zu werden, habe sie kurze Zeit davor aus Gründen der "Opportunität der Macht" noch ein marktradikales Programm vertreten. Dies könne sich aber wieder ändern, wenn "das Pendel anders ausschlägt".
Basis steht hinter Beck
Vom linken Flügel der Partei erhielt Beck erneut Unterstützung. SPD-Präsidiumsmitglied Andrea Nahles wies in der "Berliner Zeitung" darauf hin, dass Schröders Agenda im kommenden Jahr fünf Jahre alt werde. "Es macht keinen Sinn, sich ständig zu fragen, ob man sich nun einen Millimeter davon entfernen darf oder nicht", sagte sie.
"Ich stehe voll hinter den Vorschlägen von unserem Parteivorsitzenden Kurt Beck", sagte auch die hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti in der ARD. Soweit sie dies aus anderen Landesverbänden wisse, habe Beck die volle Rückendeckung der Parteibasis. In diesem Sinne äußerte sich auch der Hamburger Landesverband. "Es geht hier nicht um eine Abkehr von der Agenda 2010, die richtig war und eine wesentliche Grundlage für den derzeitigen Aufschwung in Deutschland darstellt. Es geht vielmehr um eine notwendige Fortentwicklung der Reformen", sagte Landeschef Ingo Egloff.
Der linke SPD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit warnte vor einer Demontage des SPD-Vorsitzenden. "Das schadet der ganzen Partei", sagte er der "Bild"-Zeitung. Sein Fraktionskollege Andreas Steppuhn sprach sich sogar für einen Bruch mit Schröders Reformpolitik aus: "Die Agenda muss endlich Vergangenheit sein."
Bütikofer für Revision der Hartz-Gesetze
Auch Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer sprach sich für eine Revision der Hartz-Gesetze aus. "Die angestrebte Balance von Fördern und Fordern wurde von der großen Koalition völlig verschoben. Es gibt vieles, das geändert werden muss", wird er in der Tageszeitung "Die Welt" zitiert. Dazu gehörten die Höhe der Regelsätze oder der Schutz privater Altersvorsorge bei Hartz IV, sagte Bütikofer.
Zugleich kritisierte Bütikofer den ehemaligen Koalitionspartner: "In der SPD rennen zwei Gruppen planlos gegeneinander an", erklärte er. Der Ruf "Hartz IV muss weg" sei Ausdruck von Orientierungslosigkeit.
Quelle: ntv.de