NATO greift Tripolis bei Tag an Bewegung auf politischer Ebene
17.06.2011, 18:08 UhrIn den Konflikt zwischen dem libyschen Machthaber Gaddafi und den Rebellen scheint Bewegung zu kommen. Von Friedensgesprächen will noch niemand reden; Sondierungen könnten es aber allemal sein. Zudem liegen wohl erstmals Beweise dafür vor, dass Gaddafis Anhänger Frauen der Gegner missbrauchen. Zumindest legen das Handy-Videos nahe.
Friedensgespräche zwischen Vertretern der libyschen Rebellen und Abgesandten von Machthaber Muammar al Gaddafi finden offenbar noch nicht statt, wohl aber Sondierungen. Rebellenchef Mahmud Dschibril sagte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem italienischen Außenminister Franco Frattini, sollte es Verhandlungen geben, werde der Nationale Übergangsrat der Rebellen dies "seinen Freunden auf der ganzen Welt mitteilen".
Dagegen hatte der russische Libyen-Gesandte Michail Margelow erklärt, Regierungsbeamte aus Tripolis hätten in mehreren europäischen Hauptstädten Kontakt mit Vertretern aus der Rebellenhochburg Bengasi aufgenommen. Gespräche habe es in Paris, Berlin, Oslo und weiteren Städten gegeben. Der russischen Nachrichtenagentur ITAR-TASS zufolge gab es auch Kontakte in Tunis.
NATO greift Ziele bei Tag an
Unterdessen hat die NATO erstmals in den Mittagsstunden Ziele im Osten von Tripolis bombardiert. Mehrere Explosionen wurden in den Stadtteilen Ain Sara und Tadschura registriert, berichteten Augenzeugen. Zunächst war nicht klar, was getroffen wurde und ob es Opfer gab. Die Flugzeuge des nordatlantischen Bündnisses fliegen ihre Angriffe meist nachts oder in den frühen Morgenstunden.
Die NATO lehnte auch die von einem Gaddafi-Sohn vorgeschlagenen Neuwahlen zur Lösung der Krise in Libyen als "zynisch" ab. NATO-Sprecherin Oana Lungescu sagte: "Es ist schwierig sich vorzustellen, dass nach 41 Jahren, in denen Gaddafi Wahlen, die Verfassung, politische Parteien und Gewerkschaften abgeschafft hat, ein Diktator plötzlich zum Demokraten wird". Statt Worten seien Taten gefragt. Die NATO werde ihre Angriffe fortsetzen und verstärken, bis drei Ziele erreicht seien: das Ende der Attacken gegen Zivilisten, der Rückzug der regierungsnahen Einheiten in die Kasernen und der vollständige Zugang für humanitäre Organisationen. Zuvor hatten bereits die USA den Vorschlag für Neuwahlen abgelehnt und Gaddafi zum Machtverzicht aufgefordert.
Beweise für Vergewaltigungen?
Derweil sollen Videos auf erbeuteten Handys belegen, dass Parteigänger Gaddafis straflos Frauen vergewaltigen. Seit Beginn der Rebellion werfen die Aufständischen dem Gaddafi-Regime vor, systematische Vergewaltigungen als Waffe zum Einschüchtern und Demütigen von Gegnern einzusetzen.
Einer Reporterin des US-Fernsehsenders CNN in Libyen wurde jetzt ein Video von einem Mobiltelefon zugespielt, das von einem Gefolgsmann Gaddafis stammen soll. Darauf ist zu sehen, wie eine Frau von Männern in Zivil sexuell missbraucht und gequält wird. Das berichtete der Sender auf seiner Webseite.
Bei den Männern, die den Dialekt der Hauptstadt Tripolis sprachen, könne es sich um Geheimdienstmitarbeiter oder Milizionäre des Regimes gehandelt haben. Die Vergewaltigungen und Misshandlungen seien auf dem Video in aller Deutlichkeit zu sehen, sagte die Reporterin. Für den Fernsehbeitrag wurde die Aufnahme aber so stark verwischt, dass nichts von dem Geschehen zu erkennen ist. Lediglich die Stimme einer Frau ist zu hören, die schmerzerfüllt schreit, ihre Peiniger mögen von ihr ablassen.
Die Aufständischen werfen dem Regime vor, mit Vergewaltigungen die Bevölkerung in "rebellischen" Landesteilen oder Wohnvierteln einzuschüchtern. In der sehr traditionellen libyschen Gesellschaft steht alles Sexuelle unter Tabu. Vergewaltigungsopfer laufen Gefahr, von den eigenen Angehörigen zusätzlich stigmatisiert zu werden.
Bislang durchbrach die Libyerin Iman al-Obeidi diesen Kreislauf der doppelten Viktimisierung. Sie lief in das Journalistenhotel in Tripolis und erklärte, von Gaddafi-Milizionären auf offener Straße vergewaltigt worden zu sein. Ihre Eltern in der östlichen Stadt Tobruk in dem von den Aufständischen kontrollierten Landesteil standen ihr bei. Die junge Frau hat inzwischen Libyen verlassen. Regimevertreter, unter ihnen Regierungssprecher Mussa Ibrahim, hatten sie als "Prostituierte" beschimpft. Wegen ihres mutigen Auftretens gilt Al-Obeidi heute als Symbolfigur der Aufstandsbewegung.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP