Abtreibungsfrage in den USA Bidens Chance und Trumps größte Gefahr


Eigentlich war die Abtreibungsentscheidung für viele Demokraten ein Schock - aber Biden könnte sie im Wahlkampf entscheidende Hilfe leisten.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Gut ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl in den USA könnte es eine Neuauflage des Duells von 2020 geben: Biden gegen Trump. Doch es gibt ein neues Thema, das dem Herausforderer einen Strich durch die Rechnung machen könnte - und es sind nicht die Anklagen.
"It's the economy, stupid!" war der Slogan, mit dem Bill Clinton vor rund 30 Jahren zum US-Präsidenten wurde. Das bedeutet so viel wie: "Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf!" - und dieser Satz ist so etwas wie eine ewige Weisheit geworden, die für alle folgenden Wahlkämpfe wichtig blieb. Jüngstes Beispiel war Donald Trump, der versprach, Jobs zurückzubringen und Freihandel einzuschränken. Doch wird 2024 eine neues Thema eine entscheidende Rolle spielen und der Wirtschaft Konkurrenz machen: Die Abtreibungsfrage. Sie könnte die Chancen von Präsident Joe Biden erhöhen, trotz allem eine zweite Amtszeit zu erreichen.
Denn es sieht nicht besonders gut für den 80-Jährigen aus. Sollte es tatsächlich zur Neuauflage des Duells von 2020 kommen, also Biden gegen Trump, dann ist keineswegs gesagt, dass sich der Demokrat durchsetzen wird. Trump polarisiert zwar noch immer und treibt auch seine Gegner in Scharen an die Urne. Doch löst Biden weiterhin keine Begeisterung aus.
Sein größtes Problem bleibt sein Alter. Am Ende der zweiten Amtszeit wäre er 86 und er macht auf viele Amerikaner schon jetzt gelegentlich den Eindruck, nicht mehr auf der Höhe zu sein, etwa durch gelegentliches Stolpern, Stürze und sein Stottern. Ob berechtigt oder nicht, seine Beliebtheitswerte sind schwach, fast genauso wie die von Trump.
Demokraten nach Entscheidung geschockt
Die Wirtschaft fällt zudem zumindest vorerst als Wahlkampfhelfer aus. Inflation und Pandemie haben ihre Spuren hinterlassen. Zwar gibt es viel Licht am Horizont - starkes Jobwachstum, sinkende Inflation und gute Aussichten dank immenser Investitionen in Infrastruktur, erneuerbare Energien oder auch die Chip-Industrie. Doch darin ist noch viel Zukunftsmusik. Im Hier und jetzt spüren viele Normalbürger vor allem hohe Sprit- und Lebensmittelpreise. Und das ist genau der Nährboden für die Wut und den Frust, den Trump braucht.
Dass nun ausgerechnet die Abtreibungsfrage den Demokraten Hoffnungen für die nächste Präsidentschaftswahl macht, hat eine gewisse Ironie. Denn als der Oberste Gerichtshof vor gut einem Jahr das Recht auf Abtreibungen aus der Verfassung strich, war das ein Schock für das liberale Amerika. Fast 50 Jahre lang hatte dieses Recht bestanden, das nach den Beteiligten eines Prozesses 1973 unter dem Namen "Roe gegen Wade" in die Geschichte eingegangen war. Erst durch dessen Ende aber ist das Thema wieder zu einem heißen Eisen geworden, das Wahlen mitentscheiden kann.
Die einstige Regelung ging sehr viel weiter als beispielsweise der deutsche Paragraph 218, der Abtreibungen in den ersten drei Monaten lediglich straffrei stellt und streng reglementiert. In den USA waren Abbrüche nach "Roe gegen Wade" ein Recht bis zum Ende des zweiten Drittels der Schwangerschaft. Jahrzehntelang hatten sich die Republikaner und andere konservative Organisationen sich für ein Ende von "Roe gegen Wade" stark gemacht. Für sie war das Urteil am 24. Juni 2022 Grund zum Jubel.
Seitdem dürfen die Bundesstaaten wieder jeweils eigene Regelungen erlassen - vom totalen Verbot bis zur weitgehenden Erlaubnis. In mehreren Bundesstaaten gab es seitdem Volksabstimmungen. Laut dem Portal Axios haben mittlerweile zumindest 21 Staaten Abtreibungen stark eingeschränkt. Ausnahmefälle gelten mitunter nur bis zur sechsten Lebenswoche des Kindes - wenn viele Mütter noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Überraschend war jedoch, dass auch konservativ geprägte Staaten wie Kansas und Kentucky mehrheitlich gegen ein vollständiges Verbot stimmten. Zuletzt sprachen sich auch die Wähler von Ohio gegen ein Verbot aus - einem Staat, den Trump bei der letzten Wahl mit acht Prozentpunkten Vorsprung gewonnen hatte.
Auch viele Republikaner für Abtreibungsrechte
Das ist für die Republikaner ein Problem, denn sie vertreten als Partei eine viel radikalere Position als die Mehrheit der Gesellschaft. Tonangebend in der Partei sind die Hardliner, die gegen jeden Abbruch sind. Damit vertreten sie aber innerhalb der gesamten US-Gesellschaft eine Minderheitenmeinung. Umfragen zufolge ist eine Mehrheit von rund 60 Prozent dafür, dass Abtreibungen immer oder in den meisten Fällen legal sein sollten. Unter den Republikanern sind es immerhin knapp 40 Prozent, wie Zahlen des Statistikinstituts Pew zeigen. Und das Thema ist hochemotional.
Was das bedeuten kann, zeigte sich bei den Midterm-Wahlen im Herbst 2022. Angesichts von Bidens Unbeliebtheit und der hohen Inflation wurde ein "rote Welle" erwartet, also ein klarer Sieg der Republikaner. Stattdessen setzte es eine herbe Enttäuschung. Die Demokraten verteidigten ihre Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus gewannen die Republikaner nur wenige Sitze hinzu. Trump hatte sich massiv in den Wahlkampf eingemischt und so auch seine Gegner motiviert, wählen zu gehen. Doch der zweite große Antrieb war für viele Demokraten die Abtreibungsfrage.
Wie CNN unter Berufung auf Trumps Umfeld berichtet, ist diesem das Problem voll bewusst. Daher versucht er einer klaren Positionierung auszuweichen. Ist er zu konservativ, verliert er womöglich moderatere Republikaner, insbesondere auch Republikanerinnen. Ist er zu lax, könnte er beispielsweise die evangelikalen Christen verprellen, eine wichtige Unterstützergruppe. Doch im eigentlichen Wahlkampf wird er das nicht durchhalten können.
Quelle: ntv.de