Sarah Palin Bissig wie ein Barrakuda
29.08.2008, 19:26 UhrKaum jemand hatte sie auf der Kandidatenliste für das Vizeamt an der Seite des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers John McCain. Doch bringt Alaskas Gouverneurin Sarah Palin Eigenschaften mit, die dem Senator aus Arizona im Rennen um das Weißen Haus durchaus helfen können: Die 44-jährige Mutter von fünf Kindern - ihr jüngstes Kind ist vier Monate alt - gilt als stramm konservativ, ist entschiedene Abtreibungsgegnerin und Mitglied der Waffenlobby NRA, was bei der republikanischen Basis gut ankommt. Zugleich genießt die erste weibliche Gouverneurin Alaskas einen Ruf als Reformerin und entschiedene Kämpferin gegen Korruption. Den riesigen Staat im äußersten Nordwesten regiert sie indes erst seit 2006.
Als zupackend gilt Sarah Palin auch: Ihren Spitznamen "Sarah Barracuda", den sie wegen ihrer aggressiven Spielweise im Basketball-Team an der Highschool bekam, benutzen politische Gegner noch heute. Mitte der 80er Jahre gewann Palin einen Schönheitswettbewerb. "Sie sieht immer noch großartig aus", schrieb unlängst die renommierte Polit-Webseite realclearpolitics.com. "Und höllisch schlau ist sie auch." Eine Mischung, die sie bei dem Menschen in Alaska höchst beliebt macht: Palin kommt auf Popularitätswerte von um die 80 Prozent.
Journalismus und Politik
1964 im US-Staat Idaho geboren, zog ihre Familie nach Alaska, als Sarah Palin noch ein Kleinkind war. Sie studierte Journalismus und Politikwissenschaften. In ihrer Heimatstadt Wasilla wurde Palin Bürgermeisterin, dann übernahm sie den Posten als Ethikbeauftragte von Alaskas Öl- und Gaskommission, die die Ausbeutung der Bodenschätze verwaltet. In dieser Position deckte sie mehrfach Interessenkonflikte von Mitgliedern des Gremiums auf. Umweltschützer kritisieren ihre Unterstützung für mehr Öl-Bohrungen in Alaska und ihren Widerstand dagegen, den Eisbären auf die Liste der bedrohten Arten zu setzen.
Hamburger aus Elchfleisch
"Damit reißt McCain das Mantra vom Wandel Obama glatt aus den Händen", jubelte eine Kommentatorin des konservativen US- Fernsehsenders FoxNews bei der Nominierung Palins. In der Tat bietet Palin einige wichtige Ergänzungen für den Wahlkampf des Senators aus Arizona. Während Obama seine Schwachstellen wie seine relative politische Unerfahrenheit und mangelnde außenpolitische Erfahrung durch seinen Vize Joe Biden wettzumachen versucht, schlägt sein republikanischer Rivale mit Palin augenscheinlich dieselbe Strategie ein.
Immer wieder hatte McCains Alter für Skepsis gesorgt: Würde er gewählt, wäre er der beim ersten Amtsantritt betagteste Präsidenten in der Geschichte des Landes. Mit 44 ist Palin drei Jahre jünger als Obama. Sie ist aktiv, jagt, fischt und fährt mit Schneemobil und Hundeschlitten durch die wilden Weiten ihres Bundesstaates, läuft Langstrecken und liebt Hamburger aus Elchfleisch.
Dass sie auf Lebenszeit Mitglied der US-Waffenlobby ist, regelmäßige Kirchgängerin und strikte Abtreibungsgegnerin, könnte ein wichtiger Trumpf sein im Ringen um die Stimmen der religiösen Rechten, die sich mit McCain wegen mancher liberalen Position nicht recht erwärmen können. Der Kampf gegen Korruption in ihrem Heimatstaat brachte ihr den Ruf der Sauberfrau ein. Voriges Jahr trat ihr ältester Sohn Track in die Armee ein, obwohl es keine Wehrpflicht gibt. In wenigen Tagen zieht der 19-Jährige in den Irak-Krieg.
Den Staat will Palin schlanker machen, Verschwendung eindämmen - alles Punkte, an denen sich die konservative Seele wärmen kann. Dazu hat sie nicht den Makel, zum Washingtoner Establishment zu gehören, was McCain mit seinem Vierteljahrhundert im Kongress angekreidet wird.
Eine Frau für enttäuschte Clinton-Anhänger
Und sie ist eine Frau. "Enttäuschte Anhänger Hillary Clintons, die erwägen, zu McCain überzulaufen, haben jetzt einen Grund mehr", schreibt das US-Magazin "Politico". Karl Rove, der als Vater republikanischer Wahlsiege der jüngeren Vergangenheit gilt, analysiert: Palin spreche sowohl angesichts ihrer Karriere unabhängige städtische Frauen an, mit ihrer Familien- und Naturverbundenheit aber auch Wählerinnen auf dem Lande. "Sie ist die beste Wahl", sagte die Präsidentin des konservativen Eagle Forums, Phyllis Schlafly, der "Washington Times". "Sie hat in allen wichtigen Fragen genau die richtige Position."
Was wie die perfekte Wahl aussieht, hat möglicherweise aber auch einen großen Haken für McCain: Die Wahl Palins "beraubt die Republikaner eines ihrer effektivsten Argumente gegen Barack Obama - dass ihm Erfahrung fehlt", schreibt "Politico". Als Vize-Präsidentin müsste sie den wichtigsten Posten der Welt übernehmen, sollte McCain etwas zustoßen. "Ist sie darauf vorbereitet?", fragte ein skeptischer CNN-Moderator. "Das ist eine Frage, die das McCain-Lager wohl beantworten muss", sagte der republikanische Stratege Alex Costallanos.
Aber Wahlbeobachter haben noch einen Pluspunkt ausgemacht: Möglicherweise wird sich der demokratische Vize-Kandidat Joe Biden, für seine Angriffsfreude bekannt, im direkten Schlagabtausch mit Palin zurückhalten, meinte ein Kommentator. Schließlich steht der 65- Jährige im Ruf, ein echter Gentleman zu sein.
Demokraten kalt erwischt
Die Demokraten scheint die Wahl komplett auf dem falschen Fuß erwischt zu haben. "Frau Palin kam nicht nur für viele Republikaner als Überraschung, sondern auch für das Obama-Lager", schreibt die "New York Times". Die Mitarbeiter des schwarzen Senators seien schon emsig dabei gewesen, Werbespots gegen Mitt Romney zu produzieren, der vielen als aussichtsreichster Vize-Kandidat galt. "Aber über die Gouverneurin von Alaska hatten sie kaum Material."
McCain und seine Tochter
Politologen sprechen von der bisher größten Überraschung des Wahlkampfes. Michael Lindsay von der Rice University findet den Schritt "strategisch genial": McCain habe einerseits einen reformorientierten Vize benötigt, habe andererseits auch dringend die religiösen Republikaner ansprechen müssen. Auch Chip Hanlon von Delta Global Advisers lobte die Wahl. Dies sei nicht nur strategisch zu sehen, sondern weil Palin "wirklich gescheit" sei. Dennis Goldford von der Drake University warnte jedoch, dass damit noch einmal das Alter des 72-jährigen McCain betont werde. Es sehe nun so aus, "als ob McCain und seine Tochter" ins Rennen zögen.
Quelle: ntv.de