Politik

Afghane verzweifelt nach Absage"Bitte, Herr Dobrindt, bleiben Sie ein Mensch!"

17.12.2025, 12:07 Uhr
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Im pakistanischen Peshawar sammeln sich zur Ausreise gezwungene afghanische Flüchtlinge. Omar Ahmadi und seiner Familie droht ebenfalls die Abschiebung in den Taliban-Staat. (Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt nimmt Visa-Zusagen für Menschen aus Afghanistan zurück. Das trifft auch ehemalige Mitarbeiter deutscher Projekte, darunter Omar Ahmadi und seine Familie. Aus Pakistan schildert Ahmadi seine verzweifelte Lage.

Seine Zeit läuft ab. Nur noch bis Jahresende darf Omar Ahmadi (Name geändert) mit seiner Familie in der Unterkunft in Pakistan bleiben. Der Afghane wartet dort seit dem Sommer 2024 auf ein Visum für Deutschland. Doch er gehört zu den mehr als 600 Menschen, die Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) trotz vorheriger Zusagen nicht einreisen lassen will. Ahmadi hat seine Absage kurz vor dem Interview mit RTL/ntv und dem "Stern" erhalten. Dabei war er nur wegen der Visa-Versprechen aus Deutschland mit seiner Frau und den beiden Kindern aus Afghanistan nach Pakistan gereist.

Ahmadi hat für Deutschland in Afghanistan Projekte durchgeführt, allerdings war er nicht direkt bei der Bundesregierung beschäftigt, deshalb wird er heute nicht mehr als Ortskraft anerkannt. An den Drohungen der Taliban gegen sein Leben ändert das nichts. RTL/ntv und "Stern" haben mit Ahmadi per Videoschalte gesprochen. Eine Übersetzerin hat das Gespräch gedolmetscht. Ahmadi wendet sich in einem verzweifelten Appell an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt.

Herr Ahmadi*, vor 16 Monaten haben Sie eine Aufnahmezusage der deutschen Regierung erhalten und sind deshalb aus Afghanistan nach Pakistan ausgereist. Was war das für ein Gefühl?

Wir waren überglücklich über die Zusage. Die Taliban haben mich und meine Familie bedroht und eingeschüchtert. Sie haben uns immer stärker unter Druck gesetzt. Meine Frau, meine Tochter und mein Sohn waren sehr glücklich, als wir damals in Islamabad ankamen. Wir hatten die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit in Deutschland.

Wie haben Sie für Deutschland in Afghanistan gearbeitet?

Seit 2016 habe ich Forschungsprojekte für die deutsche Bundesregierung in Afghanistan durchgeführt. Ich war im direkten Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und dessen Partnerorganisationen in Afghanistan. Meine Mitarbeiter wurden von den Taliban bedrängt, einer wurde verhaftet. Das droht auch mir und meiner Familie, wenn wir zurückkehren.

Wie wurden Sie persönlich bedroht?

Angefangen hat es damit, dass die Taliban uns viele Fragen gestellt haben. Wie viele Leute arbeiten bei euch? Wie heißen sie? Wann kommen sie zur Arbeit und wann gehen sie wieder? Wo wohnen Sie? Sie wollten wissen, wie viel Geld wir für Projekte erhalten haben. Nach meiner Ausreise nach Pakistan habe ich dann Anrufe bekommen, dass mir etwas Schlimmes passiert, wenn man mich irgendwo erwischt. Ich habe große Angst.

Nun haben auch Sie eine Absage für eine Aufnahme bekommen.

Wir haben alle große Angst. Wir haben den Deutschen vertraut. Jetzt lassen Sie uns im Stich. Zum Jahresende droht uns die Abschiebung zurück nach Afghanistan. Jeder dort weiß, dass wir für Deutschland gearbeitet und in Pakistan auf ein Visum gewartet haben. Das macht es doppelt gefährlich für uns. Die Ungewissheit ist vor allem für meine Kinder sehr, sehr schlimm. Wir sind verzweifelt.

Sie befinden sich derzeit noch an einem sicheren Ort westlich der Hauptstadt Islamabad. Wie lange können Sie dort bleiben?

Neulich wurden mehr als 200 Menschen von pakistanischen Sicherheitskräften verhaftet und zurück nach Afghanistan gebracht. Wir selbst dürfen maximal bis Ende Dezember hier im Haus bleiben. Der Druck von der pakistanischen Seite wird immer größer, die Polizei kann jeden Moment kommen und uns über die Grenze nach Afghanistan bringen. Wir haben die deutsche Regierung deshalb um Hilfe gebeten. Es kam nie eine Antwort.

Wie verläuft der Alltag Ihrer Familie in dem Safe House?

Am Anfang war es ein bisschen leichter, da konnten wir zumindest noch selbst das Haus verlassen und einkaufen gehen. Inzwischen haben wir Angst, dass wir verhaftet werden, sobald wir einen Schritt vor die Tür setzen. Wir gehen deshalb nicht mehr raus, sprechen mit niemandem, Mitarbeiter kaufen für uns ein. Langsam geht uns auch das Geld aus, das wir aus Afghanistan mitgebracht haben. Andere Familien hier können sich kaum noch eine Mahlzeit leisten. Von allen Seiten werden wir aufgefordert, sofort zu verschwinden. Aber wir können nicht einfach zurück.

Was tun Sie den ganzen Tag?

Ich kümmere mich vor allem darum, dass meine Kinder hier nicht durchdrehen. Und wir selbst auch nicht. Meine Tochter ist neun Jahre alt, sie versteht nicht, was passiert. Ich erkläre ihr in einfacher Kindersprache, warum andere nach Deutschland durften, wir aber nicht. Ich sage ihr, dass es deutsche Regeln sind, Paragrafen. Aber ich verstehe selbst nicht, warum einige Menschen über das Programm aufgenommen werden und andere nicht. Niemand von uns wusste, in welchem Programm er ist.

In Deutschland gab es viele islamistische Terroranschläge, deshalb gibt es die Angst, dass auch Terroristen aus Afghanistan einreisen. Können Sie das nachvollziehen?

Wir wissen, dass es viele Rechtsextremisten in Deutschland gibt. Sind für mich deshalb alle Deutschen rechtsextrem? Nein, natürlich nicht. Ich habe jahrelang für Deutschland gearbeitet und habe hier mein Leben riskiert. Es gab vor der Zusage lange Prüfungen meines Falls. Warum sollte ich irgendetwas Schlimmes in Deutschland tun?

Was droht Ihnen jetzt, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Ich kann nicht dorthin zurück. Es ist viel zu gefährlich. Es gibt geheime Listen über ehemalige Mitarbeiter der Deutschen und anderer Nationen. Ich kenne Leute, die zurückgekehrt sind und sofort verhaftet wurden. Niemand weiß, wo sie heute sind. Die Taliban tun so, als würde uns nichts passieren. Aber für uns ehemalige Helfer von Deutschland ist es sehr gefährlich.

Fürchten Sie, dass Sie getötet oder gefoltert werden?

Ich denke, ich habe genug über meine Ängste gesprochen. Natürlich fürchte ich mich vor dem Tod in Afghanistan.

Was wurde Ihnen bei der Zusage Ihrer Ausreise versprochen?

Wir haben 2024 eine Zusage gehalten, dass wir über ein Programm der Bundesregierung ausreisen können. Wir haben erst viel später erfahren, dass wir nur eine Aufnahmezusage nach Paragraf 22 des deutschen Aufenthaltsgesetzes erhalten haben …

… diese werden inzwischen als politische Willensbekundungen ohne echte Rechtsverbindlichkeit gewertet …

… diese Zusage wirkt heute wie eine Absage. Das war damals aber überhaupt nicht verständlich für uns. Sonst wären wir niemals nach Pakistan ausgereist. Es hat uns sehr geschockt.

Sie wussten bei der Ausreise nicht, dass es keine Garantie auf eine Einreise gibt?

Für meine Mitarbeiter waren es immer sichere Zusagen gewesen. Deswegen haben wir auch gedacht, dass das vertrauenswürdig ist. Nur deswegen sind wir ja damals nach Islamabad gereist, um unsere Visumunterlagen zu erhalten. Wir haben diese Zusage erhalten, weil es in Afghanistan für uns lebensbedrohlich ist. Wir sind auch Menschen. Wir sind vom Tod bedroht. Und wir haben Rechte. Daran ändert doch eine neue deutsche Regierung nichts. Und jetzt bricht Deutschland diese Zusage einfach, weil es kein politisches Interesse mehr an uns gibt?

Was würden Sie Bundesinnenminister Alexander Dobrindt gern sagen?

Bitte, Herr Dobrindt, bleiben Sie ein Mensch. Sie entscheiden über Menschenleben. Lassen Sie Ihre politische Sicht beiseite und denken Sie daran, dass auch wir Rechte haben. Wir hatten riesiges Vertrauen in Deutschland.

Wie viel Hoffnung auf eine Ausreise nach Deutschland haben Sie noch?

Wir vertrauen der Regierung nicht mehr. Aber ich hoffe, dass sich die Deutschen irgendwann doch noch an die Regeln halten, die sie selbst gemacht haben. Und ich hoffe jetzt, dass die deutsche Bevölkerung uns hilft! Bitte, helfen Sie uns!

*Name von der Redaktion geändert

Mit Omar Ahmadi sprachen Julius Betschka und Stefan Wittmann

Quelle: ntv.de

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