Laufzeitverlängerung und Atomsteuer Brüderle erwartet heißen Herbst
13.08.2010, 13:27 UhrDie Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland könnte möglicherweise nur um weitere zehn Jahre verlängert werden. In diesem Vorhaben wird Umweltminister Röttgen von den Ministerien für Inneres und Justiz unterstützt. Zudem eröffnet Wirtschaftsminister Brüderle die Debatte über eine Alternative zur planten Brennelementesteuer. Für diesen Fall droht die SPD vorsorglich mit Verfassungsklage.
Im Streit um die Zukunft der Kernkraft in Deutschland hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) Unterstützung aus dem Innen- und dem Justizministerium erhalten. Beide Ministerien hielten nur eine Verlängerung der Laufzeiten um höchstens zehn Jahre für möglich, berichtet die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Regierungskreise. Andernfalls wäre eine Zustimmung des Bundesrates nötig, der eine Verlängerung verweigern würde.
Hintergrund dieser Einschätzung sind die veränderten Mehrheiten im Bundesrat. Seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen haben Union und FDP in der Länderkammer keine Mehrheit mehr. Bundesländer, in denen SPD, Grüne oder Linkspartei regieren, würden aber eine Laufzeitverlängerung nicht mittragen. Die Bundesregierung möchte die Atom-Entscheidung daher ohne den Bundesrat durchsetzen. Nach Auffassung von Innen- und Justizministerium sei dies aber nur bei einer "moderaten" Verlängerung der Atom-Laufzeiten möglich.
Süddeutsche Länder stellen sich quer
Sowohl Innen- als auch Justizministerium prüfen den Angaben zufolge derzeit, was "moderat" konkret bedeutet - unter welchen Bedingungen die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie also ohne Mitsprache des Bundesrats rückgängig machen kann. Es zeichne sich ab, dass eine Laufzeitverlängerung in zweistelliger Höhe ohne Zustimmung der Länderkammer wohl kaum verfassungsmäßig sei, hieß es in Regierungskreisen. Die Zehn-Jahres-Grenze sei das Maximum, manche Experten hielten sogar nur sieben oder acht Jahre für denkbar. Das allerdings läge deutlich unter den Forderungen, die zuletzt aus der Union laut geworden waren. Vor allem süddeutsche Bundesländer wollen die Atomreaktoren weit mehr als nur zehn Jahre länger laufen lassen.
Auch die Atomindustrie geht derzeit von einer Mindestlaufzeitverlängerung von 15 Jahren aus. Für diesen Fall sollen die vier großen Energiekonzerne der Bundesregierung eine Zahlung von 30 Milliarden Euro angeboten haben. Eon, RWE, EnBW und Vattenfall wollten damit die Einführung einer Brennelementesteuer verhindern, berichteten mehrere Zeitungen. Die Konzerne fürchten, dass diese Steuer abhängig von der jeweiligen Regierung künftig noch erheblich erhöht werden könnte. Eon bezeichnete die Berichte als reine Spekulation.
Brüderle erwartet "heißen Herbst"

Wirtschaftsminister Brüderle versteht die Ängste und Nöte der Kraftwerksbetreiber.
(Foto: picture alliance / dpa)
Parallel zur Laufzeitdebatte stellen erstmals Koalitionspolitiker offen die von der Regierung geplante Brennelementesteuer in Frage. Neben Unionsfraktionsvize Michale Fuchs (CDU) votiert auch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) für Alternativen, wie sie die großen Stromkonzerne anstreben. "Wir haben in der Haushaltsklausur lediglich beschlossen, dass wir die Bennelementesteuer als ein Element zur Haushaltskonsolidierung einbringen", sagte Brüderle in Radolfzell am Bodensee. Dieser Beitrag zur Deckung des Bundeshaushalts müsse aber nicht zwangsläufig durch dieses Instrument erbracht werden. Auch andere Lösungen seien vorstellbar. "Das gibt eine spannende Diskussion im Herbst", sagte Brüderle mit Blick auf die dann anstehende Vorstellung von Eckpunkten eines Energiekonzeptes der Regierung. Zuvor seien noch etliche Gespräche nötig.
Fuchs setzt er wie auch die Energiekonzerne auf eine gemeinsame Vertragslösung. Die Brennelementesteuer nennt er "angreifbar", gegen diese könne geklagt werden", sagte Fuchs der WAZ-Mediengruppe. Zudem könnte eine andere Koalition die Steuer erhöhen, so dass der Betrieb von Kernkraftwerken damit unrentabel werde, sagte Fuchs.
SPD droht mit Verfassungsklage
Die SPD kündigte bereits vorsorglich an, sie werde vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, falls die schwarz-gelbe Koalition die Brennelementesteuer aufgibt und auf den Industrievorschlag eingeht. Das sagte Fraktionsvize Ulrich Kelber der "Financial Times Deutschland". Bei dem Fondsmodell der Kraftwerksbetreiber werde der Bundestag entmündigt, weil die Regierung kein Gesetz auf den Weg bringe, sondern einen Vertrag schließe. Künftige Regierungen und Bundestage würden mit dem Vertrag in unzulässiger Weise gebunden.
Kelber sieht zudem die Unabhängigkeit der Atomaufsicht gefährdet, wenn sie immer im Hinterkopf haben müsse, dass durch die Schließung eines Kernkraftwerks dem Staat hohe Millionenbeträge verloren gingen. Sie könne dann nicht mehr allein nach Sicherheitskriterien entscheiden. Man könne auch nicht Reaktoren als unterschiedlich sicher klassifizieren, aber selbst bei den unsichersten die Laufzeiten verlängern. Die Gewinne aus der Laufzeitverlängerung betrügen bis zu 12 Milliarden Euro jährlich, sagte Kelber.
Eon-Chef wettert über die Steuer
Dieser Auffassung hatte Eon-Chef Johannes Teyssen energisch widersprochen. "Unsere Unternehmen und diese Branche insgesamt ist kein Füllhorn oder eine ewig sprudelnde Quelle für Investitionen, Ausbildungsstellen, Ertrags- und Gewerbesteuern und neuerdings auch für Haushaltskonsolidierungen." Diese Quelle könne sehr wohl versiegen, sagte der Manager am Mittwoch bei der Bekanntgabe der Halbjahreszahlen seines Unternehmens. Die Brennelementesteuer bezeichnete Teyssen als eine "rein fiskalpolitische Kopfgeburt, einen unsinnigen Weg". Allein für Eon würde die geplante Steuer mit bis zu 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen.
An die Stromverbraucher lassen sich die neuen Belastungen durch die Atomsteuer kaum weitergeben, weil Atomstrom für die Preisbildung an der Börse nicht maßgeblich ist.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts