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Gipfel-Angebot an Bundesländer Bund will Grenzschutz ausweiten und schnelle Verfahren

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Verdachtsunabhängige Kontrollen in allen Grenzregionen könnten illegale Einreisen begrenzen.

Verdachtsunabhängige Kontrollen in allen Grenzregionen könnten illegale Einreisen begrenzen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Vor dem Migrationsgipfel verweigert der Bund den Ländern zwar weiterhin mehr Geld, bietet aber Ideen zur Begrenzung der Zuwanderung an: darunter mehr Schleierfahndungen sowie schnellere Asyl- und Abschiebungsverfahren. Die Kanzleramts-Vorschläge könnten in den Ampel-Fraktionen für Unmut sorgen.

Vor dem Migrationsgipfel am Mittwoch zeichnet sich weiter keine Einigung über die von den Ländern geforderte Finanzbeteiligung des Bundes an den Flüchtlingskosten ab. Die Bundesregierung will aber Länder und Kommunen entlasten, indem die Zahl der Migranten heruntergefahren sowie Asyl- und Abschiebungsverfahren beschleunigt werden. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit dem Bund soll am frühen Mittwochnachmittag beginnen.

Die Regierungsfraktionen werden aber jetzt schon hellhörig: Die Vorschläge des Bundes an die Länder sind in der Koalition nicht abgestimmt. Bundeskanzler Olaf Scholz wollte sich am Dienstagnachmittag im Anschluss an seine Europarede in Straßburg an seine in Berlin zusammengekommene SPD-Fraktion wenden. Die Abgeordneten wollten "natürlich wissen, auf was sich möglicherweise die Bundesregierung mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten verständigen wird", mahnte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Dienstagnachmittag an, den Bundestag einzubeziehen.

Rückkehr der Grenzkontrollen

Für die SPD nehmen am Gipfel neben Scholz und den sieben sozialdemokratischen Länderchefs mindestens auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Sozialminister Hubertus Heil teil. Weitere Kabinettsmitglieder wurden noch nicht offiziell benannt. Die Grünen sind beim Migrationsgipfel Stand Dienstag nur durch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann vertreten. Die Fraktions- und Parteispitze wird sich womöglich überraschen lassen müssen, was die eigene Bundesregierung da vorschlägt. Doch die Ampel ist ohnehin uneins: Grünen-Chefin Ricarda Lang hatte sich bereits dafür ausgesprochen, den Ländern bei der Frage der Finanzierung entgegenzukommen - was das Kanzleramt sowie der FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner bisher partout ablehnen.

Das Papier birgt tatsächlich Konfliktpotenzial auch für die Ampel: "Aufgrund der derzeitigen Dynamik des Migrationsgeschehens wird die Schleier­fahndung an allen deutschen Binnengrenzen vorgenommen und lageabhängig intensiviert", heißt es in dem Text. Und: "Lageabhängig wird der Bund das im Verhältnis zu Österreich bestehende Grenzsicherungskonzept auch an anderen Binnen­grenzen Deutschlands etablieren." Allein in den ersten drei Monaten 2023 hat die Bundespolizei 20.000 illegale Grenzübertritte festgestellt, etwa 7000 mehr als im ersten Quartal des Vorjahres. Da die Grenzen im Schengen-Raum aber grundsätzlich offen sind, kommen die meisten Geflüchteten unbeobachtet ins Land.

Dublin-Regelung durchsetzen

Irreguläre Grenzübertritte sollen nach Vorstellung des Kanzleramts besser erkannt und die aufgegriffenen Menschen dem Land zugewiesen werden, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben. Dem - dysfunktionalen - Dublin-Abkommen zufolge sind diese Länder für die Asylanträge der Migranten zuständig. Das Problem: Schleierfahndungen in Form faktischer Grenzkontrollen sind eigentlich nur anlassbezogen erlaubt und stehen immer wieder als diskriminierend in der Kritik, weil die Beamtinnen und Beamten vor allem Menschen mit vermeintlich ausländischem Aussehen kontrollieren.

Ein weiterer Ansatz zur Begrenzung der Zuwanderung: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) soll schneller und systematischer über an den Grenzen aufgegriffene Menschen informiert werden, sodass im Dublin-Abkommen vorgegebene Fristen zur Rücküberführung an die zuständigen EU-Länder besser eingehalten werden. Andernfalls wird nämlich Deutschland für diese Menschen zuständig. Zudem will der Bund sich stärker an Charter-Flügen für derartige Rückführungen ins EU-Ausland beteiligen.

Schnellere Asylverfahren

Ferner will der Bund auf beschleunigte Asylverfahren hinwirken. Dabei geht es insbesondere um Fragen der Digitalisierung und Vereinheitlichung von Dokumenten und Verwaltungsakten. Hierzu will der Bund auch das BaMF ertüchtigen, damit Asyl-Antragsteller binnen vier Wochen eine erste Anhörung bekommen. Für diesen Zeitraum schlägt der Bund vor, die Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen zu belassen und nicht auf die Kommunen zu verteilen. So könnten aussichtslose Fälle gar nicht erst in die kommunale Versorgungszuständigkeit fallen. In Zusammenarbeit mit den Ländern will Berlin zudem Asylverfahren an den Gerichten auf höchstens sechs Monate beschleunigen, wofür aber die Länder aus eigener Tasche die Gerichte besser ausstatten müssten.

Ebenfalls eine finanzielle Entlastung für Kommunen: Weil immer öfter Migranten, die einen Anspruch auf Geldleistungen haben, mangels Wohnraum in Gemeinschaftsunterkünften mit Vollverpflegung verbleiben müssen, erhalten sie eine Doppelleistung. Das soll auf dem Gesetzweg künftig verhindert werden. Allerdings sinkt damit auch der Anreiz für Kommunen, Geflüchteten mit Bleiberecht eine vernünftige Unterbringung zu ermöglichen.

Mehr Befugnisse für Abschiebungen

Bei Abschiebungen schlägt das Bundeskanzleramt ebenfalls zahlreiche Maßnahmen vor, die in der Summe zu mehr Ausreisen führen sollen. Dabei geht es um die bessere Abstimmung und jederzeit sichergestellte Erreichbarkeit von Behörden, Polizei und Gerichten. Ferner sollen Menschen schneller und länger in Abschiebehaft genommen werden können. Schon die illegale Wiedereinreise nach Deutschland nach einem ausgesprochenen Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik soll ein Haftgrund werden.

Menschen sollen zudem zur Vorbereitung ihrer Abschiebung vier Wochen statt höchstens zehn Tage in Gewahrsam genommen werden dürfen. Und: "Es soll gesetzlich klargestellt werden, dass Widerspruch und Klage gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote keine aufschiebende Wirkung haben", lautet ein Vorschlag des Bundeskanzleramtes. Ferner sollen Beamte bei der Durchsetzung von Abschiebungen leichter Gemeinschaftsunterkünfte betreten dürfen, auch die Zimmer anderer Bewohner, in denen sich der oder die Betroffene möglicherweise versteckt. Fraglich, ob die Ampel-Fraktionen derartige Verschärfungen mal eben so durchwinken. Aber vielleicht müssen sie das auch gar nicht: Wenn der Gipfel am Mittwoch platzt, kommen einige der Vorschläge aus dem Kanzleramt ohnehin zurück auf die lange Bank.

Quelle: ntv.de

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