Sieben Gegenstimmen aus UnionBundestag stimmt mit Kanzlermehrheit für Rentenpaket
Aufatmen in der Regierungskoalition: Der Bundestag verabschiedet das umstrittene Rentenpaket mit 319 Stimmen. Damit hat Schwarz-Rot das Gesetz aus eigener Kraft verabschiedet. Doch in die Erleichterung mischt sich auch Kritik.
Nach monatelangen Diskussionen hat der Bundestag das in der schwarz-roten Koalition hoch umstrittene Rentengesetz mit absoluter Mehrheit beschlossen. Nach Angaben des Bundestagsvizepräsidenten Bodo Ramelow stimmten 319 Abgeordnete mit Ja, 224 mit Nein und 53 enthielten sich. Damit hat Bundeskanzler Friedrich Merz sein Ziel der Kanzlermehrheit von 316 Stimmen um drei Stimmen übertroffen. Später wurde die Zahl der Ja-Stimmen auf 318 korrigiert.
"Ich gehe fest davon aus, dass die gesamte SPD zugestimmt hat", sagte hernach Bundesarbeitsministerin und SPD-Chefin Bärbel Bas, womit sie Recht behielt. Aus der Union gab es sieben Nein-Stimmen, darunter die des CDU-Abgeordneten Pascal Reddig. "Dass die SPD in dieser Koalition einseitig entscheiden kann, welche Sachfrage zu einer Machtfrage erhoben wird, das finde ich nicht ganz nachvollziehbar, und vor allem die Union kann sich auf so einen Politikstil nicht einlassen", sagte Reddig nach der Abstimmung bei Phoenix.
AfD und Grüne hatten vor der Abstimmung ihre Ablehnung angekündigt. Die 64 Abgeordneten der Linken hatten sich verständigt, sich zu enthalten, und der Koalition damit das Erreichen einer eigenen Mehrheit erleichtert. Denn Enthaltungen werden bei namentlichen Abstimmungen über einfache Gesetze nicht mitgezählt. Bas räumte ein: "Eine eigene Regierungsmehrheit war auf jeden Fall schon wichtig." Das stärke die weitere Regierungsarbeit.
Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung der Linken Skeptiker in der Union eher zu einer Zustimmung bewegt hat. In CDU und CSU besteht Einigkeit, dass man sich die Blöße einer Hilfestellung der von beiden Parteien politisch geächteten Linken nicht geben will. Die CDU hat eine koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit der Linken sogar per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen.
Der Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn zeigte sich zufrieden. "Ein guter Tag für die Koalition: Sie debattiert, aber dann entscheidet sie auch." Er sei "stolz" auf seine Fraktion, die zusammengestanden" habe. Den Abgeordneten der Jungen Gruppe, die das Paket zunächst noch geschlossen abgelehnt hatten, bekundete Spahn seinen "großen Respekt". Spahn, der unter großen Druck stand, eine Mehrheit herbeizuführen, sagte: "Alle haben sich kollegial verhalten, da bleibt nichts zurück."
Bundesrat entscheidet am 19. Dezember
Wenn auch der Bundesrat am 19. Dezember zustimmt, kann das Gesetz am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Der Abstimmung war ein monatelanger Streit, vor allem innerhalb der Union vorausgegangen. 18 junge Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, die zu Beginn der Wahlperiode nicht älter als 35 waren, gingen wegen nur eines Satzes im Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas von der SPD auf die Barrikaden.
Danach soll das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent stabilisiert werden. Durch die sogenannte Haltelinie soll verhindert werden, dass die jährlichen Rentenerhöhungen nicht mehr Schritt halten mit den Einkommen in Deutschland: Immer mehr Babyboomer werden von Einzahlern zu Rentnerinnen und Rentner, die Rente soll mit Steuergeld gestützt werden - Kosten: allein 2031 rund 11 Milliarden Euro. Aber - und das lehnen die jungen Unionsabgeordneten ab - auch die nachfolgenden Rentenerhöhungen sollen höher als ohne Gesetz sein und auf dem dann erreichten Niveau aufsetzen.
Vor immer weiteren Kosten ab 2032 warnen die Renten-Rebellen, jährlich 15 Milliarden Euro soll das weiter gestützte Rentenniveau kosten - zu viel aus ihrer Sicht. Die junge Generation müsse am Ende eine zu hohe Rechnung bezahlen, argumentieren sie. SPD-Arbeitsministerin Bas werfen sie vor, bei der Ausgestaltung der Haltelinien-Klausel über den Koalitionsvertrag hinausgegangen zu sein.
Für Spahn ging es um seine politische Zukunft
Kanzler Merz schlug sich in der Auseinandersetzung auf die Seite der SPD. Die Renten-Rebellen der Union wurden in Einzelgesprächen bearbeitet, die vor allem Fraktionschef Jens Spahn von der CDU führte. Dem war schon das Scheitern der Richterwahl im ersten Anlauf im Sommer angelastet worden. Deswegen ging es für ihn bei der Abstimmung auch um seinen Job. Ein Scheitern hätte möglicherweise sein Aus als Fraktionschef bedeutet.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verwies in einer turbulenten Debatte im Bundestag vor der Abstimmung noch einmal darauf, dass es im nächsten Jahr weitere Rentenreformschritte geben werde. "Dafür müssen wir Verantwortung übernehmen. Dafür braucht es Mut", sagte er. Auch für diesen zweiten Schritt brauche es "heute ein starkes Mandat für dieses Paket, ein starkes Mandat für diese Koalition, ein starkes Mandat für die Bundesregierung und ein starkes Mandat für den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland".
Merz verpasst größten Teil der Debatte
Merz verpasste den größten Teil der Debatte. Er nahm erst mit mehr als 50 Minuten Verspätung demonstrativ gut gelaunt auf der Regierungsbank Platz. Der Kanzler hatte die Latte für die Abstimmung am Donnerstagabend noch einmal ein Stück höher gelegt und sich die Kanzlermehrheit"als Ziel gesetzt.
Die heißt so, weil sie nur in wenigen Fällen wie der Wahl des Bundeskanzlers oder der Vertrauensfrage des Kanzlers benötigt wird. "Wir haben 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die Mehrheit ist 316. Wir haben 328 und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328", sagte er nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder auf eine Journalistenfrage.
Damit hat der Kanzler noch einmal verdeutlicht, dass es bei der Abstimmung nicht nur um ein Gesetz, sondern um das Vertrauen in seine Koalition und letztlich um ihren Bestand geht. Manche werteten den Schritt sogar als indirekte Vertrauensfrage.
Merz wusste allerdings zu diesem Zeitpunkt auch schon, wie viele Abweichler sich bei der Fraktionsführung gemeldet haben. Dafür gab es eine Frist bis Mittwoch um 12 Uhr. Da es eine namentliche Abstimmung ist, können die Abgeordneten bei diesem in der Geschäftsordnung der Fraktion festgelegten Verfahren auch nicht schummeln. Sie müssen Farbe bekennen.
Zweiter Renten-Rebell sagt Nein
Öffentlich angekündigt hatte sein Nein in den letzten Tagen nur ein Unionsabgeordneter: der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel. In der Debatte folgte mit Reddig ein zweiter Politiker der Union. Der Gesetzesentwurf gehe gegen seine "fundamentalen Überzeugungen", gegen alles, wofür er Politik gemacht habe und gegen Generationengerechtigkeit. "Und deshalb habe ich mich entschieden, diesem Gesetz nicht zuzustimmen", sagte Reddig.
Auch wenn Merz die eigene Kanzlermehrheit erreicht hat: Der Rentenstreit hat Spuren hinterlassen, die bleiben werden. Das Vertrauen zwischen Merz und den jungen Abgeordneten in der Union ist nachhaltig gestört. Die Junge Gruppe dürfte auch weiterhin klare Kante zeigen. Das gilt vor allem für die geplante größere Rentenreform im nächsten Jahr.
Lars Klingbeil sagte dem Sender Phoenix, er sei "dankbar" für das Abstimmungsergebnis. Die noch im laufenden Jahr einzusetzende Rentenkommission solle alle denkbaren Optionen prüfen. Die SPD mache "keine Vorgabe für die Expertinnen und Experten, außer dass wir zur Mitte des Jahres ein Ergebnis haben wollen". Die Junge Gruppe habe mit ihrer Kritik am Rentenpaket "einen Punkt getroffen", sagte Klingbeil. Er wolle als Bundesfinanzminister ebenfalls "Strukturreformen" und auch die SPD müsse die Modernisierung der Rrente wollen. "Die SPD wird dann stärker werden, wenn sie sich an die Spitze der Bewegung setzt", so der SPD-Vorsitzende.
