Politik

Schicksalstag für KoalitionFür die einen geht es um die Rente - für Merz um alles

05.12.2025, 05:56 Uhr
13-11-2025-Berlin-Markus-Soeder-l-r-CSU-Vorsitzender-und-Ministerpraesident-von-Bayern-Baerbel-Bas-SPD-Bundesministerin-fuer-Arbeit-und-Soziales-und-SPD-Parteivorsitzende-Bundeskanzler-Friedrich-Merz-CDU-und-Lars-Klingbeil-SPD-Bundesminister-der-Finanzen-Vizekanzler-und-SPD-Bundesvorsitzender-geben-am-Rande-des-Koalitionsausschusses-eine-Pressekonferenz
Wenn's doch nur schon vorbei wäre. Die Spannung vor der Rentenabstimmung ist groß, es geht um viel. (Foto: dpa)

Es ist so weit, die Entscheidung in der Rentenfrage fällt heute. Ab 11.20 Uhr steht die zweite und dritte Lesung zum Rentenpaket auf der Tagesordnung des Bundestags. Das Paket dürfte beschlossen werden, doch Gewinner gibt es kaum.

Als Friedrich Merz vor einem guten halben Jahr zum Bundeskanzler gewählt wurde, war das purer Nervenkitzel. Im ersten Wahlgang bekam er nicht die Mehrheit. Weil Linke und Grüne zustimmten, die Geschäftsordnung des Bundestags zu ändern, konnte noch am selben Tag ein zweiter Versuch gestartet werden. Und dann klappte es doch noch. Merz war der zehnte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Und der erste, der zwei Wahlgänge benötigte.

An diesem 5. Dezember steht Merz wieder vor einer brutal schwierigen Abstimmung - und einmal mehr geht es auch um seine Kanzlerschaft. Und wieder müsste er sich am Ende womöglich bei der Linken bedanken, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. Aber der Reihe nach.

Offiziell geht es um die Rente, um das vieldiskutierte Paket von CDU/CSU und SPD. Darin dreimal Union, einmal SPD: Aktivrente (CDU), Frühstartrente (CDU), Ausweitung der Mütterrente (CSU) und die Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2031 (SPD). Letztere sorgt seit Monaten für Streit bei CDU und CSU. Die Junge Gruppe der gemeinsamen Fraktion, 18 Abgeordnete unter 35 Jahren, will nicht mitmachen. Sie hält die erwarteten Mehrkosten bis 2040 von an die 120 Milliarden nicht für tragbar.

Linke will sich enthalten

Stand jetzt werden einige der Rentenrebellen bei ihrem Nein bleiben, andere werden zustimmen. Zwölf Abweichler könnte Schwarz-Rot verschmerzen. Wie viele es genau werden, ist bislang unklar. Das Paket dürfte aber auch beschlossen werden, falls mehr Unionsabgeordnete aussteigen. Der Linken sei Dank. Die Partei hat angekündigt, sich zu enthalten. Sie hat 64 Sitze. Da nur mehr Ja- als Nein-Stimmen benötigt werden, sinkt damit die Schwelle für eine Mehrheit beträchtlich ab. So sollte es selbst die kleine Koalition aus Union und SPD spielend herüberschaffen.

Für die Sache selbst wäre es egal, wie die Mehrheit zustande kommt. Das Rentenpaket wäre beschlossen, fertig, aus. Damit wäre das düsterste Szenario vermutlich vom Tisch. Für die SPD war das Rentenpaket einer der Gründe, vielleicht der wichtigste Grund, in diese Koalition zu gehen. Wäre es gescheitert, weil die Union nicht geschlossen zustimmt, hätte das für die Partei alles infrage gestellt. Dass sie die Koalition platzen lässt, wenn das Paket nur dank der Linken durchgeht, ist dagegen kaum vorstellbar.

Trotzdem war es keine Überraschung, was Merz am Donnerstag forderte - eine eigene, die Kanzlermehrheit. Aus Sicht einer jeden Koalition muss das eine Selbstverständlichkeit sein. Eine Koalition ohne eigene Mehrheit in einer wichtigen Abstimmung hat etwas von einem Ballon, aus dem die Luft entweicht. Was bleibt dann noch von ihr übrig? Ist sie überhaupt noch arbeitsfähig? Die SPD müsste sich fragen, was Absprachen noch gelten - was sie nachdem monatelangen Streit ohnehin tut. Das Vertrauen wäre erstmal weg. Die Kanzlerschaft Merz geriete immer tiefer in Treibsand. Alles würde noch schwieriger.

Weidel hofft auf Häme

Für die Union käme die Peinlichkeit hinzu, sich bei der Linken bedanken zu müssen. So wie eigentlich schon bei der Kanzlerwahl, als die Partei einen zweiten Wahlgang mitermöglichte. Die CDU hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken, ein selbstauferlegtes Zusammenarbeitsverbot.

Man könnte endlos darüber streiten, ob der Tatbestand der Kooperation damit erfüllt wäre. Aber währenddessen würde AfD-Chefin Alice Weidel ihre Hetze gegen Ausländer, Klimaschutz und die Ukraine unterbrechen und eimerweise Häme über der Union auszukippen. Und die Unionsabgeordneten müssten all das ausbaden.

So ist es nur folgerichtig, wenn Merz unebdingt eine eigene Mehrheit will - auch wenn er damit noch einmal den Druck erhöht, ja fast eine verkappte Vertrauensfrage an die eigene Fraktion richtet. Nun muss die Mehrheit stehen. Die zu organisieren, ist der Job von Unionsfraktionschef Jens Spahn, aber auch von Merz, denn es geht um seine Kanzlerschaft. Haben sie es geschafft? Das wird sich heute zeigen. Doch auch wenn die Abstimmung gut geht, sind die beiden die großen Verlierer.

Das Problem ist, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Monatelang ignorierten Spahn und Merz erst die Bedenken der jungen Abgeordneten. Dann sendeten sie verwirrende Signale. Als die Junge Gruppe öffentlich erklärte, das Rentenpaket sei nicht zustimmungsfähig, zeigten sich Merz und Spahn zunächst ganz verständnisvoll. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union versuchte der Kanzler dann plötzlich, die Jungen einzunorden. Was komplett daneben ging. Statt sich zu fügen, wurde der Nachwuchs noch aufmüpfiger.

Spahn führt noch Gespräche

Ein Stimmungsbild in der Fraktionssitzung am Dienstag brachte zwar eine überwältigende Mehrheit für das Rentenpaket. Aber 10 bis 20 Abgeordnete stimmten weiter gegen das Paket. Spahn forderte die Abgeordneten auf, sich bis Mittwoch, 12 Uhr, bei ihm zu melden, wenn sie bei ihrem Nein bleiben würden. Was offenbar einige taten. Spahn sagte jedenfalls einen Anschlusstermin kurzfristig ab und soll wieder Gespräche führen. Was nicht nötig wäre, wenn er die erforderlichen Stimmen beisammenhätte.

Natürlich haben Spahn und Merz es schwerer als frühere Kanzler und Fraktionschefs. Kanzlerin Angela Merkel hatte in ihrer letzten Groko 44 Stimmen Mehrheit im Rücken, in der davor 188. Da können 18 Abweichler gar nicht diese Macht bekommen. Andererseits: Sind die Mehrheiten knapp, muss man den Laden erst recht im Griff haben. Den Nachweis haben Spahn und Merz noch nicht erbracht.

So ist diese Abstimmung auch ein Tiefpunkt für Merz und seine Kanzlerschaft. Auch wenn sie glimpflich ausgeht - ohne ein blaues Auge wird er da nicht herauskommen. Der Auftrag fürs neue Jahr ziemlich klar: Es ab jetzt besser machen.

Quelle: ntv.de

UnionsfraktionCSURenteRentenpolitikCDUJens SpahnSPDFriedrich Merz