Politik

Bombenurteil Bundeswehr scheitert

Die Bundeswehr darf den geplanten Bombenabwurfplatz in Nordbrandenburg vorerst weiter nicht nutzen. Das Potsdamer Verwaltungsgericht gab in drei Musterverfahren den Klägern gegen das "Bombodrom" in der Kyritz-Ruppiner Heide Recht, die sich gegen die drohende Lärmbelastung gewandt hatten. Die Bundeswehr will auf dem Areal Übungsbomben abwerfen und Tiefflüge trainieren.

Das strittige Gebiet von 142 Quadratkilometern liegt im Viereck der Städte Wittstock, Rheinsberg, Neuruppin und Kyritz. Ursprünglich war es in demonstrativer Nähe zum eingekesselten Westberlin von den sowjetischen Streitkräften als Bombenabwurfplatz genutzt worden. Nach dem Abzug beanspruchte die Bundeswehr das zwangsenteignete Land für sich. Die Rechtsstreitigkeiten über den Luft-Bodenschießplatz und eventuelle Gesundheitsschäden dauern nun schon 14 Jahre. Mögliche Folgeinstanzen ändern an der Grundrichtung des Urteils voraussichtlich nichts mehr. Der Anwalt der Bombodrom-Gegner, Reiner Geulen, äußerte unter Berufung auf einen Briefwechsel von Verteidigungsminister Franz Josef Jung mit den betroffenen Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vom Januar die Einschätzung, dass das Militär nach dieser erneuten Niederlage den Streit um die Nutzung des größten Bombenabwurfplatzes in Westeuropa aufgeben werde.

Das Gericht bemängelte, dass die zumutbare Lärmbelastung fehlerhaft ermittelt worden sei. Außerdem seien die Auswirkungen von Formationsflügen auf die Spitzenwerte der Lärmentwicklung ebenso wenig berücksichtigt worden wie die Auswirkungen von eventuell höheren Fluggeschwindigkeiten sowie von Steigflügen außerhalb des Übungsgeländes. Die Bundeswehr scheiterte mit dem Versuch, das Verfahren mit der Bestellung eines weiteren Lärmgutachtens zu verlängern. Es ging um drei Musterklagen von insgesamt 20 Klagen gegen die Anlage.

Vor dem Verwaltungsgericht Potsdam entwickelte sich ein heftiger Gutachterstreit über die Frage, ob die Lärmbelastungen Gesundheitsschäden bei der Bevölkerung oder bei einem im Lärmkegel liegenden Putenhof auslöst oder nicht. Dabei meldete das Gericht mehrfach Zweifel daran an, ob die Bundeswehr die Belastung der Region durch Flug- und Schießlärm realistisch einschätzt. Für Verwirrung sorgte unter anderem die Darstellung des Militärs, dass über dem Abwurfplatz nicht im Formationsflug geübt werde, während der Verwaltungsbescheid das Gegenteil ausführt. Strittig behandelt wurde unter anderem die Frage, ob mit dem geplanten Militärbetrieb das Grundrecht der betroffenen Bevölkerung auf körperliche Unversehrtheit gewahrt werde und ob gegebenenfalls die gesetzlichen Grundlagen für dessen Einschränkung vorlägen.

Das Militär wurde offenkundig von der Frage des Gerichts überrascht, warum es zur Lärmbelastung eines Seehotels, das als Kläger auftritt, in den von ihm 2001 und 2003 vorgelegten Belastungsgutachten unterschiedliche Darstellungen gebe. Die Bundeswehr-Vertreter, denen die Differenz offenbar nicht bewusst war, fanden keine endgültige Antwort. Sie verwiesen darauf, dass der Übungsplatz der bestmögliche in Deutschland angesichts der zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr sei.

Den Himmel den Adlern, nicht den Bomben

Das Verfahren war begleitet von Protesten der Bürgerinitiativen "Freie Heide" und "Pro Heide" aus Anwohnern, Tourismusbetrieben der Region und Naturschützern, die sich seit 1992 gegen den Übungsplatz wehren. Auf Spruchbändern stand zu lesen: "Herr Jung, steuern Sie jetzt um" oder auch "Den Himmel über unserer Heide dem Adler, nicht den Bomben". Die Verhandlung hatte unter großem Andrang begonnen. Weil die rund 130 Sitzplätze im Gerichtssaal nicht ausreichten, mussten viele Prozessbeobachter stehen.

Die Bundeswehr plant 1.700 Einsätze pro Jahr mit jeweils teils mehreren Tiefflügen der Kampfbomber in Tiefflügen bis 150 Meter. Tiefstflugbelastungen solle es nach Darstellung der Bundeswehr jedoch statistisch nur alle dreieinhalb Monate geben.

Bürgermeister findet Bombodrom super

Der Bürgermeister von Wittstock, Lutz Scheidemann (FDP), stellte sich derweil eindeutig auf die Seite der Bundeswehr. Dabei argumentierte er vor allem mit den zu erwartenden Arbeitsplätzen für die Region. Die Streitkräfte wollten in Wittstock (Land Brandenburg) eine Garnison mit rund 800 Soldaten einrichten, zu denen zusätzliche zivile Jobs kämen, sagte Scheidemann dem RBB-Sender InfoRadio. Mit der geplanten Entsorgung militärischer Altlasten auf dem Gelände würden noch einmal 400 bis 600 Arbeitsplätze entstehen. Den Gegnern des "Bombodroms" warf Scheidemann "Propaganda" und "Terror" vor.

Region wäre nicht mehr bewohnbar

Der Anwalt der Kläger, der Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen, argumentierte, dass die ansässige Bevölkerung in der Region nördlich von Berlin in den vergangenen 15 Jahren in den Aufbau des sanften Tourismus investiert habe. Die dadurch entstandenen "blühenden Landschaften", die mit dem Solidaritätszuschlag und mit EU-Mitteln mit mehreren 100 Millionen Euro gefördert worden seien, würden zerstört, wenn der Übungsbetrieb genehmigt würde.

Alle Beteiligten gingen davon aus, dass die geplanten 1.700 Einsätze pro Jahr mit jeweils teils mehreren Tiefflügen der Kampfbomber in 150 Meter Höhe "diese gesamten Anstrengungen weitgehend zunichte mache würden". Lärmgutachten des Umweltbundesamtes ergaben den Anwälten zufolge, dass bei den zu erwartenden Grenzwertüberschreitungen Gehörschädigungen zu erwarten seien. Geulen: "Die Inbetriebnahme des Bombodrom würde dazu führen, dass die Region im engeren Anflugsbereich nicht mehr bewohnbar wäre."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen