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Berlin wählt mal wieder CDU wittert Chance und hofft auf Hilfe

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Kai Wegner möchte Regierender Bürgermeister Berlins werden - dabei muss ihm mindestens eine dieser Damen helfen: Barbara Jarasch von den Grünen oder Franziska Giffey von der SPD. Wobei Letztere den Posten schon gern selbst behalten würde.

Kai Wegner möchte Regierender Bürgermeister Berlins werden - dabei muss ihm mindestens eine dieser Damen helfen: Barbara Jarasch von den Grünen oder Franziska Giffey von der SPD. Wobei Letztere den Posten schon gern selbst behalten würde.

(Foto: IMAGO/Future Image)

Seit 20 Jahren stellt die SPD den Regierenden Bürgermeister von Berlin - von Wowereit über Müller zu Giffey. Die CDU schien in der Metropole lange chancenlos. Doch jetzt sind die Probleme so groß, dass eine Welle der Unzufriedenheit Spitzenkandidat Wegner ins Rote Rathaus spülen könnte.

Wenn Berlin-Besucher in den Zug nach Hause steigen, sagen sie oft: "Schön für ein Wochenende, aber hier leben, nein danke". Bis vor ein paar Jahren lächelten (Wahl)-Berliner den Besuchern milde hinterher, wenn die sich auf den Weg zurück in die Provinz machten - die aus Berliner Sicht natürlich das gesamte restliche Deutschland umfasst. Doch eine solche Arroganz lässt sich kaum noch durchhalten.

Denn die Probleme der wachsenden Hauptstadt brechen immer deutlicher hervor: Die Mieten explodieren, die Bürgerämter sind überlastet, Erzieher und Lehrerinnen machen einen Bogen um die Stadt. Hinzu kommen Peinlichkeiten: Nachdem das BER-Desaster Berlin der Lächerlichkeit preisgab, ist es nun die Wiederholungswahl am kommenden Sonntag. Nicht nur deswegen ist die Frustration in der größten deutschen Stadt mittlerweile so groß, dass möglich ist, was jahrelang ausgeschlossen schien: Die CDU könnte stärkste Partei werden.

Passenderweise macht CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner Wahlkampf mit dem Motto "Berlin muss funktionieren" und legt damit den Finger in die Wunde. Wiederholt werden muss die Wahl, weil manchen Wahllokalen die Wahlzettel ausgingen und Öffnungszeiten mancherorts eigenmächtig durch Wahlhelfer verlängert wurden. Außerdem hatten die Organisatoren offenbar übersehen, dass zeitgleich der Marathon stattfand und damit wichtige Verkehrsachsen abgesperrt waren - was die Versorgung mit Wahlzetteln so schwer machte. Die Menschen im Rest des Landes schlugen sich wie die Berliner mit der Hand auf die Stirn. Man war doch "arm aber sexy", nicht unfähig und provinziell.

Demut vor dem Bürgeramt

Dauer-Frust-Thema sind die Bürgerämter. Zwar hat sich die Lage etwas gebessert, doch müssen Berliner immer noch demütig jeden Termin annehmen, den das Internet ihnen hinwirft. Auch wenn das anbietende Bürgeramt 20 Kilometer entfernt in einem anderen Bezirk liegt. Die Schulen haben einen miserablen Ruf, Lehrer streiken regelmäßig und können das auch, weil viele von ihnen anders als in allen anderen Bundesländern nicht verbeamtet sind, die Kindergärten suchen händeringend Personal. Das macht auch deswegen einen Bogen um Berlin, weil sich Normalverdiener kaum noch schöne Wohnungen in der Stadt leisten können. Was auch hausgemachte Gründe hat: Die SPD-geführte Stadt übersah lange das Wachstum der Stadt und verscherbelte in der Ära Wowereit die landeseigenen Wohnungen.

Jüngste Umfragen sehen die Union vorn. 24 Prozent wollen der Erhebung von Civey im Auftrag des "Tagesspiegels" zufolge der Partei ihre Stimme geben. Doch für den Weg ins Rote Rathaus braucht CDU-Spitzenkandidat Wegner mehr als nur Platz 1. In der Parteienlandschaft ist er von Gegnern umzingelt. Koalitionen mit AfD und Linken schließt die Union ohnehin aus. Die FDP ist kein natürlicher Partner mehr: Für Schwarz-Gelb wird es sowieso nicht reichen und das Leben für die CDU würde einfacher, sollten die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, denn dann wären Zwei-Parteien-Bündnisse wahrscheinlicher möglich.

Bleiben SPD und Grüne. Beide hätten zwar voraussichtlich die Option, einfach mit Rot-Grün-Rot weiterzumachen. Doch hofft Wegner offenbar darauf, dass die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey lieber mit ihm als mit den Linken zusammenarbeitet. Schon im vergangenen Wahlkampf favorisierte die SPD-Landeschefin eine Ampelkoalition gegenüber Rot-Grün-Rot. Dem Berliner "Tagesspiegel" sagte Wegner kürzlich, er sei ein "Fan" von Zweierbündnissen. Als Bedingung stellte er der SPD lediglich eine Verwaltungsreform. Genau die hat sich Giffey ohnehin auf die Fahnen geschrieben, insofern könnte es einen gemeinsamen Nenner geben.

Wer mit wem?

Ausschlaggebend könnte die Wohnungsfrage sein. So streitet Berlin darum, ob Wohnungskonzerne verstaatlicht werden sollen. Linke und Grüne sind dafür, einen entsprechenden Volksentscheid umzusetzen. In der SPD gibt es Sympathien, Giffey ist aber klar dagegen. Das begründete die gebürtige Brandenburgerin damit, in der DDR aufgewachsen zu sein und die negativen Folgen solcher Unterfangen aus erster Hand zu kennen. Und ganz praktisch damit, dass Berlin angesichts der mutmaßlich immensen Entschädigungszahlungen die Pleite drohen könnte.

Wegner wartet schon mit offenen Armen. Wobei die Frage ist, was Giffey macht, wenn die SPD schlecht abschneidet. Tritt sie zurück? Für Schwarz-Rot würde es dann kompliziert, denn der Berliner Landesverband der SPD steht viel weiter links als die Regierende. Ohne Giffey als Brückenbauerin wäre der Graben zur Union besonders breit.

Den Grünen macht Wegner nicht gerade Avancen. So erteilte er ihren Verkehrsplänen eine Absage. Das wiegt schwer, denn Verkehr ist Top-Thema in einer Stadt, in der alle entweder ständig im Stau stehen, auf den Schienenersatzverkehr warten oder auf dem Rad um ihr Leben fürchten. Die Grünen wollen Parkplätze zugunsten von Radwegen opfern und liebäugeln damit, Verbrenner ab 2030 aus den inneren Bezirken zu verbannen. Er habe kein Problem damit, als "Schutzpatron der Autofahrer" gesehen zu werden, sagte Wegner dem "Tagesspiegel". Auch in anderen Themen liegt man über Kreuz, zum Beispiel in der Bildungspolitik - und beim Umgang mit den vielen Berlinern mit Migrationshintergrund.

Popcorn bereitlegen

Genau in letzterer Frage hat Wegner selbst ohnehin schon, ob gewollt oder ungewollt, Pflänzchen schwarz-grüner Perspektiven niedergetrampelt - und zwar in der Debatte nach den Silvesterkrawallen in Berlin. Wegners CDU forderte eine Liste mit den Vornamen der Tatverdächtigen und bog damit hart rechts ab. Aus Sicht der Grünen schürte die CDU damit pauschal Ressentiments gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Wegner versucht, dieser Kritik zu begegnen, indem er behauptet, man brauche die Vornamen, um bessere Präventionsprogramme gegen Jugendgewalt machen zu können.

Sollte die CDU tatsächlich stärkste Kraft werden, kommt es darauf an, wie groß der Vorsprung vor dem Rest des Feldes ist. Je deutlicher der ausfällt, desto weniger wäre es vermittelbar, eine Koalition am Wahlsieger vorbei zu bilden, und umso stärker stünden SPD und Grüne unter Druck, mit der Union zu sprechen. Es ist also spannend genug, um schon einmal das Popcorn neben die Mikrowelle zu legen.

Quelle: ntv.de

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