Im kleinen Regierungsflieger Cem Özdemir unterwegs in außenpolitischer Mission
07.10.2023, 22:06 Uhr Artikel anhören
Seine Tour über den Balkan ist da eine ideale Abwechslung von den Trillerpfeifen der deutschen Bauern.
(Foto: picture alliance/dpa)
Sein Reiseprogramm ist ehrgeizig: Landwirtschaftsminister Özdemir besucht vier Länder in vier Tagen: Nordmazedonien, Kosovo, Ukraine und Moldau. Alles Länder, die dringend in die EU wollen und dabei auf deutsche Hilfe hoffen.
Der Minister für Ernährung und Landwirtschaft reist mit großer europapolitischer Agenda. Der Grüne Cem Özdemir will den Ländern im Südosten Europas Mut machen im Beitrittsprozess und er macht sich Sorgen über den wachsenden Einfluss Pekings und besonders Moskaus in der Region. "Wir lassen nicht zu, dass Russland den Annäherungskurs der Staaten des Westbalkans stört", sagt Özdemir vor seiner Abreise. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht und seine Ambitionen sind groß, doch auf dem Berliner Flugfeld wartet nur der kleinste Jet der Flugbereitschaft, eine Global 5000. Seinen Rollkoffer muss der Agrarminister selbst ziehen. Landwirtschaft und Verbraucherschutz sind kein Schlüsselressort, das öffentliche Interesse an Özdemirs Zuständigkeiten ist eher gering.
In Zeiten, in denen die Ampelregierung massiv in der Kritik steht, kann das auch von Vorteil sein. Aber der Sohn eines türkischen Gastarbeiters ist nicht Bundeslandwirtschaftsminister geworden, um sich zu verstecken und er will, dass keine Zweifel aufkommen, dass er seinen Job gern macht. Kaum an Bord, zeigt er den mitreisenden Journalisten die neuste Ausgabe des Fachmagazins "top agrar" und sagt lächelnd: "So was liest ein Landwirtschaftsminister."
Seine Berufung in das Amt vor fast 2 Jahren galt als Überraschung. Özdemir war Experte für Migration und Menschenrechte, ein bekannter Erdogan-Kritiker, interessiert an internationaler Politik, mit guten Kontakten in die ganze Welt. Nun ist er für Landwirte zuständig, die kein Herz für grüne Landwirtschaftsminister haben. Im bayerischen Wahlkampf wird seine Rede von Trillerpfeifen übertönt. Wütende Bauern werfen Özdemir die Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen und die Regulierung des Nahrungsmittelmarktes vor. Auch die Nahrungsmittelindustrie fühlt sich von ihm bevormundet und gegängelt wegen eines geplanten Werbeverbots für Kindernahrungsmittel.
"Ich bin ein netter Mensch"
Seine Tour über den Balkan ist da eine ideale Abwechslung - dort trifft er nur auf freundliche Menschen. Die Mazedonier wollen in die EU und Özdemir verspricht ihnen die volle Unterstützung der gesamten Bundesregierung. Er ist der erste deutsche Landwirtschaftsminister, der Nordmazedonien besucht und dass er ein Grüner ist, sollen alle wissen. In der Hauptstadt Skopje spricht er an der Fakultät für Agrarwissenschaft über die Herausforderungen des Klimawandels und warnt davor, dass Nordmazedonien nicht die gleichen Fehler begehen soll, die Deutschland gemacht habe. Dazu zählt das Kaputtmachen der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe. Kleinbauern und Biomanufakturen, statt Großbetriebe und Massenfertigung.
Für die deutschen Lebensmittelkonzerne ist das grüne Realitätsverweigerung, doch der Minister von der deutschen Ökopartei besucht im Mazedonien erst mal ein kleines Familienweingut. Er kostet von verschiedenen Flaschen und ist danach ganz begeistert. "Haben Sie den Ökowein getrunken? Großartig!" Özdemir trinkt gern Bio und isst nur vegetarisch. Auf Fleisch verzichtet er, seit er 17 Jahre alt ist, doch als Agrarminister muss er sich auch um die Schweine- und Geflügelhaltung kümmern, um deutsche Wurstfabriken und Schlachthöfe. Und Fleisch ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Balkanküche. Glücklicherweise haben sich die Essgewohnheiten des deutschen Ministers bis nach Südosteuropa rumgesprochen. Mazedonische Kleinbauern präsentieren Schafskäse, Paprikapasten und Marmeladen, Fleischprodukte sind kaum zu sehen. Özdemir nimmt Kostproben, informiert sich, macht Komplimente, mit zugewandtem Blick unter hochgezogenen Augenbrauen. Er selbst sagt, er sei ein netter Mensch, immer freundlich, wenn es geht.
Serbische Regierung schickt Protestnote
Aber Özdemir kann auch austeilen. Scharf verurteilt er den Angriff serbischer Paramilitärs im Norden des Kosovos und den serbischen Truppenaufmarsch an der Grenze. Kurz vor Abflug zum Balkan spricht er gegenüber ntv.de von einem bekannten Muster der Destabilisierung. "Die Truppen aus dem Norden hätten natürlich nichts mit dem Präsidenten Serbiens zu tun", meint er ironisch. "So wie auf der Krim Halbinsel die Soldaten ja auch nicht mit Herrn Putin zu tun hatten." Die serbische Regierung ist empört über diese Äußerung und schickt der deutschen Botschafterin in Belgrad eine Protestnote. Eine diplomatische Unfreundlichkeit ausgelöst durch einen Agrarminister ist schon ungewöhnlich, aber Özdemir fühlt sich in seiner außenpolitischen Mission nur bestätigt.
In der Hauptstadt Pristina spricht er mit der Außenministerin und danach mit Premier Alban Kurti über den Konflikt mit Serbien. Die Landwirtschaft spielt bei den Gesprächen nur eine Nebenrolle, aber Özdemir besucht auch eine Frauenkooperative. Vor großen Paprikabergen stehend, informiert er sich über die Herstellung von Gemüse- und Aijwar-Produkten. Er will wissen, wie es die Frauen geschafft haben, ohne ihre Männer so erfolgreich zu sein. Die meisten Frauen, die hier arbeiten, sind Kriegswitwen. Der Kosovokrieg hat nicht nur ihr Leben verändert, sondern auch das von Cem Özdemir und den Grünen. Mitte der 90er Jahre ist er wegen der serbischen Kriegsverbrechen in Stuttgart auf die Straße gegangen. Vor dem Kosovokrieg waren die Grünen eine Friedenspartei, danach galten sie als Kriegspartei, bis heute.
Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine waren die Grünen die erste deutsche Partei, die schwere Waffen nach Kiew liefern wollte. Und Cem Özdemir hätte wohl auch nichts gegen die Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern, doch "das entscheidet der Kanzler", sagt der Agrarminister. Aber er hilft den Ukrainern, so gut er kann. Am dritten Tag seiner Reise fährt er in einer gepanzerten Limousine in die Südukraine, um sich über alternative Exportrouten für ukrainisches Getreide zu informieren. Weil Russland den Seeweg über das Schwarze Meer blockiert, müssen jeden Monat Millionen Tonnen Weizen, Gerste oder Mais über die Donau transportiert werden. Özdemir will seinem ukrainischen Kollegen Mykola Solkyj dabei helfen.
"My name is Cem"
Am Hafen in Imsajil begrüßen sie sich wie alte Freunde. Sie besichtigen die Verladung von Getreide und Speicher, in denen sich hohe Weizenberge auftürmen. In einem klafft oben im Dach ein großes Loch. Eine russische Drohne ist hier eingeschlagen. Seit die Ukraine begonnen hat, mehr Getreide über die Donau zu verschiffen, verstärkt Moskau seine Angriffe auf Donauhäfen. Wenige Stunden nach Özdemirs Abreise werden bei einer Drohnen-Attacke ein Lager und mehrere LKW in Ismajil zerstört. "Das zeigt die ganze zynische Natur der russischen Kriegsführung." Moskau setze Hunger als Waffe ein, sagt der deutsche Agrarminister später in Chisinau.
Auch die Republik Moldau will so schnell wie möglich Mitglied der Europäischen Union werden. Der Antrag dafür ist erst ein Jahr alt. Nordmazedonien wartet bereits seit fast 20 Jahren, was heißt: EU-Beitrittskandidaten brauchen Geduld und gute Freunde. "My name ist Cem", sagt Özdemir zum Kollegen Vladimir Bolea. Moldau könne sich auf die Bundesregierung verlassen. Deutschland sei wie ein Tanker, der stetig seinen Kurs hält und das Ziel nicht aus den Augen verliert. Das sei die Vollmitgliedschaft Moldaus in der Europäischen Union, sagt der Minister aus Berlin und schaut dabei seinem moldauischen Kollegen tief in die Augen. Agrarminister Bolea wirkt ganz gerührt. So viel Pathos muss man erst mal sacken lassen. Danach wird angestoßen, mit gekühlten moldauischen Rotwein. In einem urigen Restaurant wird für Özdemir alles aufgefahren, was die heimische fleischlose Küche zu bieten hat: gebackene Eieromletts, Teigtaschen und Pasteten, Schafskäse, Trauben und Rosinen.
Am Tag danach unterzeichnen die beiden Minister eine Absichtserklärung: Deutschland will moldauische Produkte fit machen für den gemeinsamen europäischen Markt. Bolea kommt ins Schwärmen: "Durch das Blut unser beider Nationen fließt Landwirtschaft." Für Deutschland gilt das nur metaphorisch. Die Landwirtschaft spielt bei uns nur eine Nebenrolle und das gilt eigentlich auch für den dafür zuständigen Minister. Doch Özdemir ist ehrgeizig und er kann weit mehr als nur Landwirtschaft. In Baden-Württemberg sagen viele, er müsse Winfried Kretschmann nachfolgen und Ministerpräsident werden. Özdemir sei der einzige Grüne, der die Landtagswahl 2026 gewinnen könne.
Quelle: ntv.de