Politik

Bringt Sicherungsverwahrung Sicherheit? "Chance nicht genutzt"

Die Sicherungsverwahrung bleibt umstritten.

Die Sicherungsverwahrung bleibt umstritten.

(Foto: dpa)

Mit einem neuen Gesetz reagiert die Bundesregierung auf ein Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs, das die Praxis der nachträglichen Sicherungsverwahrung von Straftätern für unzulässig erklärt hatte. Im Interview mit n-tv.de spricht der Berliner Strafverteidiger Sebastian Scharmer über den Inhalt der neuen Regelung und sagt dem teils "verfassungs- und menschenrechtswidrigen Flickschusterwerk" eine eher kurze Lebensdauer voraus. Vielmehr hätte Schwarz-Gelb den Hebel im Bereich des Vollzugs ansetzen sollen.

n-tv.de: Könnten Sie das neue Gesetz noch einmal kurz skizzieren?

Sebastian Scharmer: Es umfasst im Wesentlichen vier Punkte. Erstens wird die normale Sicherungsverwahrung im Anwendungsbereich begrenzt. Sie wird nicht mehr für alle, aber noch immer für viele Delikte gelten. Zweitens wird die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ganz erheblich ausgebaut und in vielen Deliktsbereichen zum Regelfall. Dagegen wird die nachträgliche Sicherungsverwahrung für zukünftige Fälle weitestgehend abgeschafft. Viertens schafft die Bundesregierung ein so genanntes "Therapie-Unterbringungsgesetz", wonach die auf Grund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu entlassenen Gefangenen wieder inhaftiert werden können.

Strafverteidiger Sebastian Scharmer wurde zum neuen Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung auch vom Rechtsausschuss des Bundestages angehört.

Strafverteidiger Sebastian Scharmer wurde zum neuen Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung auch vom Rechtsausschuss des Bundestages angehört.

Sollte die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht vollständig abgeschafft werden?

Für alte Fälle, also für alle Taten, die vor dem Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelung begangen worden sind, bleibt sie bestehen. Das wurde von beinahe allen Sachverständigen und auch aus weiten Kreisen der Rechtswissenschaft als verfassungs- und menschenrechtswidrig eingestuft. Ebenfalls können ehemalige Psychiatrieinsassen, bei denen man später feststellt, dass sie überhaupt nicht an einer psychischen Krankheit leiden, nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen werden. Ansonsten gilt diese Praxis als abgeschafft.

Was hat es mit dem Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung auf sich?

Der Täter wird hierbei zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Sicherungsverwahrung vorbehalten. Das heißt, dass am Ende des Vollzuges das zuständige Gericht prüft, ob sich neue Anhaltspunkte für eine Gefährlichkeit des Täters und eine daraus folgende Sicherungsverwahrung ergeben haben. Diese Form wurde früher nur in sehr begrenztem Maße angewandt und wurde nun ganz erheblich ausgebaut. Beim Raub wird man beispielsweise sehr schnell auf die vorbehaltene Sicherungsverwahrung zurückgreifen.

Sexualstraftäter bilden die größte Gruppe der Sicherungsverwahrten.

Sexualstraftäter bilden die größte Gruppe der Sicherungsverwahrten.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Sollte sich die neue Version der Sicherungsverwahrung nicht nur auf Gewalt- und Sexualstraftäter beschränken?

Sie ist weiterhin bei vielen Taten möglich, die weder Gewalt- noch Sexualdelikte sind. Bei den Räubern – wahrscheinlich die zweitgrößte Gruppe bei den Sicherungsverwahrten, noch vor den Gewalttätern – wird sich im Grunde nichts ändern. Dasselbe gilt für Betäubungsmitteldelikte. Für Diebstahl und Betrug wird durch das neue Gesetz jedoch keine Sicherungsverwahrung mehr ausgesprochen werden können.

Warum werden Diebe und Betrüger nun von der Sicherungsverwahrung nicht mehr betroffen sein?

Bei Diebstahl ist fortan keine Sicherungsverwahrung mehr möglich.

Bei Diebstahl ist fortan keine Sicherungsverwahrung mehr möglich.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nun, eigentlich müsste die Frage sein, warum man bisher für diese Gruppen die Sicherungsverwahrung anordnen konnte. Schließlich bedeutet Sicherungsverwahrung potenziell lebenslange Haft. Die Möglichkeit, jemanden wegen Betrugs oder Raubes lebenslang wegzusperren, war schon vorher schwer vermittelbar. Diese Gruppen herauszunehmen, ist längst überfällig. Die Regelung, die Sicherungsverwahrung ohne Deliktsbeschränkung anwenden zu können, ist noch aus der Nazizeit. Überhaupt ist die Sicherungsverwahrung eine Regelung, die 1933 eingeführt wurde.

Wie  ist die Lage denn in anderen europäischen Staaten? Die Sicherungsverwahrung scheint ja ein rein deutsches Phänomen zu sein.

In den meisten europäischen Ländern gibt es dieses Mittel tatsächlich nicht. In vielen Ländern werden jedoch zugegebenermaßen viel höhere Strafen verhängt. Es gibt jedoch auch Staaten, welche eine ähnliche, vielleicht noch eine etwas liberalere Sanktionierungspraxis als die Bundesrepublik haben, in denen aber trotzdem keine Sicherungsverwahrung existiert. Und auch da hat  man nicht unbedingt höhere Rückfallquoten. Meiner Meinung nach schafft man mit Sicherungsverwahrung auch keine Sicherheit.

Es heißt ja auch, die Mehrheit der Täter wird überhaupt nicht rückfällig.

Genau. Es gab auch eine Studie mit 77 Menschen, die von zwei Sachverständigen als hochgefährlich eingestuft worden sind, aus Rechtsgründen jedoch nicht in Sicherungsverwahrung genommen werden konnten. Von diesen 77 sind einschlägig vier rückfällig geworden. Der größte Teil ist straffrei geblieben. Natürlich ist jeder Fall, der passiert, einer zu viel. Aber gerade dieser eine Täter wird medial viel stärker wahrgenommen als die große Mehrheit der nicht Rückfälligen.

Also sehen Sie auch das neue Gesetz als absolut unzureichend?

Die Praxis der Sicherungsverwahrung ist eigentlich absurd, weil sie die Resozialisierungsbemühungen des Vollzuges konterkariert. Diejenigen, die möglicherweise rückfallgefährdet sind, könnten dann keine Behandlung bekommen und werden wieder rückfällig. Man hätte eher etwas im Vollzug reformieren sollen, als ein Flickschusterwerk von Regelungen, welche in absehbarer Zeit wieder aufgehoben werden, zu konstruieren. Zumindest das Therapie-Unterbringungsgesetz ist in vielen Aspekten verfassungs- und menschenrechtswidrig. Es ist also insofern nur eine Frage der Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Regelung wieder kippt und wir bei Punkt null anfangen. Im Großen und Ganzen wurde die Chance, die uns Straßburg eröffnet hat, nicht genutzt.     

Ein "Therapie-Unterbringungsgesetz" wollte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ursprünglich nicht.

Ein "Therapie-Unterbringungsgesetz" wollte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ursprünglich nicht.

Sehen Sie das neue Gesetz, insbesondere das Therapie-Unterbringungsgesetz, als Reaktion auf Stammtischparolen?

Eigentlich schon. Im Ursprungsentwurf des FDP-dominierten Bundesjustizministeriums war es gar nicht beinhaltet. Dieses Gesetz ist offensichtlich verfassungswidrig. Im Grunde wäre eine geordnete Entlassungsvorbereitung und eine Begleitung der Täter vonnöten. Es müssten entsprechende Möglichkeiten der Überwachung und Hilfe angeboten werden. Das Therapie-Unterbringungsgesetz wird nicht viel bringen.   

Mit Sebastian Scharmer sprach Michael Kreußlein

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen