Peking und der Russland-Konflikt "Chinas Rückendeckung für Russland hat Grenzen"
22.02.2022, 17:02 Uhr
Russlands Präsident Wladimir Putin und der chinesische Staatschef Xi Jinping bei ihrem Treffen am 4. Februar in Peking.
(Foto: AP)
Moskau und Peking haben erst kürzlich am Rande der Olympischen Winterspiele eine vertiefte strategische Partnerschaft vereinbart. Doch was bedeutet das für den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine? Chinas Rückendeckung für Russland habe Grenzen, sagt Experte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Mit Russland brechen würde Peking deshalb aber nicht. Kluge spricht im Interview zudem darüber, ob Peking Sanktionen gegen Russland abfedern könnte und wie sich das Verhältnis beider Staaten in Zukunft entwickeln könnte. "China gehört die Zukunft, Russland versucht, an der Vergangenheit festzuhalten", sagt er.

Dr. Janis Kluge ist Wissenschaftler der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu seinen Schwerpunkten gehören das russisch-chinesische Verhältnis, russische Innenpolitik sowie Sanktionen und ihre Wirkung.
(Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP))
ntv.de: Zur Eröffnung der Winterspiele in Peking haben die Präsidenten Chinas und Russlands, Xi und Putin, Einigkeit demonstriert. Nun hat der chinesische Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz das Recht aller Staaten auf Souveränität betont - und die Ukraine explizit eingeschlossen. Haben Sie diese Äußerungen überrascht?
Janis Kluge: Inhaltlich hat mich Wangs Äußerung nicht überrascht. Überraschend war aber, dass sich China überhaupt positioniert hat, denn in den vergangenen Wochen war zu der aktuellen Situation aus China sehr, sehr wenig zu hören. Peking will sich aus diesem Konflikt ein Stück weit raushalten oder hat ein Problem damit, sich politisch zu positionieren. Die Äußerungen waren für mich ein Zeichen, dass Peking sich nicht in eine Eskalation zwischen Russland und dem Westen hineinziehen lassen will, weil es keinerlei Kontrolle über die Eskalationsdynamik hat.
Was bedeuten die Äußerungen für Russland?
Es war das Signal, dass Chinas Rückendeckung für Russland auch Grenzen hat, was etwa Russlands Politik in der Ukraine betrifft. Das heißt natürlich nicht, dass China mit Russland brechen würde, wenn es zu einem Einmarsch kommt. Aber es heißt, dass es in der Partnerschaft beider Länder Grenzen gibt und sie nur so weit geht, solange beide Staaten vollständig souverän ihre eigenen Beziehungen zum Westen gestalten können und sich nicht hineinziehen lassen in Interessenskonflikte der jeweils anderen Seite.
Schwächt Chinas Position Putin oder hat er damit gerechnet?
Für Putin kommt das nicht überraschend. Die Beziehung zu China wird in Russland eigentlich recht nüchtern eingeschätzt. Natürlich signalisieren beide Seiten immer sehr stark, dass kein Blatt zwischen sie passt. Tatsächlich gibt es in Moskau aber einen relativ kritischen Diskurs dazu.
Wie würde China auf eine weitere Eskalation der Situation reagieren?
Es ist eine stabile und für beide Seiten eine wichtige Partnerschaft. Gleichzeitig wird in Moskau nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht erwartet, dass die chinesische Seite die Schritte Russlands im Falle einer Eskalation offen mitträgt. Russland dürfte erwarten, dass China sich zurückhaltend äußert und jegliche Schritte zur Eskalation, aber auch Sanktionen verurteilt. China wird sich in diesem Konflikt nicht eindeutig positionieren, weder an der Seite Russlands noch an der Seite des Westens.
Inwieweit könnte China Sanktionen gegen Russland kurzfristig oder mittelfristig abfedern?
Das hängt natürlich sehr von den Maßnahmen ab, die eingeführt werden. Kurzfristig rechne ich nicht damit, dass China Sanktionen abfedern kann, es wahrscheinlich auch nicht unbedingt möchte. China würde das nur tun, wenn es einen eigenen ökonomischen Vorteil sieht. Bei den Sanktionen nach der Krim-Annexion 2014 hat man gesehen, dass China zwar die Gunst der Stunde genutzt und etwa im Energiesektor einige westliche Investoren ersetzt hat oder zugegriffen hat, wo westliche Unternehmen sich zurückziehen mussten. Aber Peking hat keine milden Gaben verteilt. China hat sich nicht solidarisch verhalten, sondern war schon sehr auf den eigenen ökonomischen Vorteil bedacht. Dementsprechend erwarte ich auch nicht, dass man Russland bei der Vermeidung von Sanktionen oder der Umgehung von Sanktionen zu Hilfe eilt. Zumal für China die eigenen wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen viel bedeutender sind als die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland. China würde nicht übergroße Risiken eingehen oder sich in Ausgaben stürzen, nur um Russland zu helfen.
Das klingt nach einem Zweckbündnis. Eine richtige Allianz scheint es zwischen beiden Staaten noch nicht zu geben.
Russische und chinesische Diplomaten machen immer sehr deutlich, dass das keine Allianz zwischen beiden Staaten ist. Ich würde aber sagen, dass es über ein Zweckbündnis hinausgeht, weil die Partnerschaft schon sehr lange sehr stabil ist und die überlappenden Interessen groß sind. Das gilt für die Verhinderung sogenannter Farbrevolutionen oder von Protesten der Zivilgesellschaft im eigenen Land oder auch in Nachbarländern. Und es gibt eine gemeinsame Sicht auf das politische System und die Legitimation autoritärer Herrschaft. Das sind zwei grundsätzliche Punkte, bei denen Russland und China übereinstimmende Interessen haben und in internationalen Organisationen wie dem UN-Sicherheitsrat auch gemeinsam agieren. Es ist ein langfristiges, aber auch weitreichendes Bündnis, und der Westen muss sich darauf einstellen, dass es in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten stabil bleibt.
Bei ihrem Gipfel haben die beiden Präsidenten eine vertiefende strategische Partnerschaft vereinbart. Was genau wurde da beschlossen?
Im Rahmen des Treffens wurden neue Verträge zu Öl und Gas unterzeichnet. Aber es wurde auch die Vision einer Weltordnung dargestellt, die nicht von westlichen Ideen und Institutionen dominiert wird. Im gemeinsamen Statement ging es auch um die Frage, wie Demokratie definiert wird und wie alternative Herrschaftsformen legitimiert werden und sie ihre Ordnungsvorstellungen durchsetzen können. China und Russland sehen sich nicht mehr nur als Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten, sondern legen einen eigenen Entwurf für eine neue globale Ordnung vor. Das ist natürlich ein langer Prozess, aber er schält sich nach und nach heraus.
China ist wirtschaftlich mittlerweile wesentlich mächtiger als Russland, das wiederum militärisch sehr machtvoll ist. Begegnen sich beide auf Augenhöhe?
Bisher ist es beiden Seiten gelungen, die Beziehungen so zu gestalten, dass sie sich auf Augenhöhe begegnen und die große wirtschaftliche Überlegenheit Chinas das Verhältnis noch nicht dominiert. Russland ist sehr darauf bedacht, sich nicht auf Projekte einzulassen, in denen man von den Chinesen dominiert wird. Es versucht, in jeder Form der Kooperation ein gewisses Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Für die chinesische Seite gilt das genauso.
Wird sich das in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten ändern?
Ich glaube, das Entscheidende ist die Zeit - und die spielt gegen Russlands Stellung in der Welt. Russland ist viel mehr als China bereit, auf Eskalation zu setzen, um zu verhindern, dass man aufgrund der eigenen ökonomischen Unterlegenheit ins Hintertreffen gerät. China dagegen kann darauf zählen, in den kommenden zehn Jahren die eigene Macht international weiter auszubauen. Diese Asymmetrie ist entscheidend: China gehört die Zukunft, Russland versucht, an der Vergangenheit festzuhalten. Da unterscheiden sich beide Länder sehr stark in ihren Strategien und in ihrer Sicht auf die Welt.
Könnte es darum künftig zu Interessenskonflikten kommen, etwa in Zentralasien? Bei den jüngsten Unruhen in Kasachstan war China ja noch sehr zurückhaltend.
Bisher sehe ich diese Konflikte noch nicht, weil beide übereinstimmende Interessen haben. Es war sowohl im Interesse Russland als auch Chinas, das Regime in Kasachstan zu stabilisieren. China hatte also gar keinen Grund, sich gegen die russisch geführte Intervention zu wehren. Zudem ist Zentralasien im Gesamtbild der bilateralen Beziehungen nur ein Element. Natürlich können hier Konflikte immer wieder aufleben, einfach weil China in Zentralasien ökonomisch dominanter ist als Moskau. Aber momentan sind die beiden Präsidenten gewillt, solche punktuellen Konflikte wieder einzufangen, weil es ihnen um die übergeordnete Bedeutung der Partnerschaft geht. Ich glaube auch nicht, dass ein lokaler Interessenskonflikt in Zukunft zu Rissen im russisch-chinesischen Verhältnis führen wird, weil dieses für beide Seiten auf strategischer Ebene viel zu wichtig ist.
Mit Janis Kluge sprach Markus Lippold
Quelle: ntv.de