Politik

Geschädigter verklagt Bundesrepublik Conterganopfer starten Kampagne

Die Opfer des Contergan-Skandals kämpfen weiter um eine angemessene Entschädigung. Sie wenden sich erneut an die Öffentlichkeit und rufen zum Boykott von Produkten der Unternehmer-Familie Wirtz auf, der neben Dalli auch der Pharmakonzern und frühere Conterganhersteller Grünenthal gehört. Ein Conterganopfer klagt inzwischen auch gegen den Staat.

Eine Contergan-Geschädigte mit ironischem Aufdruck auf ihrem T-Shirt 2009 im Landgericht Köln im Prozess um einen Boykott-Aufruf gegen Produkte der Unternehmerfamilie Wirtz.

Eine Contergan-Geschädigte mit ironischem Aufdruck auf ihrem T-Shirt 2009 im Landgericht Köln im Prozess um einen Boykott-Aufruf gegen Produkte der Unternehmerfamilie Wirtz.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Conterganopfer haben eine bundesweite Kampagne zum Boykott von Produkten der Dalli-Gruppe gestartet. Die Kampagne richtet sich gegen die Unternehmer-Familie Wirtz, der neben Dalli auch der Pharmakonzern und frühere Conterganhersteller Grünenthal gehört. Mit Flugblättern forderten die Opfer Kunden vor dem Werksverkauf in Stolberg bei Aachen auf, keine Waschmittel und Parfüms mehr zu kaufen. „Wir fordern von der Familie Wirtz, dass sie mit ihrem Firmenkonsortium den Gesamtschaden von acht Milliarden Euro ersetzt“, stellten zwei Opferverbände fest.

Durch seine Kaufentscheidung könne der Verbraucher Position beziehen. „Kaufen Sie die Produkte nicht mehr, sagen Sie: Verehrte Familie Wirtz, ersetzen Sie endlich alle Schäden der Conterganopfer!“, hieß es in einem Flugblatt. Vom Dalli-Standort Stolberg ausgehend werde die Kampagne bundesweit vor Geschäften mit Dalli-Produkten laufen. Das kündigte der Vorsitzende des Bundes Contergangeschädigter und Grünenthalopfer (BCG), Andreas Meyer, an.

Vor allem der Bürger trage den Schaden mit, stellten die Verbände mit Blick auf die Auszahlungsbilanz der Conterganstiftung fest. Die Stiftung zahlte nach eigenen Angaben bis Ende 2008 rund 460 Millionen Euro Rentenleistungen aus. Mit rund 100 Millionen Euro kommt nur der kleinere Teil von Grünenthal. Der Rest sind Steuermittel.

Die Kampagne ist die Bekräftigung eines seit drei Jahren existierenden Boykottaufrufs. Die Dalli-Gruppe scheiterte im vergangenen Jahr mit dem Versuch, dagegen gerichtlich vorzugehen.

Grünenthal hatte das Schlafmittel als völlig sicher und frei von Nebenwirkungen 1957 auf den Markt gebracht und 1961 zurückgezogen. Contergan löste einen der größten Arzneimittelskandale in der deutschen Geschichte aus. Weltweit kamen rund 10.000 Kinder mit schweren körperlichen Missbildungen zur Welt, vor allem an Armen und Beinen. Viele Kinder starben kurz nach der Geburt. In Deutschland waren 5000 Kinder betroffen.

Klage gegen den Staat

Erstmals wird auch die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit Contergan verklagt. „Der Staat hat es damals unterlassen, Arzneimittelproduktion und -vertrieb zu kontrollieren“, sagte der Kläger Otmar Korte, der selbst Anwalt ist. Der „symbolische Streitwert“ betrage 5001 Euro. Das Bonner Landgericht bestätigte den Eingang der Schrift.

Der Hersteller selbst kann nicht auf Schadensersatz verklagt werden. Mit Gründung der Contergan-Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ wurde ein Gesetz verabschiedet, mit dem alle etwaige Ansprüche von Opfern gegen die Firma Grünenthal erloschen. Anhängige Zivilverfahren wurden mit dem Gesetz wirkungslos.

Nach den Römischen Verträgen 1957 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft hätte Deutschland sofort ein Arzneimittelgesetz schaffen müssen, argumentiert Korte. Dieser Verpflichtung sei Deutschland nicht nachgekommen. Im Rahmen seiner Schutz- und Fürsorgepflicht hätte der Staat die Arzneimittelüberwachung ausüben müssen. Erst seit dem Arzneimittelgesetz von 1976 müssen die Hersteller nachweisen, dass ihre Mittel helfen und ungefährlich sind.

Eine funktionierende Arzneimittelaufsicht hätte der Zusammenhang zwischen dem Schlafmittel Contergan und embryonalen Schädigungen schon 1958 erkannt, meinte der Kläger. Der Staat hätte das Mittel des Herstellers Grünenthal spätestens 1960 vom Markt nehmen müssen, als schon viele Missbildungen erkennbar gewesen seien.

Quelle: ntv.de, dpa

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