Politik

Brasilien wählt in einem Jahr Das Duell Bolsonaro gegen Lula könnte eskalieren

Bolsonaro (l.) will wiedergewählt werden - Lula dürfte sein ärgster Konkurrent werden.

Bolsonaro (l.) will wiedergewählt werden - Lula dürfte sein ärgster Konkurrent werden.

(Foto: Collage: ntv.de - AP Photo/Eraldo Peres - Paulo Lopes/ZUMA Wire/dpa)

Die Mehrheit der Brasilianer würde Präsident Jair Bolsonaro lieber heute als morgen aus dem Amt jagen. Doch erst in einem Jahr steht die Präsidentschaftswahl an. Es dürfte ein Jahr voller Unsicherheit und Sorge werden - selbst Gewalt und ein Putsch sind denkbar.

Die Ergebnisse der Meinungsumfragen sind eindeutig: Seit dem Frühjahr liegen die Zustimmungswerte für Jair Bolsonaro im Durchschnitt bei nur noch knapp 30 Prozent. Der starke Rückhalt, den Brasiliens ultrarechter Präsident bei einem großen Teil des Volkes genießt, scheint zu schwinden. Vor allem wird ihm der Umgang mit Covid-19 angelastet. Immer wieder verharmloste Bolsonaro die Gefahr der Coronavirus-Pandemie, verbreitete Falschinformationen und torpedierte die Impfkampagne. Etwa 600.000 Tote hat Brasilien mittlerweile zu beklagen und gehört damit weltweit zu den Ländern mit der höchsten Sterberate.

Wirtschaftskrise, Sparprogramme, Privatisierung staatlicher Betriebe, Lockerung der Waffengesetze, Maßnahmen gegen den Umweltschutz und die indigene Bevölkerung, homophobe, rassistische und frauenfeindliche Äußerungen - all das dürfte dazu beigetragen haben, dass sich die meisten Brasilianer gegen eine Wiederwahl Bolsonaros aussprechen.

Lula in Umfragen vorn

Fünf offizielle Mitbewerber um das Präsidentenamt hat Bolsonaro derzeit. Wirklich gefährlich werden kann ihm vermutlich nur Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT), der bereits von 2003 bis 2010 als Präsident fungierte und sich insbesondere für die Bekämpfung von Hunger und Armut sowie für bessere Bildungschancen einsetzte. Durchschnittlich 40 Prozent der Bevölkerung sprechen sich in Umfragen für ihn aus.

In der Tat wäre Bolsonaro wohl nie an die Macht gekommen, hätte man 2018 nicht den neben ihm favorisierten Lula von der Wahl ausgeschlossen. Wegen angeblicher Geldwäsche und Korruption wurde er angeklagt und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. 2021 wurden die Urteile aufgehoben, sodass Lula nunmehr antreten kann.

Wenn die etwa 148 Millionen wahlpflichtigen Brasilianer am 2. Oktober 2022 über ihren künftigen Präsidenten entscheiden, werden voraussichtlich weder Bolsonaro noch Lula die absolute Mehrheit erhalten. Erst in einer Stichwahl am 30. Oktober dürfte die endgültige Entscheidung zwischen den beiden stärksten Kandidaten der ersten Wahlrunde fallen.

Alles oder nichts

Allerdings ist die Sorge groß, dass es im Wahlkampf beziehungsweise nach der Wahl zu Unregelmäßigkeiten, Ausschreitungen oder gar zu einem Putsch kommen könnte. Denn ganz im Stile des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump kommt für Bolsonaro nur ein Sieg infrage. Er werde "umgebracht, inhaftiert oder wiedergewählt", prognostizierte der 66-Jährige kürzlich in hemmungsloser Alles-oder-Nichts-Manier. Tatsächlich hatte es vor der Wahl 2018 ein Attentat auf ihn gegeben. Und derzeit laufen mehrere Ermittlungsverfahren gegen Bolsonaro, unter anderem wegen Korruption und der Verbreitung von "Fake News".

Da der Populist gerne die von 1964 bis 1985 bestehende Militärdiktatur Brasiliens schönredet, sich für Folter ausspricht, die Nähe zur Armee sucht, gegen das oberste Gericht wettert und die Zuverlässigkeit des etablierten elektronischen Wahlsystems anzweifelt, trauen ihm viele Brasilianer zu, die Kandidatur des linksgerichteten Lula vereiteln zu wollen oder das Ergebnis nicht anzuerkennen. Dies könnte in letzter Konsequenz das Ende der Demokratie in Brasilien bedeuten.

Bolsonaro fiel bereits lange vor seinem Amtsantritt im Januar 2019 mit rechtsextremen Äußerungen und Zweifeln an Wahlergebnissen auf. Damals war er allerdings lediglich Kongressabgeordneter beziehungsweise Kandidat. Inzwischen hat er Zugriff auf den staatlichen Machtapparat und weitaus größere finanzielle Mittel - und eine breite Anhängerschaft, die genauso radikal denkt und agiert wie er.

Dr. Carlos Paula de Moraes ist Professor für Philosophie am Centro de Filosofia e Ciências Humanas (CFCH) der Universidade Federal do Acre (UFAC), Brasilien.

Quelle: ntv.de

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