Opposition ruft zu Protestwoche auf Das Töten in Daraa geht weiter
30.04.2011, 15:54 UhrWeitere Panzer werden in die von der Armee besetzte Stadt Daraa verlegt, wieder werden Menschen erschossen. Offenbar sollen die Proteste rasch niedergekämpft werden. Dennoch ruft die Opposition für Sonntag zu neuen Demonstrationen auf - auch und vor allem in Daraa. Nach den USA beschließt auch die EU Sanktionen gegen Syrien.
Syrische Sicherheitskräfte haben Augenzeugen zufolge zusätzliche Panzer in die Stadt Daraa verlegt, das Zentrum des Protests gegen Staatschef Baschar al-Assad. Einwohner berichteten von schwerem Gewehrfeuer in der Altstadt. Es habe den Anschein, als ob die Sicherheitskräfte ihre am Montag begonnene Aktion gegen die Proteste im Laufe des Tages abschließen wollten, sagte ein Bewohner. Am Nachmittag berichtete die Nachrichtenagentur AFP von sechs Toten in Daraa.
Am frühen Samstagmorgen hätten Soldaten die Stadt im Süden des Landes mit schwerer Artillerie beschossen, sagte ein Menschenrechtsvertreter unter Berufung auf Augenzeugen laut AFP. Scharfschützen hielten demnach auf den Dächern Stellung. Es gebe aber auch einige Soldaten, die den Anweisungen nicht weiter Folge leisten wollten. Sie hätten ihren Dienst quittiert und sich bei Einheimischen versteckt.
Vorräte werden knapp
Die Soldaten haben die Protesthochburg nach Angaben von Aktivisten streng von der Außenwelt abgeriegelt und unterbinden den Zutritt und das Verlassen des Ortes. Lebensmittel- und Wasservorräte sowie Medikamente gingen allmählich zur Neige, berichteten Bewohner. In Daraa hatte Mitte März die Protestbewegung gegen Assad ihren Anfang genommen.
Auch dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira berichteten Bewohner der seit Montag belagerten Stadt von massivem Granatbeschuss und heftigem Gewehrfeuer. Auf den Straßen von Daraa lägen Leichen, andere Tote würden in Kühllastwagen aufbewahrt.
Daraa gleiche einem "Militärgebiet", sagte der Menschenrechtsvertreter Abdallah Abasid. "Die Lage ist tragisch, aber um unsere Moral steht es gut."
Bis zu 62 Tote am Freitag
Zehntausende Syrer hatten die Drohungen der Regierung in den Wind geschlagen und am Freitag erneut für demokratische Reformen demonstriert, so etwa in der Hauptstadt Damaskus, in Latakia, Kamischli, Hama und Homs. Vielerorts kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Allein in Daraa sollen nach Angaben einer syrischen Menschenrechtsgruppe 33 Menschen getötet worden sein. Im ganzen Land kamen nach Angaben von Menschenrechtlern bis zu 62 Menschen ums Leben. Seit Beginn der Protestbewegung Mitte März starben laut Aktivisten mehr als 580 Menschen.
Trotz des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte gibt die Protestbewegung nicht auf. Über Facebook riefen Aktivisten zu einer Woche der Massendemonstrationen auf, bei denen täglich in verschiedenen Städten des Landes tausende Menschen ihren Unmut zeigen sollen.
"Euer Blut zeigt uns den Weg zur Freiheit"
Für Sonntag rief die Facebook-Gruppe "Syrische Revolution 2011" zum Beginn der "Woche zum Ende der Besatzung" zu einer Demonstration in der von der Armee besetzten Protesthochburg Daraa auf. Für Montag sind Proteste in Damaskus geplant. Am Dienstag soll die Aktion in Banias und Dschableh im Norden fortgesetzt werden, am Mittwoch in Homs, Talbisseh und Tall Kalach an der libanesischen Grenze. Am Donnerstag sind "nächtliche Sitzstreiks" geplant.
"Euer Blut zeigt uns den Weg zur Freiheit", würdigten die Oppositionellen auf Facebook die am Freitag getöteten Demonstranten, die am Samstag beigesetzt werden sollten. "Wir schwören, dass euer Blut nicht umsonst vergossen wurde." Märtyrer seien "unsterblich". Die Kriminellen (an der Staatsspitze) würden dagegen im "Mülleimer der Geschichte" landen, nachdem das Volk sie "abgeurteilt und bestraft" habe.
USA und EU verhängen Sanktionen

"Wer sein eigenes Volk tötet, ist ein Verräter" - Bild des Senders Al-Arabija vom Freitag aus Hama.
(Foto: dpa)
Angesichts des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte verhängten die USA Sanktionen gegen Vertreter von Militär und Geheimdiensten, unter anderem gegen den Bruder von Staatschef Assad, den Kommandeur Mahir al-Assad. Präsident Barack Obama unterzeichnete am Freitag einen Erlass, der Mitgliedern der Führungsriege um Assad Zugriff auf etwaige Vermögen in den USA verwehrt. Außerdem dürfen US-Bürger keine Geschäfte mit ihnen machen.
Auch die Europäische Union verständigte sich im Grundsatz auf die Verhängung von Strafmaßnahmen. Sie sollen in den nächsten Tagen ausgearbeitet werden. Diese Entscheidung sei ein "klares Signal" der EU an Syrien, sagte Außenminister Guido Westerwelle dem "Tagesspiegel".
Polenz fordert engere Bindung der EU an Türkei
Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz nahm die Situation in Syrien zum Anlass, erneut für eine engere Bindung der Türkei an die EU zu werben. "Wenn die Türkei auf Seiten Europas ist, nimmt dies Diktatoren in der muslimischen Welt die Möglichkeit, den Kampf um Demokratie umzuetikettieren in einen Kampf gegen den Islam", sagte Polenz dem "Focus".
Die Türkei als einziger NATO-Partner mit muslimischer Bevölkerung könne in Syrien eine Schlüsselrolle als Vermittler spielen, fügte Polenz hinzu. Die Türkei nahm am Freitag im Grenzgebiet zu Syrien insgesamt 238 syrische Flüchtlinge auf.
Hamas erwägt angeblich Abzug aus Damaskus
Die angespannte Situation in Syrien wird möglicherweise auch der radikalislamischen Organisation Hamas zu brenzlig. Die in London erscheinende arabische Zeitung "Al-Hayat" meldete, die politische Exilführung plane, das von Unruhen erschütterte Damaskus zu verlassen und nach Katar umzusiedeln.
Ein Hamas-Sprecher wies dies aber sofort zurück: "Unser Büro arbeitet weiter und wird von der Regierung in Damaskus unterstützt." Die Hamas-Führung, die seit 2007 im Gazastreifen herrscht, operiert seit 1999 von Syrien aus und stand dabei stets unter dem Schutz des Assad-Regimes.
Quelle: ntv.de, rts/AFP/dpa