Presseschau zum US-Plan"Das ganze Vorhaben erinnert stark an das Münchner Abkommen von 1938"

Der 28-Punkte-Plan der USA für ein Kriegsende in der Ukraine sorgt für Unruhe. Die europäische Presse blickt überwiegend negativ auf Washingtons sogenannten "Friedensplan", der dazu anregt, historische Parallelen zu ziehen.
Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" schreibt: "Mit ihrem 28-Punkte-Plan haben die Amerikaner erneut Angst und Verwirrung unter Ukrainern und anderen Europäern gesät - und das zu einem Zeitpunkt, als es danach aussah, dass die Trump-Regierung aufgehört hat, sich weiter an Russland anzunähern und die Ukraine unter Druck zu setzen. (...) Mit dem neuen amerikanischen Vorschlag wird der Druck auf die Ukraine wieder verstärkt. Präsident Selenskyj soll die ukrainischen Streitkräfte verkleinern und den roten Teppich für die russische Armee ausrollen. Europas Regierungen scheinen von den amerikanischen Vorschlägen überrascht worden zu sein, die im Falle ihrer Umsetzung die Sicherheit auf dem Kontinent zutiefst untergraben würden. Sie beeilten sich, erneut ihre Unterstützung für die Ukraine zu bekunden.
Bislang gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die ukrainische Armee kurz vor dem Zusammenbruch steht. Seit 2022, dem ersten Jahr der großangelegten Invasion, hat sie alle russischen Versuche abgewehrt, einen entscheidenden Durchbruch zu erreichen. Auch der erwartete Fall der Stadt Pokrowsk wird laut Militäranalysten keine einschneidenden Folgen haben. Zudem sind die Ukrainer dank des Ausbaus ihrer eigenen Rüstungsindustrie unabhängiger geworden. Im September hatte Selenskyj erklärt, dass fast 60 Prozent der Waffen an der Front aus der Ukraine stammen. Ein Rückzug der USA würde den Kampf der Ukraine um ihre eigene Sicherheit und die Europas blutiger und ungewisser machen. Den Europäern ist einmal mehr klargemacht worden, dass sie für ihre Sicherheit selbst aufkommen müssen."
Die Zeitung "De Telegraaf" mit Sitz in Amsterdam sieht starke Parallelen zu dem Münchner Abkommen von 1938: "Unter strengster Geheimhaltung wurde an einem Plan von Präsident (Donald) Trump zur Beendigung des Krieges in der Ukraine gearbeitet. Nachdem die Einzelheiten dieses Plans bekannt wurden, drängt sich die Frage auf, ob Europa und die Ukraine von den Amerikanern im Stich gelassen werden. Der Friedensplan ähnelt nämlich eher einem Kapitulationsplan. (…) Das ganze Vorhaben erinnert stark an das Münchner Abkommen von 1938, als die Tschechoslowakei Gebiete an Hitler abtreten musste und der britische Premierminister Chamberlain von 'Frieden für unsere Zeit' sprach."
Auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zeigt sich entsetzt: Der amerikanische Präsident setzt nun allen Ernstes nicht Moskau ein Ultimatum zur Beendigung seines Angriffskrieges – wie er es einmal tat, um es dann folgenlos verstreichen zu lassen –, sondern den Überfallenen. (…) Die europäischen Staatschefs, die wegen der dramatischen Entwicklung und der von ihr ausgehenden Gefahren für die Sicherheit ganz Europas am Freitag miteinander telefonierten, sind vom verhängnisvollen Trump-Putin-Pakt so überrascht worden wie die breite Öffentlichkeit. (…) Doch was, wenn Trump das Gemaunze am Katzentisch so wenig juckt wie im Grunde schon die ganze Zeit? Dann müssen die Europäer entscheiden, ob auch sie die Ukraine aufgeben - oder sie endlich so entschlossen unterstützen, dass sie weiterhin das erste Verteidigungsbollwerk Europas gegen den russischen Imperialismus bleiben kann."
Und weiter schreibt die FAZ: "Die diplomatischen Annalen sind voll von großartigen Friedensplänen, die nie umgesetzt wurden. Der Plan, den die Trump-Regierung heute der Ukraine aufzwingen möchte, ist zum Scheitern verurteilt. Man fragt sich, welche seiner Bestimmungen am absurdesten ist: Russland Gebiete zu überlassen, die es nicht erobert hat, die ukrainische Armee um die Hälfte zu verkleinern, auf jegliche militärische Hilfe des Westens, auf Langstreckenwaffen und auf Sicherheitsgarantien durch europäische Truppen zu verzichten? Selbst der Kreml scheint kaum daran zu glauben und hält sich zurück.
In der französischen Zeitung "Le Figaro" heißt es: "(...) Glaubt (US-Präsident Donald) Trump wirklich, dass der Weg zur 'Befriedung Europas' darin besteht, Kiew der Gnade Wladimir Putins zu überlassen? Jeder dauerhafte Frieden muss gerecht sein. Die Rückschläge, die die ukrainische Armee an den Ostfronten erleidet, und die politische Krise, die die korrupten Teile des Regimes von Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj erschüttert, ändern nichts an den Bedingungen der Gleichung. Wie der republikanische Senator Lindsey Graham, ein Verbündeter Trumps, zusammenfasst: 'Kein Plan wird funktionieren, solange Putin nicht davon überzeugt ist, dass die Vereinigten Staaten ihre militärische Hilfe für die Ukrainer ernsthaft fortsetzen werden.'"
Die spanische Zeitung "El País" kommentiert: "Der sogenannte Friedensplan für die Ukraine, der von der US-Regierung der Regierung in Kiew vorgelegt wurde, hat - unabhängig von seiner zweifelhaften Durchführbarkeit und seiner eindeutigen Ungerechtigkeit - einen grundlegenden Mangel, der nicht zu übersehen ist: Er wurde hinter dem Rücken sowohl des vor mehr als drei Jahren von Russland überfallenen Landes als auch der europäischen Staatengemeinschaft ausgearbeitet. (...) Von (Kremlchef Wladimir) Putin kann man nichts erwarten, aber Trumps Berater sollten den US-Präsidenten daran erinnern, dass Europa von Anfang an mit großem Aufwand Material für die Verteidigung der Ukraine bereitgestellt hat, dass seine Regierungen dafür große Opfer gebracht haben und auch die europäische Bevölkerung die Folgen der Sanktionen gegen Moskau in Kauf genommen hat, mit dem einzigen Ziel, Russland daran zu hindern, die Ukraine ganz oder teilweise zu annektieren und die gesamte Sicherheit des Westens zu gefährden."
Und weiter: "Und dass diese Verteidigung auch die Verteidigung der amerikanischen Interessen umfasst. (...) Die EU hat bereits geantwortet, dass sie jeden Friedensplan, der weder die Ukraine noch Europa einbezieht, für inakzeptabel hält. Es ist Aufgabe der Union - und anderer Verbündeter wie Großbritannien und Kanada -, alle ihre diplomatischen Ressourcen zu aktivieren, damit Washington zur Vernunft kommt und vor allem, damit sich die Ukraine bei den Verhandlungen über ihre Zukunft wieder unterstützt fühlt."
Die britische Zeitung "The Telegraph" warnt vor Appeasement-Politik: "Die Umsetzung dieses Plans würde (Kremlchef Wladimir) Putins Aggression belohnen. Er dürfte nicht nur seine Eroberungen behalten, sondern die Ukraine müsste ihm noch mehr Territorium überlassen, indem sie den gesamten Donbass aufgibt, einschließlich der rund 2500 Quadratmeilen, die Russland nicht einnehmen konnte. Land, das die ukrainischen Streitkräfte hartnäckig verteidigt haben, müsste geopfert werden. Die Festungsstädte in diesem Gebiet, die für die Verteidigung der übrigen Ukraine von entscheidender Bedeutung sind, müssten aufgegeben werden. (...) Angesichts einer stark geschwächten Ukraine würde Putin mit ziemlicher Sicherheit zurückkommen und eine dritte Invasion starten, um seinen Nachbarstaat ein für alle Mal von der Landkarte zu tilgen."
Der "Telegraph" schreibt weiter: "Und wenn er dieses Ziel erreicht, wäre sein nächster Schritt wohl ein Angriff auf einen europäischen Nato-Verbündeten, wodurch ein Krieg ausgelöst werden würde, der Großbritannien und alle Mitglieder des Bündnisses mitreißen würde. Wenn wir diese Katastrophe verhindern wollen, muss eine Grenze gezogen werden. Und zwar jetzt. Europa sollte US-Präsident (Donald) Trump klarmachen, dass die Ukraine jedes Recht hat, diesen gefährlichen Plan abzulehnen. Sollte Amerika sich daraufhin aus dieser Krise zurückziehen, muss Europa die volle Verantwortung dafür übernehmen, die Ukraine in ihrem Kampf gegen einen Angreifer zu unterstützen, der uns alle bedroht."