Politik

Merkel, Corona und der Bundestag Der Ton wird rauer

Bundeskanzlerin Merkel stellt sich nach dem Ländergipfel zur Lockdown-Verlängerung dem Bundestag. Wo die Kanzlerin Erfolge und aufziehende Risiken betont, schiebt die Opposition Frust: Die Rede ist von Ignoranz, fehlender Strategie und Merkels "Papstattitüde".

Es gibt Einigkeit im Bundestag in immerhin einem einzigen Punkt: Der Lockdown-Koller geht rum. Die Nerven bei den Menschen liegen blank, privat wie beruflich, wie alle Redner zur Regierungserklärung am Vormittag feststellen. Die am Vorabend von Bund und Ländern gefassten Beschlüsse über eine Verlängerung der Corona-Maßnahmen hingegen werden im Bundestag kontrovers diskutiert. Zum Verdruss der meisten Fraktionen aber eben erst dann, als es schon zu spät ist - nämlich nachdem die Ministerpräsidentenkonferenz das weitere Vorgehen bereits festgelegt hat. Dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel noch am Morgen nach dem Gipfel dem Bundestag in einer Regierungserklärung stellt, wird daher als das aufgefasst, was es tatsächlich ist: das Mindeste.

Der Bundeskanzlerin ist vielleicht auch wegen der zunehmend negativen Grundstimmung erkennbar daran gelegen, das Positive herauszustreichen: Deutschland habe im vergangenen Jahr "ein gutes Stück des so schweren Weges" hinter sich gebracht. "Eine Überlastung unseres Gesundheitssystems, die konnten wir verhindern", sagt Merkel. Jeder schwer an Covid-19 Erkrankte habe eine Behandlung erhalten, auch wenn die Intensivmedizin immer wieder unter "Höchstbelastungen" gelitten habe. Dieser Erfolg habe seinen Preis: "Ich vergesse keinen einzigen Tag, was die notwendigen Maßnahmen für jeden Bürger und jede Bürgerin bedeuten", sagt die Bundeskanzlerin.

Merkel akzeptiert Grenzen ihrer Macht

Merkel räumt ein, dass die Gesamtlage widersprüchlich sei: das deutliche Sinken der Infektionszahlen einerseits, die heraufziehende Gefahr durch die aggressiveren Corona-Varianten andererseits. "Wir wissen, dass die Gefahren der Mutation uns unsere Erfolge wieder kaputt machen können", begründet die Regierungschefin die Verlängerung des Lockdowns bis 7. März bei gleichzeitiger Zulassung von Lockerungen ab einem Inzidenzwert von 35. Über die vermeintliche Willkürlichkeit dieses Wertes streiten alle nachfolgenden Redner bis schließlich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt klarstellt: "Die 50 war immer die Zahl, wo man bei wachsender Infektion den Einstieg in den Lockdown gewählt hat. Sie kann nicht gleichzeitig die Zahl des Ausstiegs aus diesem Lockdown sein, ansonsten hätten wir einen andauernden Achterbahneffekt."

Die Frage des Hoch und Runters mit dem Lockdown ist ein Schlüsselthema der aktuellen Pandemiepolitik, weil Forderungen nach einem Perspektiven schaffenden, differenzierteren Stufenfahrplan am Mittwochabend unerfüllt geblieben sind. Für Merkel kein Verlust: "Ich glaube nicht, dass das Hin und Her - einmal öffnen, einmal wieder schließen - den Menschen mehr Berechenbarkeit bringt, als ein paar Tage zu warten und sich einen Überblick zu verschaffen."

Was sie dagegen bedauert: die von mehreren Bundesländern beschlossene Öffnung von Kitas und Schulen. Sie habe sich "gewünscht, dass auch hier anhand der Inzidenz entschieden wird". Überraschend ist Merkels Wortwahl, als sie über ihren gescheiterten Widerstand in der Schulfrage spricht: "Ich habe auch akzeptiert, dass es eine eigenständige Kultushoheit der Länder gibt", sagt die Kanzlerin, was höhnisches Gelächter im Plenum hervorruft. Diese Akzeptanz sollte selbstverständlich sein, zeigt aber Merkels wachsenden Frust über die Grenzen ihrer Gestaltungsmacht in der Pandemie.

Opposition fühlt sich missachtet

Frust herrscht auch im Parlament, das seinerseits weiter vergeblich auf mehr Mitsprache dringt. FDP-Fraktionschef Christian Lindner erinnert daran, Merkel gebeten zu haben, "dass Sie vor der Runde mit den Ländern den Deutschen Bundestag über Ihre Absichten unterrichten", damit die Abgeordneten ihre Ideen und Gedanken hierzu einbringen können. "Damit haben wir nichts Unmögliches verlangt." Lindner bekräftigt die Forderung seiner Partei nach einer Systematik von "Wenn, dann-Regeln", wie sie die FDP mit ihrem Konzept eines 7-Stufen-Plans vorgestellt hat. Die Menschen seien von dem Gipfel "enttäuscht" worden, sagt Lindner.

Ähnlich hart die Kritik vom wenig FDP-nahen Co-Vorsitzenden der Linkspartei, Dietmar Bartsch: "Es mag Sie nerven, aber ich will ausdrücklich festhalten, für die Linke bleibt es inakzeptabel, dass wir im Bundestag erst nach einer Ministerpräsidentenkonferenz diskutieren und nicht vorher." Die Erkenntnisse aus einer Bundestagsdebatte über Schutzkonzepte für Altenheime im Herbst seien von der Bundesregierung ignoriert worden. "Das Sterben in den Heimen ist das vielleicht dunkelste Kapitel der letzten Jahrzehnte", sagt Bartsch. Von Merkel habe es aber keinerlei Selbstkritik gegeben. "Nicht, dass wir als Opposition alles besser gemacht hätten - darum geht es überhaupt nicht -, aber diese Papstattitüde der Unfehlbarkeit: Die ist unangemessen."

Der Ton der Opposition ist wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und sieben Monate vor der Bundestagswahl hörbar rauer geworden. Auch jenseits der AfD, deren Fraktionsvorsitzende Alice Weidel in gewohnt drastischen Worten der Bundesregierung Rechtsbruch, überzogene Maßnahmen und eine mutwillige Zerstörung des Mittelstands vorwirft. Ihr Parteikollege Sebastian Münzenmeier spricht in seiner Rede die anstehenden Wahlen als Möglichkeit des Kurswechsels direkt an.

Göring-Eckardt: Friseuröffnung ist Bonbon

Vonseiten der Grünen gibt es ebenfalls kein Lob für Merkel. Deren Co-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagt: "Ich gönne jedem und jeder, hier und anderswo, eine Frisur. Ich gönne übrigens auch den Friseuren ihre Einnahmen. Aber hier entsteht der Eindruck, es solle der Bevölkerung ein Bonbon gegeben werden, aber das ist keine Strategie." Die Bundesregierung müsse klarmachen, worauf das Land hinarbeite.

Göring-Eckardt fordert die Fraktionen von Union und SPD auf, angesichts ausbleibender Ergebnisse aus der Bundesregierung gemeinsam mehr für Kinder zu gestalten: von der Anschaffung von Luftfiltern und Schnelltests für Schulen und Kitas über Maßnahmen zu Ermittlung des Förderbedarfs für besonders vom Lockdown betroffene Kinder. "Bevor man sich auf die Friseure einigt, dann bitte mit aller Kraft dafür sorgen, dass Schule auch sicher stattfinden kann", sagt Göring-Eckardt.

Doch aus deren Fraktionen kommt vor allem Verständnis für die Lockdownverlängerung und Unterstützung für die Merkel-Linie. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus äußert "Zweifel", dass eine Schulöffnung zu diesem Zeitpunkt richtig sei. CSU-Politiker Dobrindt sieht die sinkenden Inzidenzwerte in Gefahr: "Ich hoffe, dass die Maßnahmen, die die Länder ergreifen, dieser Senkung der Kurve nicht entgegenwirken."

Brinkhaus attackiert Lindner

Wie schon bei der vorherigen Lockdowndebatte geht Brinkhaus erneut FDP-Chef Lindner hart an. Er wirft ihm Wahlkampf vor: "Es ist erbärmlich, Herr Lindner, und die Wählerinnen und Wähler zeigen es Ihnen auch in den Umfragen, dass das nicht verfängt, was Sie hier veranstalten." Dobrindt mokiert sich darüber, dass Bartsch US-Impferfolge lobe und die Impfmittelversorgung der Entwicklungsländer beklage, während doch die USA nur deshalb erfolgreich seien, weil sie per Kriegsrecht jeden Impfmittelexport verhinderten.

Anders als Merkel aber räumt Brinkhaus Fehler und Mängel ein. Bei der hohen Zahl an Toten in den Altenheimen "müssen wir uns als Gesellschaft fragen, ob wir alles richtig gemacht haben", sagt Brinkhaus, als sei nicht in erster Linie die Politik verantwortlich. Brinkhaus fordert eine zentrale Qualitätssicherung der Arbeit in den Gesundheitsämtern, wo zur Verfügung gestelltes Geld für Software und bessere Bezahlung genutzt werden müsse. Es brauche Schutzkonzepte für die Altenheime und "ein besseres Impfterminvergabemanagement".

Diese kurze Liste steht tatsächlich im Widerspruch zu der insgesamt positiven Zwischenbilanz der Bundeskanzlerin, wobei sich die Verantwortlichkeit für die genannten Probleme wie so oft zwischen Bund, Ländern und Kommunen verliert. Insofern erntet Brinkhaus sicher keinen Widerspruch, wenn er für die Zukunft mehr Katastrophenvorsorge fordert: "Diese Krise wäre eine vergeudete Krise, wenn wir nicht daraus lernen."

Quelle: ntv.de

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