Politik

"Wir verheben uns mit der Türkei" Deutscher Arbeitsmarkt belastet

Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hat vor den negativen Folgen eines EU-Beitritts der Türkei für den deutschen Arbeitsmarkt gewarnt. "So wünschenswert und sinnvoll ein Türkei-Beitritt ganz langfristig vielleicht sein mag - Finger weg: Wir verheben uns!", sagte der Wirtschaftsexperte der "Passauer Neuen Presse".

Ökonomisch seien die zweistelligen Milliardenbeträge, die der Türkei aus EU-Geldern zustehen würden, nicht das Hauptproblem. "Das wirkliche Problem liegt darin, dass die Türkei sehr groß ist: 70 Millionen Einwohner und in 10 bis 15 Jahren das bevölkerungsreichste Land Europas", erläuterte Sinn. Die Löhne dort lägen noch unter dem Niveau von Osteuropa. "In einer Übergangszeit von mehreren Jahrzehnten werden im Hochlohnland Deutschland die Löhne im unteren bis mittleren Bereich bereits durch den EU-Beitritt der Ostländer unter Druck geraten. Wenn auch noch die Türkei beitritt, wird die Zahl der Verlierer unter den deutschen Arbeitnehmern noch größer", sagte Sinn.

Geteiltes Echo

Insgesamt war das Echo auf die Empfehlung der EU-Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im In- und Ausland geteilt. Während Bundeskanzler Gerhard Schröder und zahlreiche andere EU-Staats- und Regierungschefs die Entscheidung begrüßten, äußerten sich die CDU/CSU in Deutschland und viele konservative Politiker in Europa kritisch.

Union weiter für privilegierte Partnerschaft

Ergebnisoffen könne "nicht heißen, dass es entweder nur die volle Mitgliedschaft der Türkei oder ein Scheitern der Verhandlungen geben kann", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Wolfgang Schäuble, im RBB. "Wir glauben, jedenfalls aus heutiger Sicht, dass die privilegierte Partnerschaft die bessere Lösung ist." Eine Volksabstimmung, wie in Frankreich geplant, lehnte Schäuble ab: "Wenn wir 15 Jahre mit der Türkei verhandelt haben, dann sind die Verhandlungen abgeschlossen."

Nachbarländer der Türkei erklärten, ein möglicher EU-Beitritt könne Stabilität und Sicherheit im Südosten Europas bedeuten. Die türkische Regierung nannte das Brüsseler Votum historisch.

Verheugen mit "gemischten Gefühlen"

Unter strengen Auflagen hatte die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel Beitrittsverhandlungen mit dem bevölkerungsstarken muslimischen Land an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien empfohlen. Kommissionspräsident Romano Prodi machte dabei klar, dass die Aufnahme von Verhandlungen nicht automatisch zum Beitritt führen werde. Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen nun am 17. Dezember auf ihrem Gipfel über den Beginn der Gespräche entscheiden.

Nach seiner Empfehlung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen hatte EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen nach eigener Aussage "durchaus gemischte Gefühle". "Was wir gemacht haben, kommt einer Risikoabschätzung gleich", sagte Verheugen bei n-tv. Das Risiko, einen Prozess der politischen Entwicklung der Türkei zu steuern, sei aber überschaubar. Dagegen wäre es "unüberschauber, wenn wir die Türkei jetzt zurückgestoßen und die bislang gewonnene Stabilität aufs Spiel gesetzt hätten".

Quelle: ntv.de

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