Politik

Strack-Zimmermann im Interview "Die Angst vor einem Angriff schwebt über Taiwan"

Strack-Zimmermann erfuhr in Taiwan, wie sehr Politiker und Menschen dort den Ukraine-Krieg verfolgen - denn sie fürchten ebenfalls einen Angriff eines großen Nachbarn.

Strack-Zimmermann erfuhr in Taiwan, wie sehr Politiker und Menschen dort den Ukraine-Krieg verfolgen - denn sie fürchten ebenfalls einen Angriff eines großen Nachbarn.

(Foto: IMAGO/Future Image)

Die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann reist mit einer FDP-Delegation nach Taiwan. Die Insel befürchtet vom großen Nachbarn China angegriffen zu werden. Was die Taiwanesen sich von Deutschland erhoffen, erzählt die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Interview mit ntv.de. Waffen sind es nicht.

ntv.de: Als Sie nach Taiwan gereist sind, gab es prompt eine chinesische Militärübung . Wie haben sie die wahrgenommen?

Strack-Zimmermann: Die militärische Provokationen vor der Küste Taiwans findet seit Monaten statt. Ob das wegen unserer Reise verstärkt wurde, weiß ich nicht. Es regt bei manchen offensichtlich die Phantasie an. Mitbekommen haben wir davon auf alle Fälle nichts.

Was für Erkenntnisse bringen Sie mit nach Berlin?

Es war besonders interessant zu hören, wie alarmiert Taiwan den russischen Angriff auf die Ukraine beobachtet. Das Land sorgt sich nämlich sehr, von China angegriffen zu werden. Taiwan hat, das wissen wenige, der Ukraine umgehend geholfen und stellte vom ersten Tag an große Mengen Medikamente, Kleidung und 600 Tonnen anderes Material zur Verfügung. Die Bevölkerung wurde gebeten, Geld zu spenden. 30 Millionen Dollar kamen zusammen.

Wie sehr rechnen denn Ihre Gesprächspartner mit einem Angriff seitens China?

Das Damoklesschwert schwebt seit Langem über ihnen. Aber seit zwei Monaten besonders intensiv. Die Sorge, die Taiwan umtreibt, hat auch mit Hongkong zu tun. China hat Hongkong 1997 bei der Übernahme der ehemaligen britischen Kronkolonie versichert, dass es zwar ein Land, aber zwei Systeme geben wird. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Taiwan ist aus eigener Kraft zu einer starken und wirtschaftlich erfolgreichen Demokratie gereift, und ist umso beunruhigter, dass China dieses zerstören will.

Aber ist der Ukraine-Krieg für China nicht auch ein abschreckendes Beispiel?

China wird den Konflikt mit Argusaugen beobachten und sich vermutlich täglich die Augen reiben, wie wehrhaft die Ukraine ist und wie die Europäer die Ukraine humanitär, wirtschaftlich aber auch mit schweren Waffen unterstützen. China wird klug genug sein, um die Rechnung aufzumachen, was passieren würde, wenn es Taiwan angreift und welch hoher Preis dafür wirtschaftlich langfristig zu bezahlen sein dürfte.

Sie haben in Taiwan gesagt, dass demokratische Gesellschaften zusammenstehen. Aber was heißt das, wenn China wirklich angreifen sollte?

Wenn Sie darauf anspielen, ob Deutschland in diesem Fall Waffen liefern sollte: Die Frage stellt in Taiwan keiner. Sie bauen auf die Unterstützung der USA und der Nachbarländern im Indopazifik. Was sie vom Westen erhoffen und erbitten ist, dass wir unsere Wirtschaftsbeziehungen zu China hinterfragen. Also unsere hohen Investitionen in China reflektiert und nicht die Augen zu verschließen, wie gefährlich es ist, dass gleichzeitig China aggressiv in deutsche Unternehmen und deutsche Infrastruktur investiert.

Braucht China unser Know-how überhaupt noch?

Unser technisches Know-how ist ganz wichtig für China. Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Es kann nicht im wirtschaftlichen Interesse Chinas sein, davon abgekoppelt zu werden.

Es gibt die Idee, sich von China zu entkoppeln. Das will aber eigentlich niemand und das geht wohl auch gar nicht. Wo müsste man ansetzen, um Abhängigkeiten abzubauen?

Handel wird es immer zwischen uns geben. Es geht aber um die Balance, Handel zu treiben, ohne sein eigenes Know-how zu verkaufen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn gerade jetzt ein großer deutscher Chemiekonzern in China zehn Milliarden Euro investiert …

Sie meinen BASF?

Genau, es geht um den Bau und Betrieb einer Produktionsanlage für technische Kunststoffverbindungen. Den Aktionär wird es möglicherweise erfreuen, weil hohe Gewinne erzielt werden sollen. Die Frage ist, ob das eine nachhaltige Investition ist, und ob es in der heutigen Zeit trotz höherer Kosten nicht nachhaltiger ist in Europa zu produzieren. Wir haben zu Beginn der Corona-Krise gesehen, wie abhängig wir uns von China machen. Nicht einmal ausreichend Masken konnten wir herstellen.

Gerade gab es einen Engpass bei Fiebersaft für Kinder.

Ein Beispiel: 40 Prozent der Gewinne, die Volkswagen heute generiert, entstehen durch das Engagement des Unternehmens auf dem chinesischen Markt. Das heißt auch, dass wir eine Menge Know-how an China verlieren. Chinesische Unternehmen machen sich das zunutze. Irgendwann fluten sie unseren Markt mit vergleichbaren günstigeren E-Autos, die auf unserer Technologie basieren. Ich erwarte von unseren Unternehmen, dass sie die Gewinne hinterfragen, die sie heute mit ihrem China-Geschäft machen.

Könnten wir uns im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan Sanktionen wie gegen Russland überhaupt leisten?

Wir sollten es im Falle eines Angriffs auf Taiwan einkalkulieren. Das muss auch China wissen. Die militärischen Drohgebärden Taiwan gegenüber sind inakzeptabel.

Im Koalitionsvertrag wird erstmals überhaupt die Taiwan-Frage erwähnt, aber auch an der Ein-China-Politik festgehalten. Sollte Deutschland Taiwan diplomatisch voll anerkennen und Botschafter austauschen?

Wir akzeptieren die Ein-China-Politik, aber mit zwei Systemen, das heißt konkret, dass Taiwan demokratisch regiert bleibt.

Man stößt immer an eine Grundsatzfrage: Mit wem sollte man eigentlich Handel treiben? Nur noch mit "den Guten"?

Wir werden mit China Handel betreiben, aber es gehören andere Prioritäten gesetzt und das bedeutet, verstärkt mit den Ländern Geschäfte zu machen, die unsere demokratischen Grundwerte teilen. Wir sollten auf mehr Freihandel setzen. So wie wir jetzt das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada ratifiziert haben, sollten wir mit den USA das Projekt TTiP abschließen und uns mit den ASEAN-Staaten wie Indonesien, Malaysia, Singapur und den Philippinen enger vernetzen.

Ihre Reise nach Taiwan wurde in Peking als Provokation aufgefasst. Auch der chinesische Botschafter in Berlin hat sich kritisch geäußert. War es das wert?

Dass der Botschafter keine Luftsprünge vor Freude macht, wenn wir nach Taiwan reisen, war keine Überraschung. Wir leben in einem freien Land und daher darf der chinesische Botschafter sich selbstverständlich not amused zeigen. Und weil wir in einem freien Land leben, werden wie als Parlamentarier auch in Zukunft dorthin reisen, wohin wir wollen, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten. Das ist Freiheit, so wie wir sie kennen und leben und erhalten wollen.

Hat Bundeskanzler Olaf Scholz Ihnen schon eine genervte SMS geschickt?

Es war eine Reise der Freien Demokraten und der Bundeskanzler wird mit Sicherheit so eine Reise nicht kommentieren. Es war für uns wichtig, Solidarität zu bekunden, gerade in diesen Zeiten. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein Angriff der Autokraten auf die freie Welt. Deswegen ist es elementar, dass wir die Ukraine unterstützen, und dass die Demokraten weltweit zusammenstehen. Das teilen wir ebenso mit den demokratischen Staaten auf der anderen Seite des Globus: Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea.

Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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