NS-Kriegsverbrechen in Italien Die meisten Mörder mussten sich nie verantworten
06.05.2023, 10:59 Uhr Artikel anhören
Am 12. August 1944 ermordeten deutsche SS-Soldaten fast 400 Frauen, Kinder und alte Leute in Sant'Anna di Stazzema.
(Foto: www.ns-taeter-italien.org)
Zwischen 1943 und 1945 verüben deutsche Soldaten in Italien zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung. Nur wenige Täter werden später vor Gericht gestellt. Ein "Täterprojekt" dokumentiert Interviews mit den Kriegsverbrechern.
Es gibt Ortsnamen, die jedem Italiener etwas sagen, aber kaum einem Deutschen. Sant'Anna di Stazzema ist so einer. Ein Bergort oberhalb einer der schönsten Küsten der Toskana, der Versiliana, die Musikliebhaber vielleicht wegen des Puccini-Musikfestivals in Torre del Lago kennen.
In Italien ist Sant'Anna di Stazzema ein Symbol, bekannt aus einem ganz anderen, furchtbaren Grund: Am 12. August 1944 ermordeten hier deutsche SS-Soldaten 392 Frauen, Kinder und alte Leute. Es war das zweitgrößte Massaker an Zivilisten während der deutschen Besatzungszeit in Italien zwischen 1943 und 1945. Die Opferzahl ist das Ergebnis der juristischen Ermittlungen seit 2005.
Diese Massaker haben insgesamt fast 20.000 Zivilisten in Italien das Leben gekostet, der Großteil ermordet von deutschen Soldaten der SS, der Wehrmacht, von Fallschirmjägern und Marine-Soldaten. Von Neapel nordwärts finden sich in vielen Orten Erinnerungstafeln an die deutschen Massaker.
Nach dem Massaker von Sant'Anna schrieb der Tagesbericht der Wehrmacht triumphierend, dass man "7 Munitionslager, eines davon in der Kirche, gesprengt und 270 Banditen niedergemacht" habe.
Was wirklich in Sant'Anna passiert ist, wussten die Soldaten sehr genau. Sie fanden keine Munition, nur wehrunfähige Frauen, Kinder und alte Leute. In der Kirche waren nur zwei alte, betende Frauen. Es war ein sinnloses Abschlachten wehrloser Zivilisten, die hier im Bergdorf Schutz von den Kämpfen an der Küste gesucht hatten.
Nach vier Stunden war das Massaker vorbei
Als ich im Jahr 2000 das erste Mal diesen Ort betrat, fand ich noch ein Dutzend Einwohner. Einige von ihnen waren Überlebende des Massakers. Seit damals war nie ein Schuldiger, ein Täter für das Massaker gefunden, geschweige denn verurteilt worden. Ich stand vor dem Bild der drei Wochen alten Anna Pardi, sie war das jüngste Opfer gewesen. 141 Dorfbewohner hatten die SS-Leute damals vor der Dorfkirche zusammengetrieben. Der SS-Offizier, der die vier Kompanien an jenem Morgen befehligte, verlangte vom Priester die Auslieferung der Männer, während die Dorfbewohner sich auf den Boden vor der Kirche setzten. Mit Ausnahme von sehr Alten und Behinderten waren die Männer des Dorfes geflohen, weil sie fürchteten, zum Arbeitsdienst gezwungen zu werden.
Für die Massaker, die deutsche Soldaten in Italien verübten, wurden nur sehr wenige der Täter vor Gericht gestellt. In Deutschland herrschte nach dem Krieg jahrzehntelang gesamtgesellschaftliches Schweigen über Täter und Taten. In Italien erschwerte der fehlende Zugang zu konkreten Informationen den Überlebenden und Hinterbliebenen lange die Bewältigung ihrer Traumata.
Am 4. Mai 2023 wurde in Rom das "Täterprojekt" der Öffentlichkeit vorgestellt: Es besteht aus einer Webseite, in der die Biografien der Täter nachverfolgt und die Massaker durchleuchtet werden - immer aus dem Blickwinkel der Opfer.
Auf der Projektseite sind auch die Interviews mit den Tätern in voller Länge zu sehen, dazu bislang unveröffentlichte Dokumente zu den Massakern. All das soll beitragen, zu verstehen, wie das alles geschehen konnte. Wie junge Leute 1944 glauben konnten, dass es richtig und rechtmäßig war, Zivilisten hinzuschlachten.
Das Projekt wird gefördert vom deutsch-italienischen Zukunftsfonds des Auswärtigen Amtes. Die Projektleitung haben Carlo Gentile und Udo Gümpel, der Autor dieses Textes.
Heute wissen wir, was dann passiert ist, aus den Aussagen beteiligter SS-Männer im späteren Prozess: Nach der Weigerung des Priesters, die Männer des Dorfes auszuliefern - er konnte es ja auch gar nicht -, gab der Offizier den Befehl "Feuer frei!". Die SS-Männer standen im Halbkreis vor dem Platz und schossen mit zwei schweren MGs und aus allen Handfeuerwaffen, wie die zahlreichen Patronenhülsen verschiedenster Kaliber auf dem Platz bewiesen.
Nach vier Stunden war das Massaker verübt und die SS rückte wieder ab ins Tal, nach Pietrasanta.
Mit dem Fall Priebke fing es an
Als ich mich 2000 in Sant'Anna di Stazzema mit Enrico Pieri traf, der als Junge die Erschießung seiner Familie in der Wohnküche überlebte, weil er sich im Abstellraum versteckt hatte, hatte ich als Deutscher Hemmungen, ihm gegenüberzutreten. Aber er beruhigte mich sofort. Er hege keinen Hass auf die Deutschen, er wollte nur wissen, wer ihm und seiner Familie das alles angetan hatte. Auch der Sprecher der Überlebenden, Enio Mancini, wollte nur eins: die Wahrheit.
Die wollten wir auch. Wenn einer von diesen Tätern noch leben sollte, dann wollten wir ihn finden. Natürlich keine Aufgabe, die ein Einzelner lösen konnte. Aus den Arbeiten von Christiane Kohl, der damaligen Italien-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung", wusste ich, dass sie bereits mit noch lebenden SS-Männern gesprochen hatte, die in Sant'Anna dabei gewesen waren. Also sprach ich mit meinem Kollegen René Althammer, der wie ich damals für die Redaktion des ARD-Magazins "Kontraste" arbeitete. Wir wollten wissen, warum die deutsche Justiz seit 1945 dieses und viele andere Massaker nie untersucht hatte.
Um den Stand der Ermittlungen im Jahr 2000 zu verstehen, muss ich einen Zeitsprung zurück machen. 1994 hatte der US-Journalist Sam Donaldson vom Sender ABC einen aus Italien nach Argentinien geflohenen ehemaligen SS-Offizier, Erich Priebke, gefunden und interviewt. Priebke war ein SS- und Gestapo-Offizier, der direkt an der Auswahl und Erschießung von 335 Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen in Rom am 24. März 1944 beteiligt gewesen war. Infolge der Recherchen von Donaldson wurde Priebke nach Italien ausgeliefert und 1998 zu lebenslanger Haft verteilt, die er bis zu seinem Tod 2013 allerdings im "Hausarrest" bei einem Freund verbringen durfte. Mit der Auslieferung Priebkes und dem Prozess gegen ihn begann eine neue Zeit der Ermittlungen gegen die deutschen Kriegsverbrecher.
Der "Schrank der Schande"
Denn 1994, bei der Suche nach den alten Ermittlungsakten gegen Priebke, fand man am Sitz der zuständigen Militär-Generalstaatsanwaltschaft in Rom 2274 alte, aber penibel geführte Ermittlungsakten wegen aller Arten von Kriegsverbrechen, darunter auch 695 Mordakten. Es waren Ermittlungen, die nie hätten eingestellt werden dürfen: Mord verjährt auch in Italien nicht. Der Aktenberg bekam sofort einen einprägsamen Namen: "Schrank der Schande", weil es eine Schande war, so viele Täter davonkommen zu lassen.
Wir Journalisten rechneten damit, dass nach dem Auffinden der Mordakten sehr bald die alten Fälle wieder eröffnet werden würden. Doch nichts passierte. Ende 1999 bemerkten wir: Die italienische Justiz war wieder in den alten Dornröschenschlaf zurückgefallen. Nur die kleine Militär-Staatsanwaltschaft von Turin hatte ermittelt und zwei deutschen Offizieren den Prozess gemacht. Diese zwei Fälle waren unsere Ausgangspunkte.
In Turin war Theo Saevecke verurteilt worden: Er war zwischen 1943 und 1945 SS- und Polizeichef von Mailand. Saevecke genoss mittlerweile in der Nähe von Osnabrück unbehelligt sein Rentnerdasein. In Turin wurde auch dem ehemaligen SS- und Polizeichef von Genua, Friedrich Engel, in Abwesenheit der Prozess gemacht.
Also fragten wir uns: Was unternimmt die deutsche Justiz nach den Prozessen in Italien? Wer ermittelt gegen all jene, die nach der Besetzung Italiens für diverse Massaker verantwortlich waren, deren Opfer meist Frauen, Kinder und Greise waren?
Wir zwei Journalisten machten uns, beraten von dem in Köln lebenden Historiker Carlo Gentile, auf den Weg durch die Archive in London und Washington, wo die Ermittlungsakten der United Nations War Crime Commission verwahrt werden, durch das deutsche Bundesarchiv, wo unzählige Akten zu eingestellten Ermittlungsverfahren lagern, durch Militärakten und Einsatzberichte, die penibel die Zahl der Toten aufführen.
Die lange Suche nach Namen
Über die alten alliierten Ermittlungsakten kamen wir zu den ersten Namen. Dann half uns ein Buch der 16. SS-Division, "Im gleichen Schritt und Tritt" - der Division, die am 12. August 1944 das Massaker in Sant'Anna verübt hatte. In dem Buch beschreiben die alten Kameraden die Zeit zwischen 1943 und 1945. Jedes Mal, wenn Angehörige der Division ein Massaker begangen haben, fehlen in der minutiösen Beschreibung der SS-Taten an jenen Tagen einige Namen. Das war zwar kein Beweis, aber eine Art negative Blaupause: Die wussten schon, warum sie diese Namen weggelassen hatten.
Unsere Recherche war eine Reise, auf der wir wunderbare Menschen kennenlernten, die als Kinder und Jugendliche ihre Familienangehörigen auf grausame Art verloren hatten und seit Jahrzehnten darauf warteten, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Die uns, den deutschen Journalisten, ihre Häuser öffneten und von den furchtbaren Ereignissen erzählten, die sie damals erlebt hatten.
Und wir begannen mit der Suche nach den Tätern. Oft vergeblich. Waren etwa Saevecke und Engel die letzten überlebenden SS-Täter gewesen? Nein, sagte Carlo Gentile. Der gebürtige Italiener beschäftigte sich damals bereits seit Jahren mit den Massakern in Italien. Bei vielen ehemaligen Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren, die meist zwischen 1915 und 1927 zur Welt gekommen waren, war die Wahrscheinlichkeit, sie lebend anzutreffen, groß, sofern sie den Krieg überlebt hatten. Man musste sie nur ausfindig machen, meinte er. So begann unsere Zusammenarbeit. Das sind die Wurzeln des Projektes.
In den Archiven fanden wir die alten Ermittlungsakten der UN War Crimes Commission der britischen und amerikanischen Militärpolizei, die noch während des Krieges Aussagen von Zeugen und vermutliche Täternamen gesammelt hatten. Namen, so wie die italienischen Zeugen sie verstanden hatten. Theo Saevecke wurde als verantwortlicher SS- und SD-Kommandant von Mailand für die Erschießung von 15 politischen Gefangenen in Mailand auf der Piazzale Loreto am 10. August 1944 verurteilt. Friedrich Engel war laut Turiner Urteil verantwortlich für die Erschießung von insgesamt 248 Gefangenen in vier verschiedenen Massakern, das erste am 7. April 1944, das letzte am 23. März 1945.
Saevecke war ein politisch interessanter Fall, wegen seiner Rolle in der deutschen Polizei nach 1945: Als Kriminalrat der Sicherungsgruppe war er 1962 direkt in den "Spiegel"-Skandal verwickelt. Doch er starb Ende 2000. Also konzentrierten wir uns auf Friedrich Engel, 1944 SS-Obersturmbannführer, SS- und SD-Chef von Genua.
Ins Telefonbuch schauten die deutschen Ermittler nicht
Wir fanden zwei Überlebende der von Engel angeordneten Erschießungen: Sie hatten unter dem Leichenberg überlebt. Am 12. April 2001 wurde die Recherche im Magazin "Kontraste" veröffentlicht. Während unserer Recherchen zu Engel lernten wir, dass schon Jahrzehnte zuvor gegen wenige mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher ermittelt worden war, sowohl von italienischen als auch von deutschen Behörden.
Aber kaum ein Fall war bis 2001 in Deutschland zur Anklage gekommen, viele Tatverdächtige durften sich quasi selbst entlasten - mit Unterstützung der damals zuständigen Staatsanwälte. Engel war unser Anlass, tiefer in den Archiven zu schürfen und auch die Arbeit der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, extra geschaffen für die Verfolgung von NS-Gewalttaten, genauer unter die Lupe zu nehmen - auch in Bezug auf den Fall Engel.
Italien hatte die deutschen Behörden, wie wir erfuhren, von den Ermittlungen im Fall Engel unterrichtet, sogar um Rechtshilfe gebeten. Doch in den deutschen Akten hieß es, Engel sei nicht aufzufinden gewesen. Ein Beispiel, das bis heute sprachlos macht, denn Engel stand im Hamburger Telefonbuch. Als wir den Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg damit konfrontierten, erklärte er lapidar, man suche Verdächtige nicht in Telefonbüchern.
Engel musste sich schließlich 2002 einem Verfahren in Hamburg stellen und wurde in erster Instanz wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes verurteilt. Doch die Genugtuung der Opfer währte nicht lange, der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf. Aus Altersgründen kam es nicht mehr zu einer neuen Verhandlung. Aber das Urteil zeigte: Die alten Kriegsverbrechen konnten und mussten nach deutschem Recht verfolgt werden.
Ein Tipp führt zu Gerhard Sommer
Wir setzten unsere Recherchen fort. Wir wollten vor allem für das Massaker von Sant'Anna di Stazzema wissen, ob es noch Mittäter gab und was aus ihnen geworden war. Die Basis unserer Ermittlungen waren wieder die alten Akten der Alliierten, aus denen die beteiligten Einheiten hervorgingen. Die italienischen Akten, von denen wir heute wissen, dass sie perfekt geführt waren, blieben uns verschlossen.
Der Rest war Handarbeit im Bundes- und Militärarchiv sowie bei den damals noch aktiven Kameradschaftsverbänden der Waffen-SS. Und wir suchten weiter nach alten Ermittlungsakten aus den 60er und 70er Jahren, die die Haltung der Nachkriegsjustiz widerspiegelten. Immer wieder stießen wir auf interesselos geführte Ermittlungsverfahren, Akten, die die Namen von Tatverdächtigen enthielten, sorgsam aufbewahrt im Bundesarchiv. Stück für Stück fügte sich alles, entstanden Namenslisten - auch zu den Angehörigen der 16. SS-Division Reichsführer SS, die am Massaker in Sant'Anna am 12. August 1944 beteiligt gewesen war.
Ein Name stach besonders hervor, ein Allerweltsname, den die Behörden nicht hatten identifizieren können: Gerhard Sommer, SS-Untersturmführer, der eine der Kompanien in Sant'Anna geführt hatte. Wir bekamen einen Tipp, wo er leben sollte. Ohnehin galt die Regel, dass die alten Herren fast immer an ihre Geburtsorte zurückgekehrt waren. Sommer wohnte seit Kriegsende in Hamburg. 2002 trafen wir ihn in einer ruhigen Wohnstraße in Hamburg-Volksdorf - beim Schneeschippen.

Als Udo Gümpel (l.) und René Althammer 2002 Gerhard Sommer mit seiner Vergangenheit konfrontierten, reagierte der unwirsch: "Da sollen die ermitteln, da kann ich nichts gegen machen, aber ich hab' keine Lust, mich jetzt noch dazu zu äußern, für mich ist diese Zeit erledigt, ich habe keinen Grund, mir Vorwürfe zu machen, ich hab ein absolut reines Gewissen, ich möchte Sie bitten, das Grundstück zu verlassen!"
(Foto: Udo Gümpel)
Das Ergebnis unserer Recherchen zeigten wir am 11. April 2002, wieder bei "Kontraste". Die Sendung wirkte wie ein Schock, vor allem in Italien. Denn die mutmaßlichen Mittäter waren zwar alt, aber bei guter Gesundheit. Alle leugneten ihre Beteiligung.
Vier Tage nach unserem Bericht kam ein neuer Militär-Staatsanwalt in der für die Ermittlungen zu den Massakern wichtigsten Staatsanwaltschaft in La Spezia ins Amt: Marco de Paolis. Unter seiner Leitung wurde in Italien endlich energisch ermittelt. Das Ergebnis: 17 Prozesse mit insgesamt noch 80 Tatverdächtigen. Erst kürzlich, am 4. Mai 2023, erzählte de Paolis in Rom bei der offiziellen Eröffnung der Webseite von seinen Anfängen als Staatsanwalt: "Die erste Person, die ich nach meiner Ernennung sofort um eine Aussage gebeten habe, als eine 'von den Umständen informierte Person', war Udo Gümpel, dann die beiden Historiker Paolo Pezzino und Carlo Gentile."
Keine Reue
Auch der SS-Kompanieführer von Sant'Anna, Gerhard Sommer, wurde in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Mutmaßlich war Sommer der Offizier, der auf dem Kirchplatz von Sant'Anna den Befehl "Feuer frei" für die Maschinengewehr-Schützen gegeben hatte. Die Leichen, so erzählten es Überlebende, hatte man danach mit den Kirchbänken übertürmt und angezündet.
Unser letzter Besuch galt einem Wehrmachtsoffizier: Klaus Konrad. Er war dringend verdächtig, am 12. Juli 1944 an der Ermordung von 65 Menschen beteiligt gewesen zu sein. Nachdem wir uns sicher waren, dass er bei guter Gesundheit war, warteten René Althammer und ich mit einem Kamerateam an der Seite, bis Konrad spazieren ging. Konrad war gesprächiger als erwartet und lud uns in sein Haus ein, "gegen den ausdrücklichen Rat" seines Anwalts, wie er betonte. Nach all den Massaker-Geschichten im Fernsehen hatte Konrad uns schon erwartet: Jetzt wollte er den Fall aus seiner Sicht schildern. Der damalige Ehrenvorsitzende der SPD im Kreisverband Ostholstein war erschreckend offen: Das Massaker bedauere er erst, so sagte er uns, "seit die Italiener mich am Kanthaken haben". Klaus Konrad starb 2006, bevor das Verfahren in Italien gegen ihn abgeschlossen werden konnte.
Im "Täterprojekt" kann man die Interviews mit den Herren, die als vollkommen unbescholtene Bürger auftraten, anschauen. Was auffällt, ist ihre Unfähigkeit, mit der eigenen Vergangenheit abzurechnen, eine zum Teil klar bekannte Schuld auch wirklich zu bereuen. Auch wenn vielleicht ein Grund, mit uns zu sprechen, der insgeheime Wunsch war, reinen Tisch zu machen, sich vor der Geschichte zu rechtfertigen.
Die schrecklichen Bilder aus Butscha, die Massenmorde an ukrainischen Zivilisten, zeigen die besondere Aktualität des Projektes: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
Quelle: ntv.de