Rheinmetall baut drei Fabriken Wie Ungarn zur Rüstungs-Drehscheibe werden will
09.03.2023, 10:46 Uhr (aktualisiert)
Der Lynx ist der neueste Schützenpanzer von Rheinmetall. Über 200 Modelle hat Ungarn bestellt.
(Foto: imago images/CTK Photo)
Ungarn liefert keine Waffen an die Ukraine, will sich aus dem Krieg im Nachbarland raushalten. Ein Pazifist ist Viktor Orban deshalb aber noch lange nicht - im Gegenteil: Der ungarische Ministerpräsident will die Rüstungsindustrie im eigenen Land deutlich stärken, auch mit der Hilfe von Rheinmetall.
Der Düsseldorfer Rüstungsriese Rheinmetall baut derzeit gleich drei neue Fabriken in Ungarn. Dort sollen Panzer, Munition und Sprengstoff hergestellt werden - der Grundstein für eine "aufstrebende ungarische Verteidigungsindustrie", schreibt das Wirtschaftsmagazin Bloomberg. Regierungschef Viktor Orban will Ungarn demnach zu einem wichtigen Waffenexporteur formen.
Aber nicht, um der Ukraine zu helfen. Militärhilfe fürs Nachbarland würde Ungarn in Russlands Krieg hineinziehen, begründet Orban seine momentane Weigerung. Deshalb sind die Ungarn aber noch lange keine Pazifisten. Das lukrative Kriegsgeschäft will sich Budapest jedenfalls nicht entgehen lassen. "Die Rüstungsindustrie spielte eine eher untergeordnete Rolle für die ungarische Wirtschaft. Ich denke aber, dass sich das bald ändern wird", sagt Andreas Bock, Ungarn-Analyst bei der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Mit den neuen Rheinmetall-Fabriken werde Ungarns Rüstungsindustrie deutlich ausgebaut, "um einerseits die eigene Armee aufzurüsten und andererseits aber auch Rüstungsgüter an EU- und NATO-Länder zu exportieren", analysiert Bock.
Autobranche als Blaupause für Rüstungsindustrie
Der Rüstungssektor soll eine Kernindustrie der ungarischen Wirtschaft werden - sozusagen als zweites Standbein neben der Autobranche. Die Werke von BMW, Mercedes und VW sind längst zu einem "Dreh- und Angelpunkt der lokalen Wirtschaft" geworden, urteilt Bloomberg. Die Zusammenarbeit mit den deutschen Autobauern soll als Blaupause für die Zusammenarbeit mit Rheinmetall dienen.
Auf politischer Ebene sind Budapest und Berlin in den vergangenen Jahren mehrfach heftig aneinandergeraten. Der EU-Haushalt, Korruptionsvorwürfe oder Ungarns Reaktion auf den Ukraine-Krieg sorgten für Streit. Abseits der Politik dagegen ist die "Umarmung zwischen dem ungarischen Premierminister und deutschen Wirtschaftsbossen immer enger geworden", analysiert Bloomberg.
"Es ist offensichtlich, dass es jenseits dieser Querelen durchaus ein enges Verhältnis zwischen Ungarn und der deutschen Wirtschaft gibt", weiß auch Experte Andreas Bock. "Deutschland ist Ungarns Wirtschaftspartner Nummer eins, sowohl im Handelsaustausch als auch bei den Investitionen."
Die Differenzen zwischen Ungarn und Deutschland auf politischer Ebene, die Korruptionsprobleme und die Aushöhlung der Justiz sind für die großen deutschen Konzerne offenbar kein Problem. Sie investieren immer stärker in Ungarn, vor allem seit 2010, seitdem Orban erneut Ministerpräsident ist. Erst voriges Jahr kündigten Mercedes und BMW weitere Milliarden-Investitionen an - in einer Zeit, in der die EU Gelder für Ungarn eingefroren hat.
"Trotz großer Bedenken wegen Korruption und des Zustands der Rechtsstaatlichkeit, tragen gute Standortfaktoren dazu bei, die Unternehmen anzulocken. Wir reden hier von über 2500 deutschen Herstellern und mehr als 200.000 beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ungarn", berichtet Bock im Podcast. Bei aller Kritik biete Ungarn großen Unternehmen wie Rheinmetall enorme Vorteile. "Ganz wichtig sind die vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten, gut ausgebildetes Personal, eine niedrige Körperschaftssteuer und staatliche Förderungen."
Joint Venture mit dem ungarischen Staat
Rheinmetall will für den Bau der drei neuen Fabriken immerhin einen "dreistelligen Millionenbetrag" in Ungarn investieren, teilt der Konzern mit. Der hochmoderne Schützenpanzer Lynx soll in einer der drei neuen Fabriken produziert werden. Ungarn hat 218 davon bei Rheinmetall bestellt. "Die Besonderheit ist, dass es sich bei den Rheinmetall-Fabriken in Ungarn um ein Joint Venture mit dem ungarischen Staat handelt. Die neuen Werke werden in einem Gemeinschaftsunternehmen mit einer staatlichen ungarischen Holding betrieben", erklärt Bock. Für Rheinmetall sei im Gegenzug die Planungssicherheit ein großes Plus, weil Ungarn direkt mehr als 200 Schützenpanzer bestellt hat.
Ungarn zahlt die Kosten für den Bau der drei neuen Rheinmetall-Werke und wird im Gegenzug an den Gewinnen beteiligt. Das ist der Deal zwischen der ungarischen Regierung und dem deutschen Rüstungsriesen.
Erwartet wird, dass die erste der neuen Fabriken in Ungarn im Juli die Massenproduktion aufnimmt. In den beiden anderen Werken soll ab 2024 Munition für den neuen Schützenpanzer hergestellt werden. Außerdem Geschosse für den Leopard-2-Kampfpanzer und für die Panzerhaubitze 2000.
Möglich ist auch, dass trotz der aktuellen Verweigerungshaltung eines Tages ausgerechnet in Ungarn Nachschub für die Ukraine produziert wird. Rheinmetall-Vorstandschef Armin Papperger hatte kürzlich im "Handelsblatt" angekündigt, in "15 bis 18 Monaten" den Panther, einen hochmodernen Panzer der nächsten Generation, für Kiew zu produzieren. Diskutiert wird der Bau eines Panzerwerks direkt in der Ukraine, als alternative Produktionsstätten nennt Rheinmetall aber auch Deutschland und Ungarn.
Mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine
Ungarn könnte zu einer Art europäischer Rüstungs-Drehscheibe aufsteigen. Wirtschaftlich wäre das ein Segen fürs Land, der aber auch zu einem Problem für Premierminister Orban werden könnte. Und zwar dann, wenn Rheinmetall in den neuen Fabriken Waffen für die Ukraine produziert und diese dann ausgerechnet aus Ungarn ins Nachbarland geliefert werden würden. Ungarns Premierminister könnte dann innenpolitisch in Erklärungsnot kommen. "Wenn Ungarn durch diese Fabriken zu einer Art Waffenzentrum aufsteigt, muss man sich natürlich schon die Frage stellen, ob diese dort produzierten Waffen irgendwann auch an die Ukraine geliefert werden könnten", sagt Bock bei "Wieder was gelernt".
Ungarns Verteidigungsminister Kristof Szalay-Bobrovniczky betont, dass die Produktion im ersten Jahr auf jeden Fall für den ungarischen Bedarf ist. Ob es irgendwann tatsächlich zu Waffenlieferungen in die Ukraine kommt, sei derzeit völlig unklar, macht Bock deutlich. "Ungarn hat zu Beginn des Kriegs beschlossen, keine Waffen in die Ukraine zu liefern. Das ist noch immer die offizielle Haltung der ungarischen Regierung. Auch wenn es in Ungarn lockerere Exportregeln gibt als etwa in Deutschland."
Zunächst gehe es Budapest und ihrem deutschen Rüstungspartner darum, die ungarische Armee aufzurüsten. So ist es vertraglich auch vereinbart. Für möglich hält Andreas Bock, dass statt Panzern aber vor allem Munition aus den ungarischen Rheinmetall-Werken in die Ukraine geht, sobald die Produktion in den anderen beiden geplanten Rheinmetall-Fabriken nächstes Jahr angelaufen ist.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 07. März 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de