Krieg im Kongo EU uneins über Truppe
30.10.2008, 16:37 UhrDie Lage in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma ist trotz eines einseitig ausgerufenen Waffenstillstands des Rebellen-Generals Laurent Nkunda weiter angespannt. Die Regierungstruppen in der Stadt seien "außer Kontrolle", berichteten Vertreter der Vereinten Nationen. Ein Reporter des britischen Senders BBC sprach von Plünderungen durch Regierungssoldaten. Tausende Flüchtlinge, die Goma erst in den vergangenen Tagen erreicht hatten, versuchten, die Stadt zu verlassen. Nach Angaben des Roten Kreuzes ist ihre Lage "katastrophal". Ein Krankenhaus in Katindo sei geplündert.
Nkundas Rebellen hatten am Wochenende eine neue Offensive begonnen und das kongolesische Militär innerhalb weniger Tage aus mehreren Städten der Region Nord-Kivu vertrieben. Die schweren Kämpfe lösten eine Massenflucht von zehntausenden Zivilisten aus, die teilweise auch ins benachbarte Uganda flohen. Seit Mittwochnachmittag stehen die etwa 7000 Mann starken Rebellen-Truppen vor Goma. Nkunda hatte am Abend erklärt, er habe eine Feuerpause angeordnet, um eine weitere Destabilisierung der Situation zu verhindern.
"Wenn die Armee schießt, werden wir zurückschießen", betonte der Rebellen-General allerdings am Morgen in einem BBC-Interview. Er ließ offen, ob er in Goma einmarschieren oder seinen Kampf in anderen Regionen des Landes fortsetzen wolle. Obwohl er anstrebe, "die ganze Bevölkerung des Kongo zu befreien", plane er keinen Marsch auf die Hauptstadt Kinshasa.
US-Beauftragte auf dem Weg
Der UN-Sicherheitsrat verurteilte einstimmig den Rebellen-Vorstoß und forderte Tutsi-Rebellenführer Nkunda dazu auf, die Kampfhandlungen einzustellen. Nach UN-Angaben patrouillieren derzeit rund 800 UN-Blauhelmsoldaten der Friedenstruppe MONUC in Goma. Die Truppen sollen laut UNO in den kommenden Tagen verstärkt werden, um die Zivilisten in der Stadt zu schützen. Der UN-Sicherheitsrat warnte die Rebellentruppen: Jeglicher Angriff auf die Zivilbevölkerung sei "absolut inakzeptabel".
Die US-Spitzendiplomatin Jendayi Frazer ist unterdessen als Beauftragte der US-Regierung in den Kongo gereist, um bei der Beendigung der Gewalt zu helfen. "Sie wird versuchen, eine friedliche Lösung des Konflikts voran zu bringen", sagte der Sprecher des US-Außenministerium, Robert Wood, in Washington. Sie werde in Kinshasa mit Kongos Präsident Joseph Kabila zusammentreffen und vermutlich auch nach Ruanda zu Präsident Paul Kagame reisen. US-Außenministerin Condoleezza Rice hatte den Angaben zufolge am Mittwoch mit Kagame telefonisch gesprochen.
Wieczorek-Zeul: Nicht wieder zusehen
Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) forderte angesichts der Eskalation im Kongo mehr Blauhelmtruppen für das Land. Die Vereinten Nationen hätten eine Verpflichtung, die Zivilbevölkerung vor Gewalt zu schützen, sagte die Ministerin im rbb-Inforadio. Die Welt habe 1994 zugesehen, als die UN mehr Hilfe verlangt hätten, um den Völkermord in Ruanda zu verhindern. "Da hat die Welt versagt. Noch einmal darf die Welt nicht versagen", betonte Wieczorek-Zeul. Ob Deutschland sich an einer Friedenstruppe für den Kongo beteiligen werde, könne sie nicht sagen.
EU uneins über Entsendung einer Kampftruppe
Die Forderung des französischen Außenministers Bernard Kouchner nach der Entsendung einer 1500 Mann starken EU- Truppe in den Ost-Kongo ist in der Europäischen Union auf Zurückhaltung oder gar Ablehnung gestoßen. "Vorrangig ist es unserer Ansicht nach, diplomatischen Druck auszuüben", sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. EU-Chefdiplomat Javier Solana traf in Paris mit Kouchner zusammen, der derzeit auch dem EU-Außenministerrat vorsitzt.
Kouchner sagte inzwischen, die Soldaten sollten nicht an der Seite der UN-Blauhelmsoldaten kämpfen, sondern humanitäre Hilfe leisten. Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU, dem ranghohe Diplomaten aus den 27 EU-Staaten angehören, soll Kouchner zufolge noch am Donnerstagnachmittag oder Freitagvormittag in Brüssel über die Entsendung beraten. Es gehe darum, Hilfslieferungen nach Goma sicherzustellen.
Politische Lösung hat Priorität
Während Belgien den französischen Vorstoß unterstützte, reagierten andere EU-Staaten ablehnend, unter anderem Deutschland und Großbritannien. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte in Berlin, für die Bundesregierung habe eine politische Lösung Priorität.
"Die EU wird alles tun, was sie kann. Aber zunächst einmal geht es vor allem um diplomatischen Druck", hieß es in Brüssel. Zudem umfasse die UN-Truppe (MONUC) rund 17.000 Soldaten: "Das ist eine erhebliche Zahl. Die unmittelbare Verantwortung liegt bei den Vereinten Nationen." Dem Vernehmen nach hat Solana seit Mittwoch mehrfach mit den Präsidenten Joseph Kabila (Kongo), Kgalema Motlanthe (Südafrika), UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und dem ruandischen Regierungschef Paul Kagame gesprochen. Kagame gilt als wichtigster Unterstützer des kongolesischen Rebellengenerals Laurent Nkunda.
Die EU hatte zuletzt in der zweiten Jahreshälfte 2006 rund 2400 Soldaten aus den EU-Staaten zur Absicherung des Wahlkampfes im Kongo entsandt. Deutschland stellte 780 Soldaten, von denen die meisten in der Hauptstadt Kinshasa stationiert wurden. Die EU-Truppe wurde Ende November 2006 abgezogen.
Vier Millionen Euro Soforthilfe aus der EU
Inzwischen hat die EU eine Nothilfe in Höhe von vier Millionen Euro für die Flüchtlinge und Vertriebenen im Osten des Kongos bereitgestellt. "Wir stehen vor einer kritischen humanitären Lage", sagte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Die Bevölkerung der Stadt Goma fliehe nach Bukavu an das südliche Ende des Kivu-Sees. Mindestens 250.000 Menschen seien obdachlos unterwegs. Die EU-Behörde für Katastrophenhilfe (ECHO) leite nach wie vor Hilfsflüge in verschiedene Orte der Region und sei bereit, diese auch zu verstärken.
Quelle: ntv.de