"Blauer Brief" wegen Staatsdefizit Eichel will Annahme verweigern
06.02.2002, 07:58 UhrBundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) will keine Nachhilfe aus Brüssel und kündigte deshalb offiziell Widerstand gegen den von der EU-Kommission angekündigten "blauen Brief" an Deutschland an. Eichel werdebei der Sitzung der EU-Finanzminister kommende Woche in Brüssel deutlich machen, dass er eine Frühwarnung für ungerechtfertigt halte, erklärte eine Sprecherin des Finanzministers.
Ohnehin verdichten sich die Anzeichen, dass die EU-Kommission auf die Absendung des Briefs verzichten wird. Eichel sei nach der bloßen Ankündigung schon genug gewarnt, so die Meinung in Brüssel. Unter Berufung auf Mitglieder des EU-Währungsausschusses meldet die "Rheinische Post", alles spreche dafür, dass der Finanzministerrat die deutschen Etatzahlen diskutieren, den "blauen Brief" aber nicht absenden werde. Der Zweck, den die Kommission mit dem Brief erzielen wollte, sei inzwischen erfüllt. Deutschland betrachte sich bereits als - wenn auch zu Unrecht - ermahnt und habe reagiert.
Gestern war aus politischen Kreisen in Rom verlautet, die Bundesregierung sammele offenbar Verbündete unter den anderen EU-Staaten, um die vorgeschlagene Frühwarnung wegen des hohen deutschen Staatsdefizits zu verhindern. Italien, Großbritannien und Spanien versuchten gemeinsam, die Warnung beim EU-Finanzministertreffen abzuwenden, hieß es in den Kreisen.
Differenzen auch innerhalb der Koalition
Im Streit um den "blauen Brief" gibt es offenbar auch Differenzen in der Koalition. Er persönlich würde sich wünschen, dass am 12. Februar der EU-Finanzministerrat entscheidet, dass Deutschland den "blauen Brief " bekommt, sagte der haushaltspoliitische Sprecher der Grünen, Metzger, am Morgen im ZDF.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte am Montag in der Zeitung "International Herald Tribune" der EU-Kommission "andere Gründe als ökonomische" vorgeworfen.
Die EU-Kommission geht 2002 von einem Anstieg der Defizitquote der deutschen staatlichen Haushalte auf 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Die Bundesregierung erwartet 2,5 Prozent. Laut Vertrag von Maastricht darf die Defizitquote nicht höher als 3,0 Prozent sein. Nähert sich ein Land dieser Grenze, wird es förmlich gerügt, übertritt es sie, werden Strafen fällig. Straffrei ist die Defizitquote nur zu überschreiten, wenn das BIP um 0,75 Prozent oder mehr sinkt.
Quelle: ntv.de