Frust nach Putins Wiederwahl Ein Fünftel der Russen will weg
06.06.2013, 14:55 Uhr
Straßenszene in Nowosibirsk: Viele Russen wollen der Perspektivlosigkeit in ihrem Land entfliehen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Immer mehr Russen sind mit der politischen Entwicklung in ihrem Land so unzufrieden, dass sie ihr Heimat einer Umfrage zufolge am liebsten hinter sich lassen würden. Neben vielen Studenten gehören auch Prominente zu den Ausreisewilligen.
Nach der Rückkehr von Wladimir Putin als Präsident wollen immer mehr Russen nach einer Umfrage ihr Land verlassen. 22 Prozent der Befragten seien bereit, aus Frust über die Zustände in Russland zu emigrieren, teilte das Meinungsforschungszentrum Lewada mit. Die Zahl der Ausreisewilligen stieg demnach seit 2009 um fast zehn Prozentpunkte. Damals war Putins Ziehsohn Dmitri Medwedew Kremlchef. Vor allem Studenten und Spezialisten wünschen sich der Umfrage zufolge eine Existenz im Ausland.
Die Gegner von Putin hatten bei seiner Rückkehr in den Kreml im vergangenen Jahr solche Stimmungstendenzen vorhergesagt. Unter den 1600 Befragten, wollten nach Angaben von Lewada vor allem diejenigen ihrer Heimat den Rücken kehren, die Putin nicht gewählt hatten. Als Gründe nannten sie den Mangel an Perspektiven, die instabile Wirtschaftslage und den fehlenden Schutz vor Behörden- und Justizwillkür. Westliche Diplomaten bestätigen ebenfalls, dass die Zahl der Ausreiseanträge seit Putins neuer Präsidentschaft spürbar zugenommen habe.
Aus Angst vor politischer Verfolgung hatte zuletzt der Spitzenökonom Sergej Gurijew das Land in Richtung Frankreich verlassen. Nun erklärte auch Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow in Genf, vorerst nicht in seine Heimat zurückzukehren zu wollen. "Ich habe ernste Zweifel, dass ich bei einer Rückkehr nach Moskau das Land wieder verlassen kann. Ich verzichte für den Moment darauf", erklärte der Oppositionelle. Kasparow hatte am Vortag der Vereidigung von Präsident Wladimir Putins am 7. Mai 2012 an einer Großkundgebung der Opposition in Moskau teilgenommen. Inzwischen stehen mehrere Teilnehmer dieser Kundgebung vor Gericht.
Umfrageinstitut als "ausländischer Agent" gebrandmarkt
Das Lewada-Zentrum hat schon im Mai kritische Erfahrung gemacht. Russlands einzigem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut droht wegen ausländischer Fördergelder die Schließung durch die Justiz. Die Staatsanwaltschaft in Moskau wirft dem Institut "politische Betätigung" vor und forderte es auf, sich selbst als "ausländischen Agenten" zu brandmarken. Ein umstrittenes "Agentengesetz" fordert von allen Nichtregierungsorganisationen, die Geld von außerhalb Russlands erhalten, sich als "ausländische Agenten" zu bezeichnen. Bürgerrechtler fürchten, als Spione verfolgt zu werden.
"Wir werden uns unter keinen Umständen als Agent registrieren lassen", sagte Lewada-Leiter Lew Gudkow. Das 2003 gegründete Institut gilt wegen seiner kritischen Analysen als wichtiger Gradmesser für gesellschaftliche Entwicklungen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erneuerte ihre Kritik an dem Gesetz. "Das Vorgehen der russischen Führung gegen die Zivilgesellschaft hat ein tiefgreifendes feindliches Klima für Menschenrechtler geschaffen", teilte HRW mit.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP