Enrico T. im NSU-Prozess Ein sperriger Zeuge und ein Kindermord
02.07.2014, 08:42 Uhr
Enrico T. im März in München.
(Foto: picture alliance / dpa)
Enrico T. ist ein schweigsamer Zeuge vor Gericht. Doch bei einer polizeilichen Vernehmung kommt er ins Plaudern - ausgerechnet über einen Fall, nach dem er gar nicht gefragt wurde. T. behauptet, NSU-Terrorist Böhnhardt habe ein Kind getötet.
Bei seiner ersten Vernehmung im Münchner NSU-Prozess fiel Enrico T. irgendwie nichts zu den gestellten Fragen ein. Nichts dazu, ob er irgendetwas mit der Ceska 83 zu tun hat, die als Tatwaffe bei neun der NSU-Opfer verwendet wurde. Auch nichts zu seiner alten Freundschaft mit Uwe Böhnhardt.
Schon der Versuch T. zu vernehmen, erwies sich bisher als echte Herausforderung. Im Februar erschien T. nicht, stattdessen machte er mit einem Freund in Thailand Urlaub. Im März konnte T. trotz Ladung wieder nach Hause fahren, weil die Gefahr bestand, er könnte sich mit seinen Aussagen selbst belasten. Und im April mauerte T. schließlich so sehr, dass Richter Manfred Götzl schließlich der Geduldsfaden riss. Es wäre eine große Überraschung, wenn sich T. im Juli nun plötzlich als hilfreicher Zeuge erweisen würde.
Denn T. hat allen Grund, den Ermittlern möglichst wenig Konkretes zu liefern. Erst kürzlich bestätigte die Geraer Staatsanwaltschaft, dass im Fall eines Kindermordes aus dem Jahr 1993 erneut Spuren ausgewertet würden. Dabei geht es um den Tod des damals neunjährigen Bernd, der am 6. Juli 1993 in Jena Lobeda-West verschwand und zwölf Tage später tot aufgefunden wurde. Die Leiche des kleinen Bernd lag am Ufer der Saale, ganz in der Nähe fanden Polizisten einen weißen Außenbordmotor.
Kriminelle Freunde?
Der Motor gehörte keinem anderen als Enrico T., der jedoch aussagte, dass ihm sein Boot und der dazugehörende Motor schon vor dem Tatzeitpunkt gestohlen worden seien. Danach blieben alle Ermittlungen erfolglos, auch eine Darstellung des Falles in der Sendung "XY ungelöst" im September 1994 erbrachte keine weiteren Erkenntnisse. Enrico T. schien ebenso unbeteiligt an der Tat wie sein Kumpel und früherer Mitschüler Uwe Böhnhardt. Mehr als 20 Jahre später ist noch immer unklar, wie Bernd ums Leben kam. Auch ob er Opfer eines Sexualverbrechens wurde, verschweigt die Polizei mit dem Hinweis darauf, kein Täterwissen preisgeben zu wollen.
Doch nach dem Auffliegen des NSU spricht die Polizei im April 2012 wieder einmal mit Enrico T. Diesmal geht es um seine Kontakte zu Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos - und dabei vor allem um die Frage, ob er geholfen habe, die Ceska 83 zu besorgen. T. will damit nichts zu tun gehabt, nicht einmal "rechts" gewesen sein. Als die Vernehmer schon keine Fragen mehr haben, möchte T. selbst noch etwas "ergänzen", und zwar zum Fall Bernd B. Völlig überraschend verkündet T. seine Vermutung, Böhnhardt könnte etwas mit dem Tod des Jungen zu tun haben.
"Der Uwe" habe aus Zeiten gemeinsamer krimineller Unternehmungen gewusst, wo sein Boot lag. Tatsächlich wurde Böhnhardt Anfang 1993 wegen mehrerer Diebstähle und Körperverletzung zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt. Kurz vor dem Mord im Juni war er jedoch wieder frei. Im gleichen Jahr musste sich T. dafür verantworten, dass er versucht hatte, mit einem Radlader in eine Sparkasse einzubrechen. Doch nach einigen möglicherweise gemeinsam gedrehten Dingern, soll es zwischen Böhnhardt und T. zum Streit gekommen sein. Böhnhardt soll versucht haben, T. den Mord an Bernd in die Schuhe zu schieben. Nun ist Böhnhardt tot und T. revanchiert sich. "Ich will das hier sagen, damit sich jemand mal Gedanken macht", sagt T. den Ermittlern. "Ich lebe damit seit dieser Zeit und möchte das hier erzählen."
Bei ihren Ermittlungen stoßen die Beamten überraschenderweise auf eine weitere Aussage, die einen Bezug zu Bernds Tod hat. Thomas B., der Anfang der 1990er Jahre Kontakt zu Enrico T. hatte, war am 3. April 2012 befragt worden. B. berichtete nicht nur von Autodiebstählen, Einbrüchen und Mopedtouren ohne Führerschein, sondern auch vom zunehmenden Abgleiten Böhnhardts in die Kriminalität. "Böhnhardt war wie eine Bombe. In einem Moment hat er noch gelacht, im nächsten Moment war er voll aggressiv", schildert B. den damals 15-Jährigen. Und auch zu T. fällt ihm noch etwas ein: "Soweit ich mich erinnern kann, stand T. auch auf kleine Kinder."
Gemeinsam mit dem BKA werden inzwischen die damals am Ufer der Saale gesammelten Spuren erneut untersucht. Als Bernd starb, galt die DNA-Analyse noch als Methode der Zukunft, erst seit 1997 ist der genetische Fingerabdruck als Beweismittel zugelassen. Der Oberstaatsanwalt von Gera, Thomas Villwock, verwies nach Bekanntwerden der neuen Ermittlungen ausdrücklich auf die sich "weiter entwickelnden forensischen Untersuchungsmethoden". Nun könnten gebrauchte Taschentücher, Flaschen oder Fahrscheine Bernds Mörder doch noch überführen. Und Enrico T. wäre möglicherweise erleichtert, wenn es bei den Fragen vor Gericht ausschließlich darum ginge, möglichst wenig mit der Ceska 83 in Verbindung gebracht zu werden.
Quelle: ntv.de