Der Kriegstag im Überblick Entsetzen über "Kriegsverbrechen" - Angriffe im Süden
03.04.2022, 21:17 Uhr
Mit Entsetzen blickt die Welt auf Bilder und Berichte über russische Gräueltaten.
(Foto: REUTERS)
Aus den befreiten Orten der Region Kiew kommen immer neue Bilder über die Gräueltaten der russischen Armee. Die westliche Staatengemeinschaft reagiert geschockt und stellt neue Sanktionen in Aussicht. Derweil forciert Moskau wie erwartet am 39. Kriegstag die Attacken im Süden des Landes.
Leichen auf den Straßen, ausgebrannte Autos, rußgeschwärzte Häuser ohne jeden Bewohner: Der Abzug der russischen Truppen aus der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat das Ausmaß der Gräueltaten an der Zivilbevölkerung sichtbar gemacht. Nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft wurden in den Kiewer Vorstädten bisher 410 Bewohner tot geborgen. Die Bilder vor allem aus der Vorstadt Butscha lösten international Entsetzen aus.
Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte weitere Sanktionen gegen Russland an. "Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen", sagte er. Deutschland werde der Ukraine weiter Waffen liefern, damit diese sich gegen Russland verteidigen könne. "Die Ermordung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen. Diese Verbrechen der russischen Streitkräfte müssen wir schonungslos aufklären", sagte Scholz. Er sprach von grauenhaften Nachrichten und verlangte, dass internationale Organisationen Zugang zu den Gebieten nördliche von Kiew bekommen und die Taten dokumentieren müssten. Ähnlich hatten sich zuvor Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner geäußert. Scholz forderte Russlands Präsidenten Wladimir Putin erneut zum sofortigen Waffenstillstand auf. "Es ist ein furchtbarer, sinnloser und durch nichts zu rechtfertigender Krieg", fügte er hinzu.
"Massaker", "unerträglich", "Horror"
EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich "erschüttert" und sprach von "Gräueltaten" und einem "Massaker". Zugleich kündigte er weitere EU-Sanktionen an. Der britische Premier Boris Johnson sagte, er werde alles tun, "um Putins Kriegsmaschinerie auszuhungern". Italiens Ministerpräsident Mario Draghi sprach von erschütternden Bildern. Italien verurteile entschieden "diesen Horror". US-Außenminister Antony Blinken verwies darauf, dass die USA schon länger davon ausgingen, dass es in der Ukraine zu schweren Kriegsverbrechen kommt. Dies sei eine "Realität, die sich jeden Tag abspielt, solange Russlands Brutalität gegen die Ukraine anhält. Deshalb muss es ein Ende haben". Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Bilder mit "Hunderten feige ermordeter Zivilisten auf den Straßen" als unerträglich. "Die russischen Behörden müssen sich für diese Verbrechen verantworten."
In Butscha waren nach dem Rückzug der russischen Armee zahlreiche Tote gefunden worden. Nach Angaben der Behörden wurden inzwischen 280 Menschen in Massengräbern beerdigt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf den russischen Truppen Genozid vor. "Das ist in der Tat ein Völkermord", sagte er dem US-Sender CBS. "Wir sind Bürger der Ukraine und wollen nicht der Politik der Russischen Föderation unterworfen werden. Und das ist der Grund, warum wir zerstört und ausgelöscht werden." Selenskyj sagte, es sei trotzdem seine Pflicht als Präsident, mit Putin zu verhandeln.
Ukraines Außenminister Dmytro Kuleba forderte härtere Sanktionen der G7-Staaten, konkret nannte er ein Öl-, Gas- und Kohle-Embargo, einen Ausschluss aller russischen Banken aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift sowie eine Schließung aller Häfen für russische Schiffe und Waren.
Zu den Auslösern der Empörung gehörte eine Videoaufnahme des ukrainischen Verteidigungsministeriums, die Leichen mehrerer Menschen am Straßenrand zeigten, teilweise mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Hinzu kommen zahlreiche Pressefotos. "Alle diese Menschen wurden erschossen", sagte Bürgermeister Anatoly Fedoruk. "Sie haben sie mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet." Es stünden Autos auf den Straßen, in denen "ganze Familien getötet wurden: Kinder, Frauen, Großmütter, Männer". Das russische Verteidigungsministerium wies die Berichte als Fake zurück.
Angriffe auf Odessa
Einmal mehr sagte die NATO, dass es entgegen der Ankündigung Moskaus keinen wirklichen Rückzug aus der Region um die Hauptstadt gebe. Vielmehr sei zu sehen, wie Russland seine Truppen "neu positioniert". Die NATO sei besorgt über mögliche verstärkte Angriffe, vor allem im Süden und im Osten. Zu beobachten war dies bereits am Wochenende - vermutlich mit dem Ziel, die dort besetzten Gebiete auszuweiten.
Auch die Millionenstadt Odessa wurde angegriffen. Die ukrainische Seite erklärte, es habe keine Opfer gegeben und mehrere russische Raketen seien im Anflug abgeschossen worden. "Die Region Odessa ist eines der vorrangigen Ziele des Feindes", erklärte der ukrainische Offizier Wladislaw Nasarow. "Der Feind verfolgt die heimtückische Taktik, sensible Infrastrukturen anzugreifen." Die Metropole ist der größte Hafen der Ukraine und zentral für die Wirtschaft des gesamten Landes. Aus dem Verteidigungsministerium in Moskau hieß es, von Schiffen und Flugzeugen aus seien eine Ölraffinerie und drei Treibstofflager in der Nähe von Odessa beschossen worden.
Nach ukrainischen Militärangaben gingen die Kämpfe auch im Osten weiter. Der Beschuss von Städten im Gebiet Luhansk dauere an. Es gebe Kämpfe bei Popasna und Rubischne. Nach russischen Angaben wurden in der Nacht insgesamt 51 Militäreinrichtungen getroffen.
Das Rote Kreuz musste einmal mehr Versuche abbrechen, mit einem Buskonvoi Menschen aus der umkämpften Hafenstadt Mariupol herauszuholen. Trotzdem gelang es nach ukrainischen Angaben 765 Bewohnern, mit eigenen Fahrzeugen die Stadt zu verlassen. Fast 500 Menschen seien aus der Stadt Berdjansk geflohen, die ebenfalls am Schwarzen Meer liegt.
Kriegsende "in zwei bis drei Wochen"
Der ukrainische Chefunterhändler bei den Verhandlungen mit Moskau, David Arachamija, sprach im Staatsfernsehen von positiven Signalen. Russland habe Kiews Hauptforderungen "mündlich" zugestimmt, hatte Arachamija am Vortag im ukrainischen Fernsehen gesagt. Nur hinsichtlich des Status der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim bestehe weiterhin keine Einigkeit. Auch ein baldiges Treffen der Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Putin in der Türkei sei möglich. Hingegen dämpfte Russland diese Erwartungen. Es gebe noch viel zu tun, sagte Verhandlungsführer Wladimir Medinski.
Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytsch rechnet mit einem Ende des Kriegs in "zwei bis drei Wochen". Es hänge nun alles vom Ausgang der Kämpfe im Südosten des Landes ab. Die russische Armee habe keine Reserve mehr, behauptete der Berater nach einem Bericht der Nachrichtenseite strana.news. Seit längerer Zeit gibt es Spekulationen, dass Putin den Krieg bis zu den Feiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs beenden könnte. In Russland ist dies am 9. Mai.
Weitere Artikel zum Ukraine-Krieg:
- Warum ich Putin hasse
- Steht das Baltikum als Nächstes auf Putins Liste?
- Rettungsaktion für krebskranke Kinder
Alle weiteren Entwicklungen können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.
Quelle: ntv.de, jwu/AFP/dpa/rts