Neue Afghanistan-Strategie Erst Aufstockung, dann Abzug
26.01.2010, 15:15 UhrAufstockung der deutschen Truppen, Millionen für geläuterte Taliban und noch mehr Hilfsgelder: Das ist die neue Afghanistan-Strategie der Bundesregierung. Damit soll ein Abzug der Soldaten bis 2014 ermöglicht werden. Verteidigungsminister Guttenberg sieht darin eine "glaubhafte Abzugsperspektive". Die SPD lässt offen, ob sie die Vorschläge mittragen wird.
Die Bundesregierung will mit einem Strategiewechsel einen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan möglichst bis 2014 ermöglichen. Zunächst soll die Bundeswehrtruppe aber um 850 auf 5350 Soldaten aufgestockt werden. Das kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zwei Tage vor der Londoner Afghanistan-Konferenz in Berlin an.
Mit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung soll laut Außenminister Guido Westerwelle (FDP) noch in diesem Jahr begonnen werden. Von 2011 an solle das deutsche Kontingent in Afghanistan verkleinert werden. Ziel sei eine klare "Abzugsperspektive für unsere Soldaten". 2014 sollten die Afghanen vollständig die Verantwortung für ihr Land übernehmen.
"Es geht um Versöhnung"
Merkel kündigte an, auch mehr Polizisten nach Afghanistan zu schicken und zusätzliche Millionensummen für Entwicklungshilfe und die Reintegration von Taliban in die afghanische Gesellschaft aufzuwenden. "Es wird jetzt die Etappe der Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung beginnen", sagte sie. Es gehe auch um Versöhnung in Afghanistan.

Merkel: "Wir selber nennen keinen Abzugstermin, aber wir unterstützen die afghanische Regierung in diesem Ziel."
(Foto: REUTERS)
Deutschland sei für die Afghanistan-Konferenz in London gut aufgestellt, sagte Merkel. Bei der Konferenz am Donnerstag geht es vor allem darum, den langfristigen Abzug der internationalen Truppen vorzubereiten. Die USA wollen ihre Truppen um 30.000 Soldaten aufstocken und mit dem Rückzug der ersten Soldaten 2011 beginnen. Die NATO erwartet von den restlichen Ländern 7000 zusätzliche Soldaten. Ende Dezember 2009 waren rund 84.150 Männer und Frauen aus 43 Ländern am Einsatz in Afghanistan beteiligt. Größter Truppensteller sind die USA mit rund 46.000 Soldaten, gefolgt von Großbritannien mit 9500 und Deutschland mit derzeit rund 4300.
"Weder plausibel noch überzeugend"
Verhaltene Zustimmung zum Strategiewechsel der schwarz-gelben Regierung signalisierten SPD und Grüne. Die Bundesregierung habe sich deutlich auf die Forderungen der Opposition zubewegt. Das gelte insbesondere für die Zusicherung, dass keine weiteren deutschen Kampftruppen entsandt werden sollen, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Es sei aber noch zu früh zu sagen, ob die SPD im Bundestag den Plänen zustimmen werde, ergänzte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.
Auch die Grünen halten ihre Zustimmung offen. Der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei kritisierte die Aufstockung der Truppen gegenüber n-tv.de als "weder plausibel noch überzeugend begründet". Die Entscheidung "sieht mir eher nach einem Koalitionskompromiss aus, nicht nach einer Entscheidung, die auf die Lage in Afghanistan reagiert". Berichten zufolge wollte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bis zu 1500 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan schicken, Westerwelle hatte das abgelehnt.
Nachtwei sagte n-tv.de, eine "handfeste Analyse" der Lage in Afghanistan sei lange überfällig. Ohne eine solche Bilanzierung könne die Bundesregierung "nicht das entwickeln, was jetzt dringend notwendig ist, nämlich eine aussichtsreiche und zusammenhängende Afghanistanpolitik und Abzugsperspektive".
500 + 350 Soldaten
Das Kontingent der Bundeswehr soll zunächst um 500 Soldaten für "Schutz und Ausbildung" und 350 für eine "flexible Reserve" etwa zur Beobachtung von Wahlen erhöht werden. Die Entscheidung über AWACS- Aufklärungsflüge wurde noch nicht gefällt. Hierfür hatte Deutschland im vorigen Jahr in einem separaten Mandat 300 Soldaten bereitgestellt. Zum Einsatz kam es aber mangels Überflugrechten über Turkmenistan nicht. Westerwelle sagte: "Ich werde, wenn die Voraussetzungen geklärt sind, selbstverständlich auch in einem eigenen Mandat wie es sich gehört, mich an den Deutschen Bundestag wenden. Aber nicht auf Halde."
50 Millionen Euro für Taliban
Die Mittel für den zivilen Wiederaufbau sollen von derzeit 220 Millionen Euro auf 430 Millionen Euro pro Jahr erhöht werden. Insgesamt 50 Millionen Euro will Deutschland in den nächsten fünf Jahren in einen internationalen Fonds für die gesellschaftliche Wiedereingliederung von Taliban einzahlen.
Aus diesem Fonds von insgesamt 350 Millionen Euro (500 Millionen US-Dollar) soll Mitläufern ein Ausweg aus der Radikalität angeboten werden. Die britische Regierung appellierte am Dienstag an die internationale Gemeinschaft, in den Fonds einzuzahlen. "Es geht hier nicht um eine Abfindung der Taliban", betonte eine Sprecherin des Außenministeriums in London. Vielmehr gehe es darum, die Aufständischen "mit einer richtigen Kombination aus militärischem Druck und politischen Anreizen zu spalten".
Die Zahl der deutschen Polizisten soll von derzeit 123 auf 200 erhöht werden. Damit sei Deutschland in der Lage, pro Jahr 5000 afghanische Polizisten auszubilden. Merkel hatte die neue Strategie am Montagabend mit den für den Afghanistan-Einsatz zuständigen Ministern - Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Entwicklungsressort - präsentiert.
Quelle: ntv.de, dsi/dpa/AFP/rts