Politik

Für einen Abend Europa wächst zusammen

Der Tagungsort in der Brüsseler Rue Belliard.

Der Tagungsort in der Brüsseler Rue Belliard.

Die Sonne strahlt nach vielen Regentagen über Brüssel. Ein gutes Omen in der Krise? Die Teilnehmer der "Open Days" des EU-Ausschusses der Regionen sehen das nicht so. Manche Mitgliedsstaaten wollen die Mittel für die Regionalförderung kürzen. Trotzdem wächst Europa zusammen. Für ein paar Stunden zumindest.

Nach tagelangem Regen strahlt die Sonne wieder über der Hauptstadt Europas, wie Brüssel gern genannt wird. Dabei ist sie für manche nicht einmal die Kapitale des Königreichs Belgien. Die flämischen Separatisten um die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) des Bart de Wever ist "Brussel" die Hauptstadt einer künftigen Republik Flandern. Für die Teilnehmer der "Open Days" des EU-Ausschusses der Regionen spielt das keine Rolle. Das Gremium vertritt die regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften der insgesamt 271 Regionen der Union. Regionen sind nichtadministrative Zusammenschlüsse von Gebieten oder Städten, die Fördermittel aus dem Regionalfonds der EU erhalten. So ist zum Beispiel die tschechische Hauptstadt Prag eine Region. Im Falle Stuttgarts ist das weitere Umland miteinbezogen. Eine Region kann aber durch Partnerschaften wie in Skandinavien auch – siehe Schweden, Finnland und Norwegen - fast das gesamte Territorium von Staaten umfassen und über die Grenzen der Union hinausreichen. So nahmen neben Vertretern der 27 EU-Mitglieder auch Repräsentanten aus Norwegen, der Türkei, Mazedonien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Island und Kroatien an den viertägigen Beratungen teil.

Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso bezeichnet die Kohäsionspolitik, wie die Regionalförderung auch gern kryptisch genannt wird, als eines der grundlegenden Instrumente zur Überwindung der Krise. Zeit für eine Teilnahme an dem Treffen findet der einstige portugiesische Premier gleichwohl nicht: Er lässt seine Botschaft per Video ins Europaparlament übertragen. Johannes Hahn, Kommissar für Regionalpolitik, mahnt die Teilnehmer, Politik zum Wohle der Menschen zu machen. "Mit den Regionen aus der Krise", sagt der Österreicher. Niemand verstünde besser als die vor Ort versammelten Lokal- und Regionalpolitiker, was die Krise bedeute. Zweifellos. Doch der 1992 durch den Vertrag von Maastricht geschaffene Ausschuss hat im komplizierten Geflecht der Brüsseler Institutionen nur beratenden Charakter. Er kann aufmerksam machen, empfehlen. Entscheiden kann er nichts. Das macht der Kommissar, für den das Forum der "Open Days" eine wichtige Plattform für Kommunikation und Konsultation ist. Es gebe keine rasche Lösung für die Probleme, sagt der einstige Wiener Wissenschaftsminister.

Diskutieren und austauschen: die "Open Days" der EU.

Diskutieren und austauschen: die "Open Days" der EU.

Wohl auch, weil von einer bevorstehenden Kürzung der Finanzen die Rede ist. Die Teilnehmer fordern deshalb von der EU-Kommission, die Gelder für 2014 bis 2020 nicht zu kürzen. Die Rede ist von einem Minus in Höhe von 5,5 Milliarden. Doch Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia aus Spanien wiegelt ab: Bessere Steuergesetzgebung, qualifiziertere Arbeitskräfte und funktionierende Infrastrukturen seien eigentlich wichtiger als Subventionen, erklärt der einstige Generalsekretär der sozialdemokratischen PSOE. Die gravierenden Probleme in den ärmeren Regionen Portugals beispielsweise redet er klein: Diese hätten in den vergangenen Jahren höhere Wachstumsraten erzielt als die reicheren. Arm, aber sexy? Künftig sollten Regionen nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip gefördert werden, fährt der radikale Marktwirtschaftler fort. Bessere Kontrolle bei der Vergabe sei dringlich. Das Wort Korruption fällt nicht. Aber gerade darum geht es in Ländern wie Bulgarien oder Rumänien.

"Dank u"

Eine Frage spielt auf dem Treffen offiziell keine Rolle: Die zentrifugalen Bestrebungen ganzer Landesteile, weg von der Zentrale hin zu größerer Autonomie bis hin zur Unabhängigkeit. Stichworte: Schottland, Südtirol, spanisches Baskenland und Katalonien. Die Antwort des Spaniers Almunia auf die Frage von n-tv.de nach seiner Position zu den Drohungen führender Militärs seines Landes, im Falle einer Unabhängigkeitserklärung Barcelonas bewaffnet intervenieren zu wollen:"No hago comentarios." Kein Kommentar. Basta. Das Problem ist damit ganz sicher nicht vom Tisch. Kommissionspräsident Durão Barroso hat jüngst ausgeschlossen, dass Landesteile von EU-Staaten, die sich für unabhängig erklären, automatisch Mitglieder der Union werden. Das sollte auch die Lostrennungsapostel der CSU in Bayern aufhorchen lassen. Gleiches gilt für die flämischen Separatisten.

Im zweisprachigen Brüssel spürt man wenig davon, dass die Stadt nach deren Vorstellungen Kapitale eines eigenständigen Flandern werden soll. Zwar sind alle Geschäfte und Straßenschilder französisch und niederländisch beschriftet, bis hin zu Unsinnigkeiten wie bei einer Straßenunterführung: "Tunnel Mardou" und "Mardou tunnel". Die Mehrheit der Einwohner parliert aber französisch. Dass es auch Flamen in "Bruxelles" gibt, merkt man höchstens daran, dass der Stapel der niederländischsprachigen Ausgabe der in den U-Bahnstationen ausliegenden Gratiszeitung "Metro" noch am Nachmittag ungefähr viermal so hoch ist wie die französische Variante. Sagte man mal "dank u", antwortet der Bedankte grinsend "de rien, monsieur".

Die Sprache der "Open Days" ist das Englische, das selten akzentfrei daherkommt. Britannien hält sich auch in der Regionalpolitik der Europäischen Union zurück. Auch beim abendlichen Empfang im traditionsreichen Brüsseler Bozar, Sitz der Akademie der Schönen Künste, tönt die Sprache Shakespeares dafür umso öfter in ungarischer, polnischer, spanischer, rumänischer und anderer nichtbritischer Färbung durch die dichtbevölkerten Säle. "Sorry, Sir", meint denn auch ein Mann, der wohl aus Osteuropa kommt, als er mir Weißwein übers Hemd kippt. Ich habe Glück, denn das gibt ja keine Rotweinflecken. Eitel Sonnenschein allenthalben. Italiener und Slowenen prosten einander mit französischem Rotwein zu, Serben und Kroaten probieren gemeinsam belgische Süßspeisen, und eine Volkstanzgruppe aus Zypern reißt den Saal zu Begeisterungsstürmen hin. Europa wächst zusammen. Ein schönes Gefühl. Für drei Stunden.

Quelle: ntv.de

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