Zwischenfall in Afghanistan FTD: Nur Deutsche schossen
01.09.2008, 14:01 UhrIm Fall der drei in Afghanistan erschossenen Zivilisten haben die deutschen Bundeswehr-Soldaten nach einem Bericht der "Financial Times Deutschland" die Einsatzregeln missachtet. Nach Informationen der Zeitung schossen ausschließlich die deutschen Soldaten am Donnerstagabend an der Straßensperre. Es gebe jedoch Regeln, nach denen lediglich die afghanischen Polizeikräfte Fahrzeuge kontrollieren und eventuell das Feuer eröffnen dürften, berichtet die Zeitung weiter.
Die Schüsse gingen dem Bericht zufolge zudem durch die Fenster des Autos. Bundeswehr-Soldaten sei es jedoch verboten, nach dem Abbruch eines Angriffs auf Flüchtende zu schießen. Vielmehr sollten "flüchtende Fahrzeuge mit Schüssen auf die Reifen oder in den Kofferraum gestoppt werden, weil sie keine unmittelbare Bedrohung mehr darstellen", schreibt das Blatt weiter.
Ministerium verteidigt Vorgehen
Das Verteidigungsministerium hat Spekulationen über eine Verletzung der Einsatzregeln durch deutsche Soldaten bei den tödlichen Schüssen auf Zivilisten in Nordafghanistan scharf kritisiert. Es sei eine "Anmaßung" zu behaupten, die Soldaten hätten bei dem Zwischenfall einem Fahrzeug "hinterher geschossen", sagte ein Ministeriumssprecher.
Es verbiete sich, mit Spekulationen über Menschen zu richten, die in einer Ausnahmesituation gewesen seien. Zu den Einsatzregeln gehöre, dass Soldaten von der Waffe Gebrauch machen müssen, wenn ein Fahrzeug an einer Straßensperre trotz eindeutiger Aufforderung zum Halten und nach Abgabe von Warnschüssen weiterfahre.
Bei dem Zwischenfall waren eine Frau und zwei Kinder getötet worden. Die an dem Vorfall beteiligten Feldjäger gehören nach Ministeriumsangaben zum Ausbildungskommando in Masar-i-Scharif, das Afghanen für den Polizeidienst schult.
Dritter Anschlag auf Bundeswehr
Inzwischen ist in Nordafghanistan der dritte Anschlag binnen weniger Tage auf Bundeswehrsoldaten verübt worden. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurde bei dem Anschlag am Montag niemand verletzt. Gegen 11 Uhr (Ortszeit) sei eine Patrouille der Bundeswehr etwa neun Kilometer nördlich von Kundus mit Handwaffen beschossen worden. In der Nähe der Patrouille seien zudem mehrere Explosionen wahrgenommen worden. Einzelheiten zu den Urhebern des Angriffs lägen noch nicht vor.
Auch am Sonntag war 45 Kilometer westlich von Kundus neben einer Patrouille ein Sprengsatz explodiert. Dabei waren aber lediglich die Fahrzeuge der Soldaten leicht beschädigt worden.
Abschied in Zweibrücken
Erst vorigen Mittwoch war ein 29 Jahre alter Hauptfeldwebel der Saarland-Brigade bei einem Anschlag nahe Kundus getötet worden. Der Leichnam des Soldaten war am Wochenende nach Deutschland zurückgeflogen worden. Auch die drei verletzten Kameraden kehrten mit der Bundeswehrmaschine heim. Zu dem tödlichen Sprengfallen-Anschlag haben sich die radikal-islamischen Taliban bekannt.
Angehörige, Kameraden und Vertreter der Politik nahmen nun in Zweibrücken bei einer Trauerfeier Abschied von dem getöteten Soldaten. An der Zeremonie in der Heilig-Kreuz-Kirche nahm auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) teil. Er sprach den Angehörigen sein Beileid aus. Der Sarg des Soldaten war während des Gottesdienstes aufgebahrt. Bedeckt wurde er von einer deutschen Flagge.
Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, nahm an der Trauerfeier teil. Die Beisetzung sollte später im engsten Familienkreis erfolgen. Der Hauptfeldwebel der Saarland-Brigade war am Standort der Einheit in dem pfälzischen Ort stationiert. Er war mit seinem Wagen in eine Sprengfalle gefahren.
Abzugsforderungen schwächen NATO-Position
Nach den Vorfällen in jüngster Zeit bekommt die Debatte um den Afghanistan-Einsatz neue Nahrung. Forderungen nach einem Abzug der Bundeswehr weist der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), als "hoch problematisch" zurück. "Wenn bei jedem tödlichen Vorfall der Abzug der Truppen gefordert wird, schwächt das die Position der NATO und der Soldaten vor Ort", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Ein Abzug der Truppe sei "verantwortungslos". Wer das wolle, falle nicht nur den deutschen Soldaten in den Rücken, sondern schade auch dem afghanischen Volk. "Die Sache ist viel zu ernst. Sie sollte nicht parteipolitisch ausgeschlachtet werden", sagte Schmidt.
Laut Schmidt gibt es zu dem Zwischenfall an der Straßensperre keine weiteren Erkenntnisse. "Ich gehe davon aus, dass sich unsere Soldaten entsprechend ihres Auftrags verhalten haben. Man kann von keinem Soldaten verlangen, dass er in einer für ihn unüberschaubaren lebensbedrohenden Situation nicht reagiert", sagte Schmidt. "Es wird in alle Richtungen ermittelt."
Immer mehr Sprengfallen
Die Zahl der Sprengfallen in Afghanistan ist in diesem Jahr nach Angaben der Internationalen Schutztruppe ISAF um rund 50 Prozent angestiegen. Der Chef des Stabes der ISAF, Bundeswehr-General Hans-Lothar Domröse, sagte der Deutschen Presse- Agentur dpa in Kabul, 2008 seien bislang etwa 1200 Sprengsätze der radikalislamischen Aufständischen detoniert.
Quelle: ntv.de