Selbstmord nach Abschiebung Familie beerdigt Afghanen Jamal M.
16.07.2018, 19:02 Uhr
Eine Aktivistin legt Blumen neben einem Sarg vor dem Bundesinnenministerium nieder.
(Foto: imago/Markus Heine)
Eine Spurensuche im Leben von Jamal M. zeigt: Zuerst scheint der afghanische Flüchtling glücklich in Deutschland. Doch der 23-Jährige wird straffällig und psychisch krank. Nach seinem Suizid in einem Hotel in Kabul wird er nun von seiner Familie beerdigt.
Rund zehn Tage nach dem Selbstmord des aus Deutschland abgeschobenen Afghanen Jamal M. in Kabul hat die Familie den jungen Mann in Nordafghanistan beerdigt. Am Sonntag sei die Trauerfeier gewesen, sagte sein 28-jähriger Bruder S., der nicht mit vollem Namen genannt werden wollte. Er habe die Leiche am Freitag aus dem Leichenschauhaus der Rechtsmedizin in Kabul abgeholt und mit dem Flugzeug nach Masar-i-Scharif gebracht, der Hauptstadt der Provinz Balch.
Der Vater habe vom Tod seines Sohnes in den Fernsehnachrichten erfahren, sagte S. "Ich war wie tot innerlich, als ich es gehört habe. Er war mein kleiner Bruder, wir sind zusammen aufgewachsen, wir haben miteinander gespielt. Er war so klug." Die Unterhaltung mit der Familie des Opfers wirft mehr Licht auf die Hintergründe des dramatischen Falls, der in Deutschland mitten in eine erhitzte Debatte über Asylverfahren fiel und neue Kritik an Abschiebungen nach Afghanistan, aber auch an Bemerkungen von CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer ausgelöst hat.
Nach rund acht Jahren in Deutschland war Jamal M. am 3. Juli aus Hamburg abgeschoben worden, weil er mehrere Straftaten begangen hatte. Kurz nach der Ankunft in einem Hotel in Kabul erhängte er sich. Die Familie habe M. ins Ausland geschickt, weil er im Dorf in der Provinz Fariab, woher die Familie ursprünglich stammt, den Taliban aufgefallen sei, sagte sein Bruder. Nach Angaben des Rechercheinstituts Afghanistan Analysts Network ist der Vater in einem Bezirk in Fariab weiterhin Bezirksgouverneur. Der Bruder lebt als Ladenbesitzer in Balch.
Kaum Kontakt zu seiner Familie
Fariab im Nordwesten des Landes gehört heute zu den unsichersten Provinzen in Afghanistan. "Die Taliban wollten ihn rekrutieren, aber mein Vater wollte das nicht", berichtet der Bruder. Also sei die Familie nach Balch gezogen. "Dann haben wir Jamal für immer weggeschickt" - eines von Zehntausenden afghanischen Kindern, deren Eltern sie meistens aus einer Vielzahl von Gründen Richtung Europa schmuggeln ließen. Unabhängig nachprüfen ließ sich die Darstellung zunächst nicht.
Die Hamburger Jahre von Jamal M. sind noch weitgehend im Dunkeln, aber irgendwann fing er an, sich von seiner Familie zu distanzieren. Er begann wohl auch zu schwindeln. "Anfangs haben wir alle zehn oder 20 Tage mit ihm gesprochen", sagte der Bruder. 2014 habe er erzählt, er habe die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. "Er hat uns auch erzählt, dass er Elektriker wird, ein Auto hat, ein Einkommen und einen Platz zum Leben." Aber dann habe er sich immer seltener gemeldet. "In den letzten zwei Jahren hatten wir gar keinen Kontakt mehr, obwohl wir ihm auf Facebook Nachrichten geschrieben haben", sagte S. "Wir dachten, vielleicht lebt er sich in der Fremde ein und will nicht mehr anrufen."
M. wirkte "depressiv und verwirrt"
Der "Spiegel" hatte am Freitag gemeldet, dass Jamal M. in Deutschland psychische Probleme bekommen habe. Der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, Stephan Dünnwald, sagte, man habe "Informationen über mehrere psychisch Kranke" an Bord des Abschiebefluges. "In einem Fall wurde ein Afghane von der Psychiatrie im oberbayrischen Gauting trotz stationärer Behandlung an die Polizei ausgeliefert. In einem anderen Fall wurde ein junger Mann, der sich mehrfach selbst verletzt hatte, nur notdürftig versorgt und dann abgeschoben."
Ehemalige Mitbewohner sagten dem "Spiegel", dass M. "depressiv und verwirrt" gewirkt habe. Im Frühjahr 2018 sei er in psychologischer Behandlung gewesen. Bei einem Besuch in der Übergangsunterkunft in Kabul sagten andere Abgeschobene, er habe mit niemandem gesprochen. Seine Familie hat M. auch nicht kontaktiert. Und dann sei da noch etwas Seltsames, sagte sein Bruder. Das Handy des 23-Jährigen zeige einige Kontakte aus Deutschland. "Aber da sind keine Bilder. Nichts, das uns sagt, wo er war und wie er sein Leben gelebt hat."
Quelle: ntv.de, lri/dpa