Politik

Flut überraschte Bevölkerung Forscherin sieht "monumentales" Versagen

Laut Hannah Cloke, Wissenschaftlerin an der Universität Reading, hätten größere Gemeinden früher evakuiert werden können.

Laut Hannah Cloke, Wissenschaftlerin an der Universität Reading, hätten größere Gemeinden früher evakuiert werden können.

(Foto: picture alliance / AA)

Nach der Flutkatastrophe in Deutschland steht der Katastrophenschutz auf dem Prüfstand. Hätten die Menschen früher gewarnt werden können? Eine britische Wissenschaftlerin geht hart mit den Behörden ins Gericht - und das Innenministerium kündigt Tempo bei einer Reform an.

Eine britische Wissenschaftlerin hat den deutschen Behörden "monumentales" System-Versagen bezüglich der Flutkatastrophe vorgeworfen. Klare Hinweise, die im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems EFAS bereits vier Tage vor den ersten Überschwemmungen herausgegeben wurden, seien offenbar nicht bei der Bevölkerung angekommen, sagte Hannah Cloke von der Universität Reading der "Sunday Times".

Die Forscherin war am Aufbau von EFAS (European Flood Awareness System) beteiligt, das nach den verheerenden Überschwemmungen an Elbe und Donau im Jahr 2002 gegründet wurde. Mithilfe meteorologischer und hydrologischer Daten sowie anhand von Computer-Modellen werden dabei Überschwemmungen und Sturzfluten vorhergesagt. Ziel ist es, Zeit zu gewinnen, um die Bevölkerung besser zu schützen. Dem Klimawandeldienst Copernicus zufolge wurde bereits am 10. Juli eine erste Warnung an die relevanten nationalen Behörden gegeben. Bis zum 14. Juli wurden demnach mehr als 25 weitere Warnungen mit fortlaufend aktualisierten Vorhersagen für spezifische Regionen des Rheins und der Maas herausgegeben.

Obwohl die genaue Vorhersage einzelner Überschwemmungsgebiete schwierig gewesen sei, hätte es "sicherlich Zeit" geben müssen, um größere Gemeinden mit Warnungen und Evakuierungen vorzubereiten, sagte die Forscherin. Das Ergebnis zeige, dass viel schiefgegangen sei. "Die Menschen hätten Warnungen erhalten sollen, sie hätten die Warnungen verstehen sollen", kritisierte Cloke und fügte hinzu: "Es hat keinen Sinn, mit gigantischen Computer-Modellen vorherzusagen, was geschehen wird, wenn die Leute nicht wissen, wie sie sich bei einer Überschwemmung verhalten müssen."

Reform des Katastrophenschutzes soll früher kommen

Bekannt wurde nun, dass angesichts des verheerenden Hochwassers im Westen Deutschlands die geplante Reform des Katastrophenschutzes schneller umgesetzt werden soll als bisher geplant. Die Kompetenzen und Ressourcen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) müssten künftig auch in Friedenszeiten genutzt werden können, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz erklärte auf Fragen zu möglicherweise ausgebliebenen oder verspäteten Warnungen an die Bevölkerung in den vergangenen Tagen die geltende Rechtslage. Sie sagte: "Der Bevölkerungsschutz in Deutschland liegt nicht in einer Hand." Vielmehr seien die Aufgaben auf Bund, Länder und Kommunen verteilt. Beispielsweise stelle der Bund eine umfangreiche "Warn-Infrastruktur" zur Verfügung. "Diese technischen Instrumente haben während der Flutkatastrophe funktioniert und damit auch zum Schutz der Bevölkerung erheblich beigetragen", fügte Fietz hinzu.

Die Erfahrungen mit dem Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hätten aber gezeigt, "dass wir hier noch mehr tun müssen und besser werden müssen", räumte Fietz ein. Sie verwies auf die im März von Bundesinnenminister Horst Seehofer und BBK-Präsident Armin Schuster vorgestellten Pläne für ein neues "Kompetenzzentrum" beim BBK, in dem alle im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz relevanten Akteure von Bund und Ländern zusammenarbeiten sollen.

Daran, den Katastrophenschutz auch jenseits des Verteidigungsfalls generell dem Bund anzuvertrauen, wird bei dieser geplanten Reform allerdings nicht gedacht. Seehofer, der nun die von den Fluten betroffenen Regionen besuchte, ließ über seinen Sprecher auf Twitter verbreiten: "Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass diese föderale Struktur beim Bevölkerungs- und Katastrophenschutz richtig ist, und zwar seit vielen Jahrzehnten. Wir sollten daran nicht rütteln. Zentralismus verbessert hier gar nichts."

NRW-Ministerium: Es gilt Örtlichkeitsprinzip

Feuerwehr-Experten fordern indes ein Forschungszentrum für Krisenmanagement. Es fehle eine Institution, die Lösungen für zukünftige Herausforderungen entwickle und diese deutlich schneller als bisher verfügbar mache, erklärten der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Karl-Heinz Banse, und sein Kollege Dirk Aschenbrenner von der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes bei einem Besuch im nordrhein-westfälischen Erftstadt.

"Die Erfahrung hat auch diesmal gezeigt, dass wir zwar über gut ausgebildete Einsatzkräfte, motivierte Freiwillige und beste Ressourcen verfügen, mit denen wir Extremereignissen begegnen können", so Aschenbrenner. "Allerdings müssen wir uns im Klaren sein, dass die Zahl und Intensität solcher Katastrophen in Zukunft eher zunehmen wird - Stichwort: Klimaveränderungen." Sinnvoll sei deshalb eine Institution, in der Partner aus Anwendern, Wissenschaft und Industrie unter einem Dach Szenarien und Lösungsmöglichkeiten für die Zukunft entwickelten.

In der Diskussion um die Organisation des Katastrophenschutzes äußerte sich nun auch das nordrhein-westfälische Innenministerium. Es habe in der vergangenen Woche Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes an die Städte und Kreise weitergeleitet. Grundsätzlich gelte im Katastrophenschutz aber ein Örtlichkeitsprinzip, sodass über Schutzmaßnahmen vor Ort zu entscheiden sei, sagte ein Ministeriumssprecher. Am vorigen Mittwoch sei im NRW-Innenministerium ein Koordinationsstab gebildet worden. Dort berieten seitdem Fachleute aus dem eigenen Haus mit weiteren Experten - etwa aus dem Umweltministerium, der Bundeswehr, Bundespolizei oder den Feuerwehren - permanent über die Lage. Rund um die Uhr sei dort auch eine Kontaktperson zu erreichen, sagte der Sprecher.

Diese Koordinierungsgruppe sei aber kein Krisenstab, welcher von der Landesregierung unter Beteiligung sämtlicher Ressorts eingerichtet werden müsste, um dann in regelmäßigen Sitzungen zentral die Lage im Land abzuarbeiten. Bundesweit diskutieren Politiker und Experten derzeit, ob der Katastrophenschutz in Deutschland angesichts einer zunehmenden Zahl von Extremwetter-Katastrophen organisatorisch und technisch noch richtig aufgestellt ist.

Quelle: ntv.de, mbe/dpa

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