Querdenker, kein Querulant Fürsprache für Clement
02.08.2008, 13:55 UhrDer stellvertretende SPD-Vorsitzende und Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat den vom Parteiausschluss bedrohten Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement in Schutz genommen. Clement sei ein Querdenker, sagte Steinmeier dem "Spiegel". "Ein Querulant ist er aber gewiss nicht." Steinmeier warnte indirekt zugleich vor einem neuen Anlauf der hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti, sich mit Stimmen der Linkspartei doch noch zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Darüber habe sich die SPD "lange genug öffentlich gestritten", sagte der Vizeparteichef, der neben Parteichef Kurt Beck als Mitbewerber um die SPD-Kanzlerkandidatur 2009 gilt.
Die Schiedskommission der SPD in Nordrhein-Westfalen hatte am Donnerstag den Parteiausschluss von Clement wegen parteischädigenden Verhaltens bekanntgegeben. Auslöser war Clements Aufruf im Hessen-Wahlkampf, Ypsilanti wegen ihrer Energiepolitik nicht zu wählen. Der SPD-Rauswurf ist aber noch nicht rechtskräftig, da Clement Berufung bei der Bundesschiedskommission der Partei angekündigt hat.
Verdienste von Jahrzehnten
Steinmeier hatte sich bereits am Donnerstag als erster SPD-Politiker aus der engsten Führungsriege gegen einen Ausschluss von Clement gewandt. Dieser habe über Jahrzehnte seine Verbundenheit mit der SPD bewiesen, bekräftigte er nun. Der mit der Agenda 2010 und Clement verbundene Reformkurs habe in der SPD viele Wunden gerissen: "Die werden aber nicht rascher heilen, wenn Clement die SPD verlassen muss."
In der Parteispitze wird befürchtet, dass der Rauswurf von Clement in der Öffentlichkeit als Abkehr vom Reformkurs verstanden wird. Der Parteiausschluss hatte die Führungsriege mitten in der Sommerpause unerwartet ereilt, nachdem der innerparteiliche Streit über Becks Eignung als möglicher Kanzlerkandidat aus den Schlagzeilen verschwunden war.
Clements früherer Parlamentarischer Staatssekretär Gerd Andres warnte vor den negativen Konsequenzen des Ausschlusses. "Wenn es dabei bleibt, wird das für die SPD heftige Folgen haben. Dann werden sich die Mitgliederverluste beschleunigen", sagte er der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". Sollte das Bundesschiedsgericht der Partei den Ausschluss nicht stoppen, "bleibt von der SPD nur ein Trümmerhaufen". Der Parteiausschluss sei eine Abrechnung mit der Agenda 2010 der Regierung Schröder. "Aber wenn man das will in der SPD, dann müssen sie auch mich ausschließen, Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Ulla Schmidt also das ganze Kabinett", sagte Andres, der für die SPD weiter im Bundestag sitzt.
Clement kämpferisch
Clement selbst fordert eine Korrektur der Auschluss-Entscheidung durch die Bundesschiedskommission der Partei. "Sie ist falsch und muss aus meiner Sicht aus der Welt geschafft werden", sagte er der "Welt". "Ein derartiges Vorgehen öffnet der Willkür Tür und Tor." Seine politische Heimat sei nach wie vor die SPD. Clement betonte, es gehe bei der Auseinandersetzung auch um den politischen Kurs: "Der Versuch, die Agenda 2010 zurückzudrehen, ist grundfalsch. Es falsch für das Land, es ist falsch für die SPD. Und darum streiten wir."
Ypsilanti persönlich beteiligt
Die hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti hat nach einem Medienbericht das Parteiausschlussverfahren gegen Clement aktiv unterstützt. Der SPD-Unterbezirk Frankfurt, für den Ypsilanti als Abgeordnete im Landtag sitzt, habe den Parteiausschluss des früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten selbst betrieben, berichtete der "Focus" unter Berufung auf interne Parteiunterlagen. Dem Bericht zufolge trat der Frankfurter Parteichef Gernot Grumbach, der als Ratgeber Ypsilantis gilt, im Parteiausschlussverfahren gegen Clement als einer von sieben Klägern auf.
Das Verfahren gegen Clement war eingeleitet worden, weil der frühere Superminister der Regierung von Gerhard Schröder im hessischen Landtagswahlkampf das Energiekonzept der SPD kritisiert und vor der Wahl Ypsilantis gewarnt hatte.
Minenfeld Ypsilanti
Die SPD-Parteispitze sorgt sich, dass Ypsilanti noch vor der Bayern-Wahl Ende September einen neuen Versuch ankündigen könnte, mit Hilfe der Linkspartei Regierungschefin zu werden. Nach Medienberichten wollte die Parteispitze Anfang August das Gespräch mit ihr suchen, um sie zu einem Verzicht zu bewegen. Ihr Sprecher Frank Steibli wollte am Samstag nicht sagen, ob das Gespräch bereits stattgefunden habe. "Wir äußern uns zu dem Terminkalender von Frau Ypsilanti nicht", sagte er.
Steinmeier verwies auf die Frage, ob Appelle ausreichten, einen zweiten Anlauf Ypsilantis zu verhindern, auf Becks Absage: "Der Parteivorsitzende Kurt Beck hat nach dem ersten Fehlversuch sinngemäß gesagt, niemand renne zum zweiten Mal mit dem Kopf vor dieselbe Wand." Ypsilanti hatte pariert, sie sehe weder eine Wand noch eine Mauer, sondern ein breites unbeackertes Feld.
Nordrhein-Westfalens SPD-Chefin Hannelore Kraft riet ihrer hessischen Parteifreundin von einem zweiten Versuch ab. "Ich persönlich würde es nicht tun", sagte sie der "Welt am Sonntag". Sie sei sicher, Ypsilanti werde auch die Bayern-Wahl in ihre Entscheidung einbeziehen. "Jeder Landesverband muss auch bundespolitische Implikationen mit bedenken", sagte Kraft.
Quelle: ntv.de