Ginge es ohne US-Satelliten?Darum hat Trump die Ukrainer in der Hand
Frauke Niemeyer
Wann immer Trump der Ukraine ein Ultimatum stellt, kann sie es ignorieren? Das wäre brandgefährlich, denn ohne die US-Satelliten würde die Ukraine enorm verwundbar. Wie wichtig ist der Weltraum im Krieg?
Wie ein Damokles-Schwert am seidenen Faden schwebte es tagelang über Selenskyj: das Ultimatum, bis zum heutigen Donnerstag zu entscheiden, ob die Ukraine in die Bedingungen des Kremlplans einwilligt. Das Zeitlimit für den ukrainischen Präsidenten war schließlich vom Tisch, doch im Raum steht noch immer ein Bündel russischer Maximalforderungen, einige Spitzen abgeschliffen durch europäische Diplomatie.
Der Druck auf Kiews Staatschef hat sich etwas gemildert, denn den Kreml interessiert nichts jenseits seiner Kriegsziele als Bedingung für einen Friedensprozess. Doch die Atempause für Kiew könnte kurz sein. US-Präsident Donald Trump ist anfällig für Avancen aus Moskau, das hat sich bereits mehrfach gezeigt. Immer mal packt Trump die Ungeduld und er droht damit, der Ukraine die militärische Unterstützung zu kappen. Das mag mit Blick auf Waffensysteme und Munition von den Europäern knapp aufzufangen sein. Wer aber nur etwas Einblick gewinnt in die satellitengestützte Aufklärung der USA, der kann bei Trumps Drohungen blass werden.
Das Rückgrat aller ukrainischen Vorstöße oder Abwehrfallen an der Front, die Basis für Kiews Fähigkeiten, Russlands tägliche brachiale Attacken aus der Luft abzuwehren, und auch der Schlüssel zum Erfolg der ukrainischen Angriffe auf Energieanlagen weit entfernt auf russischem Boden, ist das, was in 1000 oder 8000 oder noch mehr Kilometern Höhe um die Erde kreist: das militärische Satellitensystem der USA.
"Das satellitengestützte US-Aufklärungssystem ist konkurrenzlos", stellte Anfang des Jahres Gerhard Conrad klar, der als ehemaliger Angehöriger des Bundesnachrichtendienstes (BND) über Jahre hinweg mit Produkten der Imagery Intelligence gearbeitet hat. In jüngster Zeit hat sich Washington nicht unbedingt als verlässlichster Partner in der Abschreckung möglicher Gegner erwiesen. Trumps Sicht auf die Welt wechselt so schnell, wie die beschwörenden Worte desjenigen, den er zuletzt am Telefon oder zu Besuch im Oval Office hatte. Für Europa lag die Erkenntnis nah: Relativ zeitnah sollte man sich aus der Abhängigkeit von US-Satellitenaufklärung lösen. Aber was ist "zeitnah" in Space-Dimensionen?
Im Weltraum uneinholbar
Die Überlegenheit der USA im Weltraum speist sich daraus, dass sie mindestens zehn, eher 20 Jahre lang mit Milliardenaufwand ihr satellitengestütztes Netz zur Kommunikation aufgebaut haben, ebenso zur hochauflösenden und damit militärisch nutzbaren Erdbeobachtung. Die genauen Dimensionen sind geheim, aber "es handelt sich um Hunderte, wahrscheinlich eher Tausende Satelliten, die über Jahrzehnte im All auf ihre Umlaufbahn gesetzt wurden.
Dabei ergänzen sich zwei Typen von Satelliten: die im niedrigeren Orbit fliegenden zur Aufklärung und die darüber fliegenden zur Kommunikation. "Nur wenn das aufgezeichnete Material verzugslos an eine Bodenstation übermittelt wird, kann es dort rechtzeitig nutzbar gemacht werden." Dazu hat man auf der Erde einen gigantischen Apparat, "um die eingehenden Signale aufzufangen, auszuwerten und die relevanten Informationen an die jeweiligen Empfänger weiterzugeben", sagt Conrad ntv.de. Einen Vorsprung dieser Tragweite holt man nicht in zehn Monaten auf, mehr so in zehn Jahren.
So abstrakt sich das zunächst anhören mag, so konkret wird es für die Ukrainer, etwa mit Blick auf das, was ihnen derzeit mit Abstand am besten gelingt: Langstrecken-Angriffe gegen Raffinerien und Energieanlagen auf russischem Boden. "Seit die Ukraine diese Drohnenattacken vor knapp einem Jahr begannen, konnten sie den Erfolg enorm steigern", sagt der Washingtoner Experte George Barros ntv.de. "Jede einzelne dieser nächtlichen Missionen wird allerdings auch äußerst intensiv geplant." Der Ukraine-Chefanalyst des US-Institute for the Study of War (ISW) sieht Wochen bis Monate vergehen, bevor ein Luftschlag ausgearbeitet ist. Denn die russische Luftabwehr ist insgesamt zwar schwach, aber "hoch konzentriert rund um die Grenze zur Ukraine. Diesen Abwehrring muss die Drohne erstmal durchdringen", und das schafft sie laut Barros nur mit US-Aufklärung.
In Deutschland sieht man diese Abhängigkeit ähnlich, denn die schwerfälligen Langstrecken-Drohnen können sich kaum vor feindlicher Aufklärung verbergen und wären, einmal entdeckt, leicht abzuschießen. Um unerkannt durch den Himmel über Russland zu kommen, muss Kiews Armee "die Schwachstellen der russischen Flugabwehr bestimmen und dementsprechend die Route planen", erklärt Fabian Hinz, Drohnen-Spezialist beim International Institute for Strategic Studies (IISS). "Dazu braucht sie Geheimdienst- und Aufklärungserkenntnisse über die aktuelle Position dieser Systeme. Die meisten der russischen Flugabwehrsysteme und Sensoren sind mobil und werden ständig neu aufgestellt", sagt Hinz ntv.de. "Genau hier ist die satellitengestützte Aufklärung der Amerikaner ganz entscheidend."
Satelliten wie Perlen an einer Kette
Ein sensibler Bereich der strategischen Kriegsführung, darum reden die Ukrainer nicht viel darüber. Fakt ist aber: Ein Waffensystem, das bewegt wird, lässt sich nur dann orten und verfolgen, wenn die Aufklärung lückenlos ist. "Sie müssen ständig beobachten, und das bedeutet, ein Satellit muss den anderen ablösen", so beschreibt es Ex-BNDler Conrad. Das US-Militär hat genau diese Fähigkeiten aufgebaut. Wie Perlen an einer Kette reihen sich die Satelliten auf ihren Umlaufbahnen aneinander. Verliert der eine aufgrund seiner Umlaufbahn das russische System aus den Augen, nimmt es der nächste ins Visier. In dieser Dichte schaffen das nur die USA.
Auch bei der Zielerfassung kann den Amerikanern niemand das Wasser reichen. "Auf einem Raffineriegelände können Sie vieles kaputt machen, das stört den Betrieb überhaupt nicht. Entscheidend ist, dass Sie die wichtigen Strukturen attackieren", sagt Conrad. "Und die identifiziert man nur mit höchstmöglicher Auflösung." Die Bilder des europäischen Satellitensystems Kopernikus etwa sind für diesen Zweck eher zu grob in der Auflösung. "Kopernikus leistet gute Arbeit für die Erdbeobachtung, um etwa Dürren oder Überschwemmungen zu verfolgen. Zur präzisen und dynamischen militärischen Zielerfassung sind solche Bilder aber kaum verwendbar."
Ohne die Unterstützung mittels US-Satelliten "würden wir erleben, dass sich die ukrainische Zielerfassung und Steuerung der eigenen Systeme ins Ziel deutlich verschlechtert", sagt Conrad. Die Quote der Raketen und Drohnen, die im Ziel eintreffen, würde sinken. Umgekehrt gilt aber auch: "Die Vorwarnzeiten bei russischen Luftangriffen auf die Ukraine würden sich ohne die Verfolgung der russischen Flugkörper quasi in Echtzeit spürbar verkürzen."
Denn die frühen Warnungen werden nur dadurch möglich, dass die USA die Starts etwa russischer Marschflugkörper aus dem All beobachten. Auch hier liefern die Satelliten lückenlos und lassen Systeme der Europäer weit hinter sich. "So eine startende Rakete produziert riesige Feuerwolken, enorm viel Hitze, und die können Sie natürlich auch mit einem zivilen europäischen Satelliten sehen. Aber dann fliegt sie aus dem Bild und das war's", sagt Conrad. Dank des US-Satelliten-Schirms liefert die ukrainische Luftwaffe der Bevölkerung frühzeitig genaueste Luftlagebilder und zeichnet die Flugbahn jedes einzelnen feindlichen Marschflugkörpers nach. Für die Menschen in der Ukraine eine Quelle, die schlicht ihr Überleben sichert.
Im Sektor der Kommunikation suchen die Ukraine und Europa nach Alternativen zu den US-Fähigkeiten – mit ersten Erfolgen. Elon Musks Starlink-Netzwerk ist schon länger nicht mehr das einzige System, das Kiews Verteidiger entlang der Frontlinie nutzen. “Eutelsat OneWeb ist ein europäischer Anbieter für den niedrigen Erdorbit, der zunehmend in der Ukraine aktiv ist”, sagt Andrea Rotter, Expertin für Weltraumsicherheit der Hanns-Seidel-Stiftung. “Mit bislang rund 650 Satelliten sind die Konstellationsdichte und Abdeckung allerdings deutlich geringer als im Starlink-Netzwerk, das inzwischen etwa 8.800 Satelliten im Weltraum hat.” Der luxemburgische Anbieter SES, “platziert Satelliten sowohl im mittleren Erdorbit in 8.000 Kilometern Höhe als auch im geostationären Orbit bei etwa 36.000 Kilometern. Doch je weiter der Satellit entfernt ist, desto länger dauert die Datenübertragung.”
Um auf dem Gefechtsfeld schnell zu kommunizieren, Daten hin- und herzusenden und FPV-Drohnen etwa exakt steuern zu können, ist jede Millisekunde Übertragungszeit entscheidend. OneWeb-Satelliten fliegen in derselben Höhe wie Starlink, etwa 1.200 Kilometer über der Erde. Mit Blick auf die Reaktionszeit sind sie also konkurrenzfähig, decken jedoch derzeit noch deutlich weniger Gebiet ab. Und um weitere europäische Satelliten ins All zu schießen, “müsste man aktuell wahrscheinlich amerikanische Trägerraketen von Elon Musks Unternehmen SpaceX nutzen”, so Rotter. Auf europäischer Ebene gibt es noch keine ausreichenden Kapazitäten, auch wenn mit der Ariane 6 künftig eine Alternative bereitsteht.
Trotzdem, der Vorsprung der USA bei der Satellitenkommunikation könnte sich deutlich schneller verringern als das Quasi-Monopol auf militärisch nutzbare Aufklärung aus dem Weltraum. Falls es Trump also mal überkommen sollte und er die Leitungen kappt, dann verliert die Ukraine entscheidende Fähigkeiten für weitreichende Schläge, ebenso für den Schutz der eigenen Infrastruktur und Bevölkerung. Wer das weiß, hört womöglich anders darauf, wenn Selenskyj mal wieder fragwürdige Positionen des Weißen Hauses lobt. Hier spricht einer, der sich voll bewusst ist, wie sehr er ohne Trumps Wohlwollen mit dem Rücken zur Wand steht.