Wiederbelebung einer Ideologie Grüne beschwören den Green New Deal
17.11.2012, 11:09 Uhr
Grüne Jobs sind machbar!
(Foto: dpa)
Wirtschaftswachstum durch eine ökologische Wende - vor vier Jahren infizierten die Grünen mit ihren Ideen zu einem neuen Kapitalismus selbst Befürworter der Atomkraft. Heute bangt die Partei darum, dass die Eurokrise die Erfolge der als Green New Deal bezeichneten Ideologie zunichte machen könnte.

Beim dreitägigen Treffen in Hannover stehen die Sozialpolitik und die Wahl des Bundesvorstands im Mittelpunkt. Der Green New Deal ist nur ein Randthema.
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Der Green New Deal war ein beispielloser Erfolg in Deutschland. Doch zum Exportschlager in andere europäische Länder entwickelte er sich nicht. Und während die Wirtschaftskrise in der Eurozone immer heftiger tobt, drohen die Lehren dieser Ideologie selbst in der Bundesrepublik wieder in Vergessenheit zu geraten.
Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) versuchten sich die Grünen darum auch an Wiederbelebungsmaßnahmen für den Green New Deal. Die breite Öffentlichkeit in Deutschland lernte das Konzept 2008 besser kennen. Die Grünen machten sich auf ihrem Parteitag in Erfurt dafür stark. Der Kern des Green New Deals: die Ökologisierung des Kapitalismus. Investitionen in umweltverträgliche Technologien, einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und erneuerbare Energien können im Sinne des Green New Deal den Wirtschaftswachstum befördern und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Banken- und Finanzkrise des Jahres 2008 sahen die Grünen als Chance für einen derartigen Systemwechsel im großen Stil.
Schnell war auch die SPD von dem Vorhaben überzeugt und zog mit Frank Walter Steinmeiers "Deutschlandplan" schon im Jahr darauf in die Bundestagswahl. Und nicht zuletzt das 2010 angestoßene schwarz-gelbe Energiekonzept zeugte davon, dass auch Union und FDP dem ökologisch-wirtschaftlichen Wandel bald immer mehr abgewinnen konnten. Sie witterten die Gelegenheit, Deutschland als Marktführer grüner Technologien zu etablieren. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung stieg seit Antritt von Schwarz-Gelb um 8 Punkte auf heute rund 25 Prozent. Und die Solar- und Windkraftbranche erlebte zeitweise einen unvergleichbaren Boom.
Lehren geraten in Vergessenheit
Heute in der Eurokrise wird den Lehren des Green New Deals laut Reinhard Bütikofer trotz offensichtlicher Erfolge ein geringerer Stellenwert beigemessen. "Mit Bedauern muss ich feststellen, dass diese progressive Strategie in den vergangenen Jahren in Europa geschwächt wurde", so der Vorsitzende der Europäischen Grünen.
Was ist geschehen? Die Eurokrise, die etliche europäische Staaten an den Rand des Bankrotts getrieben hat, zwang die Nettozahler der EU, Milliardenhilfspakete aufzulegen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung sah sich veranlasst, im Gegenzug eine immer strengere Austerität zu fordern. Vor allem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erwarb sich schnell den Ruf in den Krisenstaaten, nur aufs Sparen zu pochen. Dem Export des grünen Wandels bremste sie laut Bütikofer so schlicht aus, denn der setzt zunächst Investitionen voraus.
Angesichts knapper Kassen wich die Bundesregierung in den vergangenen Monaten dann auch selbst vom gerade erst mit Vehemenz eingeschlagenen Kurs des ökologisch-wirtschaftlichen Wandels ab. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) sagte da plötzlich, er wolle den Ausbau der erneuerbaren Energien drosseln. Ihm ging der Ausbau zu schnell. "Wenn wir das jetzige Tempo beibehalten, hätten wir schon bald einen Stromüberfluss, der abgeriegelt werden müsste. Damit wäre niemandem gedient." Sein Argument: Da Ökostrom noch gefördert wird, steigen durch den raschen Ausbau die Preise. Und in Zeiten der Krise bringen die kurzfristigen Kosten offenbar ein schwereres Gewicht in die Waagschale als die langfristigen Vorteile eines raschen Wandels.
Grüner Wandel statt Austeritätspolitik
Besorgniserregend ist für die Grünen auch, dass sich diese Haltung auch bei Investitionen in den Eurokrisenstaaten abzeichnet. So gab es einen Aufschrei, als an die Öffentlichkeit drang, dass die öffentliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bei aller Austerität zwar in Griechenland investiert – dort allerdings auch in den Bau neuer Braunkohlekraftwerke.
Bütikofer und andere Grüne wurden auf der Bundesdelegiertenkonferenz nicht müde zu betonen, welch Chancen die Bundesrepublik und vor allem die Krisenländer in Europa so vergeben.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, rechnete schon vor dem Parteitag in einem Aufsatz vor, wie schädlich die Abhängigkeit der Euroländer von fossilen Brennstoffen ist. Die 27-Staaten mussten demnach allein zwischen 2010 und 2011 rund 400 Milliarden Euro für Rohstoffimporte zahlen. Besonders die Kosten für Ölimporte stiegen. Weil vor allem die Krisenländer so mehr importieren mussten, als sie exportieren konnten, stieg ihre Auslandsverschuldung. Ein schnellerer grüner Wandel würde darum laut Giegold die Schuldenlast der gebeutelten Eurostaaten bald drücken.
Der grüne Europaabgeordnete Nikos Chrysogelos reiste eigens aus Griechenland zur Bundesdelegiertenkonferenz an, um die Notwendigkeit eines Green New Deal für seine Heimat und den Rest der EU zu untermauern. Die Alternative zur Austeritätspolitik Merkels müsse eine grüne Wende sein, beteuerte er. Und dann berichtete er von der Tourismusbranche, von Hotels, die ihre Lebensmittel nicht aus der Region bezögen, sondern aus Kostengründen im Ausland kauften – obwohl Griechenland ein durchaus landwirtschaftlich geprägter Staat ist. Ein Umdenken in derartig fehlgeleiteten wirtschaftlichen Entwicklungen, könnte laut Chrysogelos die Arbeitslosenquote von derzeit weit mehr als 20 Prozent senken.
Und der Grieche sprach vom gewaltigen Potenzial beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Deren Anteil an der Stromversorgung liegt laut Chrysogelos in seiner Heimat derzeit noch deutlich unter der 10-Prozent-Marke. Chrysogelos, Bütikofer – die Grünen nannten dutzende Beispiele, die für einen neuen grünen Gesellschaftsvertrag für ganz Europa sprechen. Wirklicher Optimismus machte sich auf der Bundesdelegiertenkonferenz bei dem Thema dennoch nicht breit. Vielleicht war es auch deshalb anders als 2008 ein Randthema. Im Mittelpunkt des Parteitags standen die Sozialpolitik und die Wahl des Bundesvorstands.
Womöglich auch, weil die Grünen in Deutschland mit ihrer Verquickung von Ökologie und Wirtschaftlichkeit längst in die gesellschaftliche Mitte vorgedrungen sind und ein Umfragehoch erleben. Und wahrscheinlich, weil derartige Themen etwa in Griechenland auf absehbare Zeit praktisch keine Rolle spielen dürften. Chrysogelos Partei scheiterte bei den jüngsten Wahlen an der 3-Prozent-Hürde.
Eine weitere große Hürde, die einem Export des Green New Deal auch in die Krisenstaaten im Wege steht: Selbst die starken Grünen aus Deutschland oder jene aus dem Europaparlament dürfen allenfalls als Ideengeber für die Krisenstaaten Europas dienen. Da sind sich Grüne wie Bütikofer und Chrysogelos einig. Auf keinen Fall darf der Eindruck entstehen, dass den angeschlagenen Staaten ein neuer Gesellschaftsvertrag auferlegt wird. Denn wenn es um auferlegte Maßnahmen geht hat Merkels Austeritätspolitik die Bevölkerung Griechenlands und Italiens, Spaniens und Portugals längst verprellt.
Quelle: ntv.de