Neue Regeln nach den Festtagen? Grüne und SPD dringen auf mehr Einschränkungen
20.12.2021, 14:31 Uhr
Am Dienstag beraten Bund und Länder über zusätzliche Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus. Schon im Voraus deuten Aussagen von führenden Politikern der Ampelparteien SPD und Grüne auf strengere Kontaktbeschränkungen hin. Nur das Wort Lockdown wird meist noch vermieden.
Kurz vor den Bund-Länder-Beratungen über das Vorgehen in der Pandemie mehren sich Stimmen aus den Parteien der Bundesregierung, die zusätzliche Einschränkungen ankündigen. Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geht davon aus, dass dies "Gegenstand der Beratungen von Bund und Ländern morgen ist und dass das dann auch verabredet wird für den Januar", so Habeck im Deutschlandfunk. Er sei sich sicher, "dass Clubs und Diskotheken schließen werden" und "dass wir die Kontakte auch für Geimpfte in Innenräumen reduzieren werden". Verschärfungen seien wohl unvermeidbar. "Wir müssen sicherlich nachschärfen bei den Maßnahmen", sagte der Grünen-Politiker.
Ähnlich äußerten sich die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken. Es müsse weitere Kontaktbeschränkungen nach den Festtagen geben, so Klingbeil. Esken wiederum forderte, dass Clubs und Bars geschlossen werden. Zusätzliche Beschränkungen solle es aber auch für Großveranstaltungen im Sport geben. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner sagte vor den Beratungen am Dienstag, es sei "naheliegend, dass es da insbesondere um private Zusammenkünfte geht". Auch die Regeln für Großveranstaltungen unter freiem Himmel sowie für Bars und Clubs könnten demnach wieder strenger gestaltet werden.
Es sei "denkbar, dass man die Obergrenzen indoor und outdoor bei privaten Veranstaltungen und auch bei öffentlichen Großveranstaltungen nochmal überdenkt", sagte Büchner. Für Veranstaltungen in Innenräumen gilt derzeit eine Obergrenze von 50 Teilnehmern, an Freiluftveranstaltungen dürfen bis zu 200 Menschen teilnehmen.
Klingbeil: "Es gibt keine roten Linien"
Während der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, zuletzt einen baldigen Lockdown für Deutschland prognostizierte, glaubt Habeck, dass zunächst gezieltere Einschränkungen beschlossen werden sollten. "Ich denke, wir haben noch andere Möglichkeiten, differenzierter vorzugehen", sagte Habeck im Deutschlandfunk. Das Ziel sei, "nicht das ganze private und öffentliche Leben, in den Schulen, in den Städten und den Dörfern, am Arbeitsplatz lahmzulegen", sagte Habeck. Mit einem solchen harten Lockdown solle man "nicht leichtfertig sein". Gesundheitsminister Karl Lauterbach schloss einen Lockdown wie in den Niederlanden zumindest für die Zeit vor Weihnachten aus.
Auch die SPD-Vorsitzenden erwähnten einen möglichen Lockdown im Januar nicht. "Es gibt keine roten Linien", sagte allerdings Klingbeil für den Fall, dass sich die Ausbreitung der Omikron-Variante verstärke, und die bis dahin beschlossenen Maßnahmen sich als nicht ausreichend erweisen sollten. "Dann müssen alle anderen Maßnahmen auch denkbar sein", betonte der Parteichef.
Der noch Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, sagte im "ntv Frühstart" über mögliche Maßnahmen: "Die Kontaktbeschränkungen sind ja kein Lockdown. Aber ich glaube, wir müssen da tatsächlich noch mal ran. Das zeichnet sich jetzt auch ab in den Gesprächen zwischen den Ländern, dass die Kontaktmöglichkeiten auch bei Veranstaltungen noch mal reduziert werden."
Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen wiederum brachte einen Lockdown nach den Feiertagen ins Spiel. "Wir müssen mit unseren Maßnahmen vor die Omikron-Welle kommen. Unser heutiges Handeln bestimmt die morgige Pandemie-Lage", sagte er. "Angesichts der äußerst hohen Übertragbarkeit von Omikron werden wir um einen Lockdown nach Weihnachten vermutlich nicht herumkommen. Ein mögliches Szenario wäre ein gut geplanter Lockdown Anfang Januar." Für Weihnachten gelte der dringende Appell, getestet im kleinen Familienkreis zu feiern. "Um alle gegen Omikron notwendigen Maßnahmen beschließen zu können, müssen Bundestag und Bundesrat absehbar erneut zusammentreten und die Voraussetzungen dafür schaffen", so Dahmen.
Entwicklungen in Großbritannien bereiten Sorge
Zuvor hatte der Expertenrat der Bundesregierung vor einer dramatischen Lage wegen Omikron gewarnt und sich für die rasche Einführung von Kontaktbeschränkungen ausgesprochen. Aus der derzeitigen Lage ergebe sich "Handlungsbedarf bereits für die kommenden Tage", heißt es einem Papier, das ntv.de vorliegt. "Wirksame bundesweit abgestimmte Gegenmaßnahmen zur Kontrolle des Infektionsgeschehens sind vorzubereiten, insbesondere gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen", schreiben die 19 Expertinnen und Experten, die das Papier einstimmig verabschiedet haben. Aktuelle Maßnahmen müssten "darüber hinaus noch stringenter fortgeführt werden".
Sorgen bereiten Politikern und Wissenschaftlern die Entwicklungen etwa in Großbritannien, wo die Omikron-Variante die Corona-Infektionszahlen stark ansteigen lässt. Omikron bringe "eine neue Dimension in das Pandemiegeschehen", heißt es in der Stellungnahme des Expertenrats. Das Gremium warnt vor Risiken für die sogenannte kritische Infrastruktur. Dazu zählen demnach Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Telekommunikation, Strom- und Wasserversorgung und die entsprechende Logistik. "Deshalb bedarf es einer umfassenden und sofortigen Vorbereitung des Schutzes der kritischen Infrastruktur unseres Landes."
Für Anfang 2022 müssten in den kommenden Tagen Vorkehrungen getroffen werden, "und zwar auf politischer und organisatorischer Ebene des Bundes, der Länder, der Städte und Gemeinden". So müssten etwa Krankenhäuser eine hinreichende Vorratshaltung von Material und Medikamenten herstellen. Zudem fordern die Experten auch über die Feiertage "eine schnelle politische Handlungsfähigkeit".
Quelle: ntv.de, mbe/dpa/rts/AFP