Informations-Wirrwarr Guttenberg: Opposition wusste mehr
14.12.2009, 10:10 UhrBundesverteidigungsminister Guttenberg lehnt einen Rücktritt wegen seiner Informationspolitik zum tödlichen Luftangriff bei Kundus ab - und greift nun selbst die Opposition an. Diese sei schon Anfang November darüber informiert worden, dass auch Taliban-Kämpfer Ziel des Angriffs bei Kundus gewesen seien, nicht nur die Tanklaster.

Angriff als beste Verteidigung: Guttenberg setzt sich zur Wehr.
(Foto: dpa)
In der Debatte um den tödlichen Luftangriff bei Kundus hat Karl-Theodor zu Guttenberg den Vorwurf der Täuschung zurückgewiesen und ist selbst in die Offensive gegangen. Seinen Kritikern aus der Opposition warf er vor, die Details des Luftangriffs von Kundus schon lange zu kennen. Seit Anfang November seien sie darüber informiert, dass auch die Taliban Ziel des Bombardements vom 4. September gewesen seien, sagte der CSU-Politiker. "Was den Vorwurf der Täuschung und der Lüge in meiner Amtszeit betrifft, kann ich nur sagen, dass sich Herr Gabriel und Herr Trittin hüten müssen, sich nicht selbst dem Vorwurf der Täuschung auszusetzen", sagte Guttenberg an die Adresse von SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin.
Der ISAF-Untersuchungsbericht für die NATO liege seit 3. November vor. "Sogar in deutscher Übersetzung", berichtete Guttenberg. Die Oppositionsfraktionen seien am 6. November unterrichtet worden. "Auch die Taliban waren Ziel dieses Bombardements, auch die Taliban, auch die Lastwagen. Darauf wurde bereits die Opposition hingewiesen", sagte Guttenberg.
Damit rückte der Minister allerdings von der wochenlang in der Öffentlichkeit vertretenen Linie der Bundesregierung und seines Ministeriums ab, dass die beiden mit Treibstoff gefüllten Tanklaster zerstört werden sollten, um nicht als rollende Bomben gegen das deutsche Lager eingesetzt zu werden. Er selbst schloss einen Rücktritt aus. "Ich werde definitiv, auch wenn's mal stürmt, stehen bleiben. So bin ich erzogen worden - und so will ich das auch handhaben", sagt er gegenüber RTL.
Gerhardt: "Wenig professionell bearbeitet"
Der frühere FDP-Parteichef Wolfgang Gerhardt forderte Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf, er solle Klarheit über seine Rolle nach dem Luftangriff in Afghanistan auf Taliban und Zivilisten schaffen. "Das Aufklärungsgebot gilt für alle Beteiligten, auch für Steinmeier", sagte Gerhardt. Er wundere sich, "dass das Auswärtige Amt, welches die Vorgänge in Afghanistan der internationalen Öffentlichkeit erläutert, überhaupt nicht aktiv geworden ist".
"Wenn die SPD immer nach Frau Merkel fragt, muss sie wissen, dass sie gleichzeitig in der Regierung beteiligt war", sagte Gerhardt zu Forderungen von Sozialdemokraten, die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Afghanistan-Affäre zu durchleuchten. Zu der Diskussion sagte Gerhardt: "Der ganze Ablauf ist von politischer Seite wenig professionell bearbeitet und auch öffentlich erklärt worden."
Guttenberg: "Weder korrekt noch umfassend informiert"
In der ARD wies Guttenberg erneut Anschuldigungen zurück, die Öffentlichkeit über die Umstände des Angriffs vom 4. September in Nordafghanistan getäuscht zu haben. "Ich bin bis zum 6. November weder korrekt noch umfassend informiert worden." Das habe auch Ex-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan deutlich gemacht, der daraus die Konsequenzen gezogen habe. Guttenberg hatte den Angriff, bei dem etliche Zivilisten getötet wurden, auf einer Pressekonferenz am 6. November, als "militärisch angemessen" bezeichnet.
Schneiderhan sagte dagegen in der ARD, Guttenberg habe vor dieser Äußerung alle maßgeblichen Informationen gekannt. Außer einem Bericht des Internationalen Roten Kreuzes habe Guttenberg auch der Untersuchungsbericht der NATO-Truppe ISAF vorgelegen. Vier weitere Berichte hatten er und der ebenfalls entlassene Verteidigungs-Staatssekretär Peter Wichert in einem Gespräch mit Guttenberg aber offenbar erst am 25. November um 14.20 Uhr auf Nachfrage genannt. Dabei hätten sie keine Unterrichtung über Inhalte derselben gegeben.
"Keine unmittelbare Bedrohung"

In Kundus starben auch zahlreiche Zivilisten.
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Der ARD zufolge heißt es in dem NATO-Bericht, dass für das Bundeswehrlager bei Kundus "keine unmittelbare Bedrohung" bestand und es keine "Feindberührung" gegeben habe. Dies habe Bundeswehroberst Georg Klein jedoch vorgegeben, als er die Bombardierung durch die US-Luftwaffe angeordnet habe.
Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, Klein habe Schneiderhan bereits am 5. September gemeldet, dass er am Tag zuvor befohlen habe, die beiden entführten Tanklaster sowie an den Fahrzeugen befindliche Aufständische "durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten". Dieser Bericht sei dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) einen Tag später vorgelegt worden und kurz darauf in der Führungsetage des Ministeriums allgemein bekannt gewesen, schreibt die Zeitung unter Berufung auf die Spitze des Ministeriums. Unklar sei, ob der Bericht auch das Kanzleramt erreichte.
Regierung: Keine neue Strategie
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm zufolge wird die Bundesregierung auf die Rolle des Kanzleramts in der Affäre um den Luftangriff der Bundeswehr in Afghanistan erst im Untersuchungsausschuss eingehen. "Diese Antwort wird sich ergeben im Untersuchungsausschuss, nachdem wir die Unterlagen, die im Kanzleramt dazu vorhanden sind, dem Ausschuss zur Verfügung stellen", sagte Wilhelm. "Dann wird sich das gesamte Bild ergeben, in welcher Weise im Kanzleramt diese Frage begleitet wurde und auch welche Informationen es zu welchem Zeitpunkt gab."

Merkel soll nach dem Willen der Opposition die "Karten auf den Tisch legen".
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Der Luftschlag vom 4. September soll Folge einer verschärften Einsatzstrategie sein, in die das Kanzleramt involviert gewesen sein könnte. Oppositionspolitiker hatte am Wochenende eine Überschreitung des Bundestagsmandates gesehen. Wilhelm widersprach dem erneut: "Die Vorstellung, dass sozusagen jenseits der Grundlagen des Mandates, das der Deutsche Bundestag erteilt hat, die Strategie in irgendeiner Weise fundamental geändert wird, ist abwegig", sagte er. "Wir bewegen uns weiterhin auf der Grundlage dieses Mandates."
SPD gegen "Staat im Staate"
Die SPD stellt indes den Fortbestand der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK in Frage. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, sagte der "Berliner Zeitung", wenn herauskäme, dass das Kommando Spezialkräfte diesen Bombenangriff verantworte, würde das KSK "in der jetzigen Form nicht überleben". Es werde dann schnell eine Debatte über den "Staat im Staate" geben. Es sei durchaus denkbar, dass die KSK den Angriff geführt habe. Damit würde sich erklären, warum bestimmte Meldewege nicht eingehalten worden seien, warum der Befehl gebende Bundeswehroberst Georg Klein seinen Rechtsberater nicht zu Rate gezogen habe und warum das Hauptquartier der NATO-Truppe ISAF nicht benachrichtigt worden sei.
Arnold forderte Guttenberg auf, bei der Aufklärung der Vorfälle nicht auf den Untersuchungsausschuss zu warten. Guttenberg dürfe sich "jetzt nicht hinter dem Untersuchungsausschuss verstecken". Er müsse mehrere Fragen klären: "Was hat das KSK in dieser Nacht gemacht? War der BND vor Ort? Welche Aufgaben hat die Taskforce 47, und welche Soldaten sind dort dabei?" Das müssten die Generäle dem Minister sagen. "Wenn sie das nicht tun, dann hat er sein Haus nicht im Griff. Wenn er es weiß und es uns nicht sagt, ist das genauso wenig akzeptabel." Viele Fehler könne sich Guttenberg nun nicht mehr leisten, sagte Arnold.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, sagte im Deutschlandfunk, Guttenberg müsse im Untersuchungsausschuss in dieser Woche klar Auskunft geben. Der Minister trage wenig zur Aufklärung bei. "Zu viele Talkshows, zu wenig Substanz." Möglicherweise sei auch "die eine oder andere Aussage zu schneidig und zu voreilig" gewesen. Entsetzt zeigte sich Mützenich über Berichte, wonach die gezielte Tötung von Talibankämpfern neue Bundeswehrstrategie sein soll. "Wir stehen vor tiefen Abgründen. Die Genfer Konventionen schließen das ganz klar aus."
Trittin: "Sehr spannend"
Die Grünen sehen in der Kundus-Affäre die Bundesregierung weiter in akuter Erklärungsnot. Grünen- Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin verwies im ZDF auf die unterschiedlichen Aussagen Guttenbergs und Schneiderhans. Dieser Punkt werde im Bundestags-Untersuchungsausschuss "sehr spannend", sagte Trittin. Falschaussagen vor dem Gremium seien strafbar. Sollten Schneiderhan und Ex-Staatssekretär Peter Wichert bei ihren Aussagen bleiben, "dann ist Guttenberg nicht zu halten".
Trittin forderte auch genaue Aufklärung über die Strategie der Bundeswehr in Afghanistan. "Wir haben da einen Verdacht. Es hat im Juli ein Treffen gegeben zwischen der Bundeswehr, dem Bundesnachrichtendienst und dem Kanzleramt. Da hat man sich auf eine neue Strategie verständigt." Kanzlerin Angela Merkel müsse nun dem Bundestag erklären, "ob es zu dieser Strategie gehört, gezielt und vorbeugend Verdächtige zu töten." Ein solches Vorgehen wäre durch das Bundestagsmandat nicht gedeckt, erklärte Trittin.
Quelle: ntv.de, ghö/DJ/AFP/dpa