Union muss überzeugt werden Guttenberg will Wehrpflicht aussetzen
23.08.2010, 14:44 Uhr
Waffenprüfung durch einen Ausbilder: Bald müssen junge Männer nichtmal mehr Gewissensbisse haben, wenn sie den Dienst verweigern wollen.
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Verteidigungsminister Guttenberg plant zwar nicht, die Wehrpflicht aus dem Grundgesetz zu nehmen - de facto aber soll niemand mehr gezwungen werden, in der Armee zu dienen. Das kommt zumindest einem vorübergehenden Aus für die Wehrpflicht gleich.
Die Bundeswehr steht vor dem tiefgreifendsten Umbruch in ihrer 55-jährigen Geschichte. Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht aussetzen und die Streitkräfte um ein Drittel verkleinern. Nach der Reform werde die Bundeswehr zwar kleiner sein als heute, allerdings auch einsatzfähiger, sagte er.
Nach Guttenbergs Vorstellungen soll die Truppe in den nächsten Jahren von 252.000 auf bis zu 163.500 Soldaten verkleinert werden. Es soll aber einen Spielraum nach oben geben. Bis zu 180.000 Soldaten sind nach Auffassung des Ministers unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung möglich. Allerdings würde das auch teurer werden.
Guttenberg stellte seine Pläne den Koalitionsfraktionen vor, nachdem er am Wochenende Kanzlerin Angela Merkel informiert hatte. Die CDU-Chefin will sich zwar noch nicht auf ein Modell festlegen, zeigt sich aber offen für ein Aussetzen der Wehrpflicht. Gleichzeitig bringen sich in der Union die Befürworter des Pflichtdienstes an der Waffe in Stellung. Mit der von Guttenberg für Mitte 2011 geplanten Aussetzung würde auch der Zivildienst wegfallen. Die Wohlfahrtsverbände haben massive Bedenken angemeldet.
Familienministerin Kristina Schröder sagte, rund 35.000 Frauen und Männer könnten voraussichtlich für einen bundesweiten freiwilligen Zivildienst pro Jahr gewonnen werden. "Wir hätten dann erstmals weibliche Zivis." Der Dienst in sozialen Einrichtungen könne zwischen 6 Monaten und in Ausnahmefällen bis zu 24 Monaten dauern und mit rund 500 Euro im Monat entlohnt werden. Die Regeldauer könnte ein Jahr betragen. Die FDP warnte angesichts der bestehenden Freiwilligendienste vor Doppelstrukturen.
"Ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass wir das, was wir heute haben, komplett ersetzen können", räumte Schröder ein. Der heutige, an die Wehrpflicht gekoppelte Zivildienst schaffe die beste Situation. Doch gelte das Primat der Verteidigungspolitik. "Sie können mit dem Zivildienst nicht die Wehrpflicht begründen." Ein neuer freiwilliger Dienst solle sich auf neue Bereiche etwa in Sport, Kultur und Bildung erstrecken.
Kasse nicht entscheidend

Schröder muss sich dann in Kürze etwas einfallen lassen. Schon jetzt droht ein Pflegenotstand.
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Guttenberg präsentierte den Koalitionsexperten fünf Modelle, machte aber seine Präferenz klar. Nach seinem Willen soll die Wehrpflicht zwar im Grundgesetz verankert bleiben, junge Leute sollen aber nicht mehr gegen ihren Willen eingezogen werden. Der Minister will einen freiwilligen "Schnupper-Wehrdienst" mit einer Länge von 12 bis 23 Monaten anbieten, der vor allem dazu dienen soll, Nachwuchs für die Berufsarmee zu rekrutieren. Auch Frauen sollen sich freiwillig melden können. Das Ministerium geht in der Modellrechnung von 7500 Freiwilligen sowie 156 000 Berufs- und Zeitsoldaten aus.
Guttenberg betonte, Sparziele stünden bei der Reform nicht im Vordergrund. "Es wird keine Bundeswehr nach Kassenlage geben, sondern eine, die die sicherheitspolitischen und verteidigungspolitischen Herausforderungen bewältigen kann." Allerdings seien auch mit dem von ihm vorgestellten Modell "ganz erhebliche Entlastungen zu schaffen".
Eine Streichung der Wehrpflicht aus dem Grundgesetz lehnt Guttenberg ab. Er begründete das damit, dass man die Entwicklung der Sicherheitslage nicht absehen könne und deswegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht möglich bleiben müsse. "Ich wundere mich immer wieder über den einen oder anderen Schlaumeier, der weiß, wie in 20 Jahren die Welt aussieht", sagte der Minister.
Das einzige ernstzunehmende Konkurrenzmodell sieht eine Armee mit 210.000 Soldaten, davon 30.000 Wehrpflichtige, vor. Andere Optionen wie etwa die Verkleinerung der Bundeswehr auf nur noch 150 000 Soldaten haben dagegen keine Chance. Guttenberg will die Bundeswehr leistungsfähiger, effizienter, moderner und kompakter machen. Ihre Rolle in der NATO soll nicht geschwächt, sondern gestärkt und die Einsatzfähigkeit deutlich erhöht werden. Derzeit können nur 7000 bis 8000 Soldaten in Auslandseinsätze geschickt werden.
Union uneins
Die Union ist in der Frage der Wehrpflicht gespalten. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) forderte seine Partei zu einer gründlichen Debatte auf. "Ich darf nur daran erinnern, dass unsere CDU seit 1955 immer die Partei der Wehrpflicht war", sagte er. "Dass ich ein Befürworter der Wehrpflicht bin, ist bekannt." Auch der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ernst-Reinhard Beck (CDU), machte erhebliche Bedenken gegen ein Aussetzen der Wehrpflicht geltend. "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht für mich ein Aussetzen nicht zur Diskussion."
Die sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Elke Hoff, zeigte sich zufrieden mit der Entwicklung, nachdem ihre Partei seit Jahren für eine Abschaffung der Wehrpflicht eintritt. Die künftigen Strukturen der Streitkräfte müssten sich an den sicherheitspolitischen Interessen des Landes orientieren. Wichtig sei zudem, dass die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber erhalten bleibe.
Innerhalb seiner eigenen Partei, der CSU, stößt Guttenberg auf Widerstand. "Ich halte es für falsch, die Wehrpflicht auszusetzen", sagte der Wehrexperte der CSU-Landtagsfraktion, Johannes Hintersberger. Die allgemeine Wehrpflicht sei der entscheidende Eckstein für die Verwurzelung der Bundeswehr in der Bevölkerung. CSU-Chef Horst Seehofer hatte bereits vor einigen Wochen gesagt, er könne seiner Partei nur raten, die Wehrpflicht nicht auszusetzen und damit de facto abzuschaffen.
Merkel will über eine Aussetzung der Wehrpflicht erst nach intensiver politischer Debatte entscheiden. "Die Bundeskanzlerin wird sich und kann sich da in dieser Phase vor einer breiten Diskussion in den Parteien natürlich nicht festlegen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Kanzlerin sehe aber durchaus einen "Ausgangspunkt" für eine Reform und unterstütze "neues Denken".
Nicht ausreichend?
Nach der bisherigen Beschlusslage des Kabinetts soll die Reform bis 2014 rund 8,3 Milliarden Euro einsparen. Merkel hat aber bereits deutlich gemacht, dass dieser Betrag verringert werden könnte. Der Minister will seine Reform noch dieses Jahr durchsetzen. Entscheidend werden die Parteitage von CSU und CDU im Oktober und November sein.
Die SPD will den Pflichtdienst wie Guttenberg durch einen freiwilligen Wehrdienst ersetzen. Grüne und Linke sind für eine Abschaffung der Wehrpflicht. Der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Oberst Ulrich Kirsch, sagte, die Zahl von künftig nur noch 7500 freiwillig Dienenden werde "nicht ausreichen, um die erforderliche Regeneration in der Truppe - die Gewinnung von Nachwuchs - zu gewährleisten. Darum - und schließlich zur Erfüllung ihrer Aufträge - benötigen die Streitkräfte mindestens die doppelte Anzahl von Männern, die freiwilligen Wehrdienst leisten."
Quelle: ntv.de, dpa