Politik

Der Kriegstag im Überblick Heftige Kämpfe in Donezk - russische Hardliner offenbar unzufrieden mit Putin

Ein ukrainischer Soldat feuert einen Mörser auf russische Stellungen in Bachmut.

Ein ukrainischer Soldat feuert einen Mörser auf russische Stellungen in Bachmut.

(Foto: AP)

Die Freude der Ukrainer über die Befreiung von Cherson ist noch immer groß. Präsident Selenskyj verspricht gleich die Vertreibung der Russen aus weiteren Gebieten, muss aber zugeben: In Donezk "ist die reine Hölle". In Russland steht Präsident Putin dabei immer mehr unter Druck. Der 263. Kriegstag im Überblick.

Nach der Rückeroberung der südukrainischen Gebietshauptstadt Cherson hat Präsident Wolodymyr Selenskyj angekündigt, weitere noch von Russland besetzte Gebiete zu befreien. "Wir vergessen niemanden, wir werden niemanden zurücklassen", versprach Selenskyj in einer Videobotschaft. Russland hatte zuvor seine Truppen aus allen am Nordwestufer des Dnipro gelegenen Teilen des von ihm annektierten Gebiets Chersons abgezogen - darunter auch der Hauptstadt des Gebiets.

Dort besteht nun eine der Hauptaufgaben der zurückgekehrten ukrainischen Kräfte darin, die Region von Minen zu räumen. 2000 Sprengsätze wurden laut Selenskyj bereits entschärft. Zugleich warnt die ukrainische Polizei die Einwohner eindringlich vor den Sprengsätzen. Ein Polizist sei bei einer Minenräumung in einem Verwaltungsgebäude in Cherson verletzt worden, hieß es.

Nächtliche Ausgangsperre in Cherson

Unterdessen arbeiten die Versorgungsunternehmen in Cherson an der Wiederherstellung kritischer Infrastrukturen. Die meisten Haushalte in der südukrainischen Stadt seien noch immer ohne Strom und Wasser, teilten regionale Beamte mit. Die Behörden beschlossen zudem, die Ausgangssperre von 17 Uhr bis 8 Uhr morgens aufrechtzuerhalten und den Menschen zu verbieten, die Stadt zu verlassen oder zu betreten, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Ukrainische Bahn verkauft Tickets in noch besetzte Städte

Anlässlich der Rückeroberung der Stadt Cherson bietet die ukrainische Bahn bereits im Vorverkauf Tickets für Fahrten in von Russland besetzte Städte an. Diese Fahrkarten könnten nach der erwarteten Befreiung dieser Städte genutzt werden, kündigte der Bahnbetreiber auf Telegram an. Sie gälten in den ersten drei Zügen von Kiew ins befreite Cherson sowie nach Mariupol, Donezk und Luhansk im Osten und Simferopol auf der Krim. Es handle sich um ein Symbol des Vertrauens in die ukrainischen Streitkräfte und die Befreiung der Ukraine von den Besatzern. Die Vorverkaufspreise beginnen bei umgerechnet rund 26,50 Euro.

Heftige Kämpfe in Donezk

Noch wird in Donezk und Luhansk allerdings heftig gekämpft. Russlands Verteidigungsministerium berichtete über einen kleineren Erfolg im der ostukrainischen Region. Russische Soldaten hätten den Ort Majorsk bei der Stadt Horliwka erobert, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. Von ukrainischer Seite gab es dazu keine Angaben. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach allerdings bereits in seiner Videoansprache am Samstagabend von derzeit besonders heftigen russischen Angriffen in Donezk. "Dort ist es die reine Hölle", sagte er. Auch der Generalstab erklärte, im Osten in Luhansk und Donezk würden die schweren Kämpfe fortgesetzt. In beiden Regionen seien in den vergangenen 24 Stunden mehrere russische Angriffe abgewehrt worden.

Denkfabrik: Unmut über Putin wächst

Die kleinen Erfolge im Donezk dürften Russlands Präsident Wladimir Putin allerdings kaum helfen und seine Kritiker zufriedenstellen. Nach Einschätzung der US-Denkfabrik "Institute for the Study of War" (ISW) wächst bei Russlands Kriegsbefürwortern nach dem Rückzug aus Cherson der Unmut über Putin. Extreme russische Nationalisten zweifeln demnach immer stärker an dessen Einsatz für ideologische Ziele. Auch Kanäle, die der Wagner-Gruppe nahestehen, wendeten sich gegen den Kreml. Dabei hatten Militärblogger den Abzug zuvor befürwortet.

Insgesamt hat die Ukraine laut dem Institut seit Beginn des Krieges gut 74.000 Quadratkilometer ukrainisches Territorium befreit. Das ukrainische Verteidigungsministerium teilte mit, dass seit Anfang der Woche 179 Ortschaften und 4500 Quadratkilometer entlang der Küste des Dnipro im Süden des Landes zurückerobert worden seien.

London: Militärunterricht an Schulen soll Wehrbereitschaft steigern

Der geplante verpflichtende Militärunterricht an russischen Schulen soll nach britischer Einschätzung die Bereitschaft zu Mobilisierung und Wehrdienst bei jungen Menschen erhöhen. Das Training ziele darauf ab, Schüler, die sich dem Wehrpflichtalter nähern, mit militärischen Fähigkeiten auszustatten, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. "Diese Initiative ist wahrscheinlich auch Teil eines umfassenderen Projekts, um der russischen Bevölkerung eine Ideologie des Patriotismus und des Vertrauens in öffentliche Institutionen einzuflößen".

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace warnte zugleich vor der Grausamkeit des russischen Regimes. "Die Geschichte lehrt, dass Russland sehr brutal gegen seine eigenen Menschen sein kann", sagte Wallace. "Falls sie mehr Kanonenfutter brauchen, werden sie es sich holen", so der Minister mit Blick auf die jüngste Mobilisierung in Russland.

Scholz bedauert Putins Fernbleiben bei Gipfel

Bundeskanzler Olaf Scholz bedauert indes die Entscheidung Putins, nicht am G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali teilzunehmen. "Es wäre gut gewesen, wenn Präsident Putin sich zum G20-Gipfel begeben hätte", sagte Scholz. "Dann hätte er sich allerdings aussetzen müssen all den Fragen und all der Kritik, die von vielen Ländern der Welt formuliert worden ist. Vermutlich ist er deshalb nicht da." Die G20 kommen am Dienstag auf Bali zu einem zweitägigen Gipfeltreffen zusammen. Putin hatte vor wenigen Tagen seine Teilnahme abgesagt und wird nun von seinem Außenminister Sergej Lawrow vertreten, der bereits auf Bali eingetroffen ist.

Lawrow machte den USA und der NATO wieder schwere Vorwürfe: Ihm zufolge wollen sie eine Vormachtstellung in der Asien-Pazifik-Region einnehmen, indem sie diese militarisierten. "Die USA und ihre Verbündeten sowie die NATO versuchen jetzt, diese Region zu schlucken", sagte Lawrow nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS am Rande des Gipfels der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean. Eine gemeinsame Abschlusserklärung des Gipfels sei an Streitigkeiten um den Wortlaut zur Situation in der Ukraine gescheitert, sagte Lawrow weiter. "Heute wurden keine kollektiven Entscheidungen getroffen, weil die USA und ihre westlichen Verbündeten auf einer absolut inakzeptablen Sprache in Bezug auf die Lage in und um die Ukraine bestanden haben."

Sunak: "Wir werden Putins Regime zur Rede stellen"

Vor dem G20-Gipfel griff der britische Premierminister Rishi Sunak Präsident Putin scharf an. "Putins Krieg hat weltweit für Verwüstung gesorgt, Leben zerstört und die internationale Wirtschaft in Turbulenzen gestürzt", sagte Sunak. Das Gipfeltreffen auf der Insel Bali werde kein "business as usual" sein. "Wir werden Putins Regime zur Rede stellen und dessen völlige Verachtung für internationale Zusammenarbeit und den Respekt für Foren wie die G20 offenlegen." Im Gegensatz zu Russland würden Großbritannien und seine Verbündeten zusammenarbeiten, um Fortschritte bei der Lösung wirtschaftlicher Probleme zu erzielen und die Lage der eigenen Bevölkerungen zu verbessern.

BBC berichtet von weiterem US-Hilfspaket

Auch die westliche Unterstützung für Kiew reißt offenbar nicht ab. Wie die BBC berichtet, versprechen die USA, die bereits Milliarden Dollar für die Ukraine zur Verfügung gestellt haben, dem Land weitere Hilfe. Nach Angaben des nationalen Sicherheitsberaters von Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, werden demnach die Vereinigten Staaten in den nächsten Wochen ein weiteres Paket zur militärischen Unterstützung der Ukraine ankündigen.

Hilfsaktionen für die Ukraine

Nicht nur die Regierungen helfen der Ukraine. Bei einer Auktion in New York für die Opfer des Ukraine-Krieges wurden mehrere speziell angefertigte Gitarren, auf denen Musiker wie Paul McCartney, Slash oder die Rolling Stones spielten, versteigert. Die Instrumente vom Gitarrenbauer Gibson waren in den Farben der ukrainischen Fahne - Blau und Gelb - angefertigt worden. Knapp 77.000 Dollar brachte allein eine Gibson Les Paul Gitarre ein, mit der Ex-Beatle Paul McCartney im Sommer aufgetreten war.

Die Deutsche Bahn setzt indes auf reaktivierte Kohlewaggons, die bei einem Wiederaufbau der Ukraine helfen sollen. "Ich gehe davon aus, dass wir die Kohlewaggons, die jetzt im Einsatz sind, umbauen werden, damit wir sie anders einsetzen können", sagte die Chefin der Bahn-Frachttochter, Sigrid Nikutta, T-Online. Mit den Waggons könne alles transportiert werden, was geschüttet werden müsse, zum Beispiel Baustoffe wie Sand oder Kies. "Meine Hoffnung ist, dass wir die alten Kohlewaggons schon bald für den Wiederaufbau der Ukraine nutzen können."

Alle weiteren Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine können Sie in unserem Liveticker nachlesen.

Quelle: ntv.de, ghö/dpa

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