Lindner für Steuerreformen Heil beharrt auf "Klimageld" zur Entlastung
29.05.2022, 05:35 Uhr
Lässt die Einwände von Finanzminister Lindner (links) nicht gelten: Sozialminister Heil.
(Foto: picture alliance/dpa/AFP POOL)
Trotz Kritik von der Union und Skepsis bei der FDP pocht Sozialminister Heil auf das "Klimageld". So will der SPD-Politiker Millionen Menschen entlasten. Finanzminister Lindner sperrt sich. Deshalb erinnert die SPD-Fraktionsvize Schmidt ihn an einen gemeinsamen Beschluss: "Linder sollte sich an die Arbeit machen."
Mit der jährlichen Auszahlung eines "sozialen Klimagelds" will Bundessozialminister Hubertus Heil ab kommendem Jahr geringe und mittlere Einkommen entlasten - und hat damit Skepsis bei der FDP und heftige Kritik bei der Union ausgelöst. "Zwar ist Entlastung richtig, doch haben wir inzwischen einen wahren Flickenteppich an Maßnahmen", sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner in Berlin. Außerdem plant Heil im Zuge des Bürgergelds bis zu 50 Euro höhere Regelsätze bei der Grundsicherung. Dies solle durch eine geänderte Berechnung erreicht werden, wie der SPD-Politiker der Funke Mediengruppe sagte. FDP-Chef Christian Lindner reagierte zurückhaltend auf die Vorstöße. Die Grünen begrüßten die Ankündigung grundsätzlich. Heil bezifferte die Kosten beider Vorschläge auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. "Wir sind noch in Modellrechnungen."
Heil sagte, die steigenden Preise für Energie und Lebensmittel träfen Menschen mit geringen Einkommen besonders hart. Zeitlich befristete Entlastungen reichten nicht mehr. Heil verwies auf das Ziel der Klimaneutralität auch unabhängig vom Krieg in der Ukraine. Energie werde also teurer. "Wir müssen eine Antwort geben über das jetzige Entlastungspaket hinaus." Er schlage ein soziales Klimageld vor, das Alleinverdiener mit einem Monatsbruttolohn von unter 4000 Euro und Verheiratete mit weniger als 8000 Euro erhalten sollten. Über die genaue Staffelung sei in der Koalition noch zu sprechen. "Ich will das in die Koalition einbringen, weil ich als Sozialminister eine Verantwortung habe - auch wenn die Federführung eher beim Finanzminister und beim Klimaminister liegt."
Ferner sollen laut Heil im Rahmen des neuen Bürgergelds, das ab 2023 das heutige Hartz-IV-System ersetzen soll, höhere Regelsätze gelten. "Mein Vorschlag ist, dass wir etwa bei Familienhaushalten die unteren 30 statt der unteren 20 Prozent der Einkommen als Grundlage nehmen." Das bedeutet, dass bei der Berechnung der Sätze von mehr Bedarf ausgegangen würde. "Damit können wir erreichen, dass die Regelsätze im Bürgergeld pro Person und Monat in etwa um 40 bis 50 Euro höher sein werden als in der Grundsicherung."
Lindner will Steuerreform
FDP-Chef Christian Lindner sagte, Heils Vorstoß zeige, die SPD habe die Umverteilungspolitik nicht verlernt. "Da Schulden und Steuererhöhungen ausgeschlossen sind, bin ich auf die Finanzierungsideen gespannt." Viel näher als neue Töpfe liege eine Reform der Lohn- und Einkommensteuer. "Wenn die Gehälter steigen, darf der Staat nicht überproportional mitverdienen."
FDP-Klimaexperte Olaf in der Beek sagte: "Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimageld soll kein neues sozialpolitisches Instrument sein, wie Minister Heil es gerade vorschlägt." Vielmehr solle es die Finanzierbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen für die Menschen unterstützen und kostenintensiven Klimaschutzmaßnahmen mehr Akzeptanz verschaffen.
Die SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt verteidigte Heils Vorstoß. Sie entgegnete Lindner: "Den Finanzminister erinnere ich an das zweite Entlastungspaket." Sie zitierte den entsprechenden Beschluss des Koalitionsausschusses vom 23. März: "Um in Zukunft einen einfachen und unbürokratischen Weg für Direktzahlungen an die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen, wird die Bundesregierung möglichst noch in diesem Jahr einen Auszahlungsweg über die Steuer-ID für das Klimageld entwickeln." Dazu sagte Schmidt an die Adresse Lindners: "Statt nur zu lamentieren, was angeblich alles nicht geht, sollte er sich jetzt an die Arbeit machen."
Klöckner warf der Ampel vor, jeden Tag einen neuen Vorschlag zur Entlastung zu machen. "Wer blickt da noch durch?" Für die, die Unterstützung brauchen, sei das Klimageld zu bürokratisch. Dazu komme: "Wie soll die Summe dem Bürger überwiesen werden? Woher kennt der Staat die Kontonummer jedes einzelnen?"
Der Grünen-Fraktionvize Andreas Audretsch nannte das Klimageld dagegen "ein zentrales Instrument, um Klimaschutz sozial zu machen, indem die Einnahmen des CO2-Preises direkt wieder an die Menschen ausgezahlt werden". SPD, Grüne und FDP hatten bereits im Koalitionsvertrag "angesichts höherer CO2-Preiskomponenten" ein Klimageld als "sozialen Kompensationsmechanismus" angekündigt.
DIW: Als Inflationsausgleich zu wenig
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi begrüßte Heils Vorschlag als Schritt in die richtige Richtung. "Das Klimageld kann endlich für die Entlastung sorgen, die die bisherigen Pakete nicht schaffen", erklärte Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Jedoch dürfe es nicht dabei bleiben. Vielmehr müssten "sämtliche Einnahmen aus der CO2-Bepreisung komplett an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden, um wirksame Entlastung zu schaffen".
Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, nannten Heils Lösungsansatz dagegen falsch. Eine der Hauptursachen der hohen Energiepreise sei der Staat. "In Deutschland ist Energie im europäischen Vergleich überdurchschnittlich besteuert", erklärte Jandura. "Der Staat nimmt Geld ein, um es dann als Klimageld neu zu verteilen."
Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, kritisiert das Klimageld aus nicht ausreichend. Zwar sei es "gut und richtig", sagte er ntv. "Klar ist auch, dass ein solches Klimageld eher zu gering ist, um die hohe Inflation, vor allem für Menschen mit geringen Einkommen, zu kompensieren." Zudem sei das Klimageld gar nicht als Reaktion auf die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine entstanden, sondern "wäre so oder so gekommen, denn das war ja Abkommen im Koalitionsvertrag". Deswegen sollte man es "nicht als eine Reaktion auf die hohe Inflation verkaufen".
Stattdessen forderte Fratzscher "eine spezifische Entlastung von Menschen mit geringen Einkommen, gerade bei den Lebensmitteln, damit sie den Schock der hohen Inflation abfedern können". Experten gehen davon aus, dass das Klimageld im Schnitt bei bis zu 200 Euro pro Kopf und Jahr liegen könnte. "Familien mit wenig Einkommen bräuchten eigentlich eher 100 bis 150 Euro im Monat", sagte der Ökonom.
Quelle: ntv.de, jwu/joh/rts/dpa