Politik

Entschädigung für Missbrauch "Heimkinder brauchen Geduld"

"Dann kommste ins Heim!" war noch in den siebziger Jahren ein blöder Spruch unter Kindern. "Heim" galt als eine Art Gefängnis. Zu Recht: Tausende, vielleicht zehntausende Kinder wurden in der Nachkriegszeit in bundesdeutschen Heimen gequält, sexuell missbraucht und auf Feldern und in Fabriken ausgebeutet.

Seit einigen Jahren fordern ehemalige Heimkinder Entschuldigungen, Entschädigungen und die Anrechnung der in den Heimen geleisteten Arbeit auf ihre Rente. Eine entsprechende Petition an den Bundestag brachte einen Teilerfolg: Einmütig beschloss das Parlament im November 2008 die Einrichtung eines Runden Tisches.

Die genauen Ziele dieses Tisches sind allerdings unklar; ob es Entschädigungen geben wird, ist völlig offen. "Nichts ist ausgeschlossen, aber auch nichts garantiert", sagt die Leiterin des Runden Tisches, Antje Vollmer, gegenüber n-tv.de. Jahrelang habe sich der Petitionsausschuss mit dieser Frage beschäftigt. Am Ende sei er zu dem nüchternen Ergebnis gekommen, "dass es mit unseren bisherigen Möglichkeiten kein Gesetz gibt, aufgrund dessen eine Entschädigung möglich ist". Weiterhin Geduld müssten die Opfer von Ausbeutung und Misshandlung darum aufbringen. "Erst wenn wir einen Blick auf die Wahrheit geworfen haben, können wir gucken, ob es eine Möglichkeit gibt, in Einzelfällen oder kollektiv etwas zu tun."

Vollmer will den Runden Tisch, dessen Arbeit auf zwei Jahre angesetzt ist, keinesfalls als "Tribunal" verstanden wissen. Vielmehr sollen die Vertreter der verschiedenen beteiligten Gruppen wie der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe oder des Bundesverbandes für Erziehungshilfe "sich gemeinsam an der Erforschung der bitteren Wahrheit beteiligen und auch gemeinsam an einer Lösung arbeiten." Ob auch nach den Namen der Täter gesucht wird? Vollmer weiß es noch nicht: "Eine solche Suche wird nicht ganz einfach sein, weil viele dieser Heime heute gar nicht mehr bestehen."

Schockierende Berichte

Die Reden, die ehemalige Heimkinder vor dem Petitionsausschuss des Bundestags vorgetragen haben, sind erschütternd. Statt zur Schule zu gehen, mussten Kinder ganze Tage hart arbeiten, sie wurden getreten, geschlagen, bei Wasser und Brot eingesperrt. Ein ehemaliges Heimkind berichtete, ihm sei das Schultergelenk zertreten worden, weil ihm zwei Teller aus der Hand gefallen waren. Statt ins Krankenhaus brachte man ihn in die "Dunkelzelle". Die Betroffenen erzählen von sexuellem Missbrauch und von Psychopharmaka, die ihnen ins Essen gemischt wurden; minderjährigen Müttern wurden die Kinder weggenommen; Heimkinder wurden gezwungen, ihr Erbrochenes zu essen, wenn die Mahlzeit so ekelhaft war, dass sie sich übergeben mussten.

Vollmer kennt viele Schilderungen aus erster Hand. Ständig kämen bei ihr Briefe von Menschen an, die nicht nur erzählten, wie es in den Heimen zuging, sagte sie n-tv.de. "Es gab solche Erfahrungen in Schulklassen, es gab solche Erfahrungen auch in Elternhäusern, in Vereinen. Ich glaube, wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass es damals in dieser unmittelbaren Nachkriegszeit viele Bereiche gab, in denen man mit Kindern nicht umgegangen ist wie mit der Zukunft der Gesellschaft."

Quelle: ntv.de

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