Schavans Bildungsinitiative "Hilfloser Profilierungsversuch"
02.01.2007, 07:46 UhrBildungsministerin Annette Schavan (CDU) ist mit ihrem Vorstoß für eine Bund-Länder-Offensive zur Halbierung der Zahl der Schulabbrecher beim Koalitionspartner SPD auf Kritik gestoßen. SPD-Präsidiumsmitglied Christoph Matschie sprach von einem "hilflosen Profilierungsversuch". Skepsis wurde auch im Handwerk und der Linksfraktion laut. Applaus kam am Dienstag von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der Koordinator der internationalen PISA-Studie, Andreas Schleicher, verlangte einschneidende Änderungen bei der Schulpflicht. Kein Jugendlicher solle mehr ohne Abschluss die Schule verlassen dürfen.
Schavan hatte der "Rheinischen Post" gesagt: "Ich möchte 2007 gemeinsam mit den Ländern eine Offensive für den Bildungsaufstieg ins Leben rufen." Ihr Ziel sei es, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss zu halbieren. "Wir sollten uns das Ziel setzen, das in den nächsten fünf Jahren zu schaffen." Zudem müssten die Schüler stärker zu den technischen Fächern hingeführt werden. "Das ist eine zwingende Voraussetzung, um am Ende genügend junge Leute für die Bereiche ausbilden und hoch qualifizieren zu können, in denen künftig die Musik spielt", sagte Schavan. Nur so könne Deutschland auch in der Bildung im europäischen Wettbewerb eine starke Rolle spielen.
Matschie sagte der "Thüringer Allgemeinen", Schavan habe selbst dafür gesorgt, dass der Bund nicht mehr in Bildungsfragen zu entscheiden habe. Die einzige Lösung sei es, diese Entwicklung wieder umzukehren: "Wir brauchen deutlich mehr Bundeskompetenz." Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hält den Schavan-Vorstoß für nicht weitgehend genug. Generalsekretär Hanns-Eberhard Schleyer forderte die Ministerin in dem Blatt auf, sich noch umfassender im Sinne einer nationalen Bildungsinitiative einzusetzen. "Wir brauchen einen nationalen ganzheitlichen Ansatz -von der Vorschule über die allgemeinbildenden Schulen bis zur beruflichen Weiterbildung."
Schleicher sagte dem "Mannheimer Morgen": "Die Schulpflicht sollte nicht mehr zeitlich, sondern am erreichten Bildungsziel gemessen werden." Er begründete seinen Vorstoß mit den Job-Chancen: "Ohne abgeschlossene Erstausbildung haben Jugendliche in der globalisierten Arbeitswelt kaum noch Chancen." Nach Zeitungsangaben verlassen derzeit rund zehn Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne Endzeugnis.
Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Meinhardt, sagte: "Wir brauchen gerade in Hauptschulen deutlich kleinere Klassen, einen Unterricht der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und spätestens ab Klasse 7 den regelmäßigen Kontakt mit der Wirtschaft vor Ort."
Nele Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, nannte die geplante Bund-Länder-Offensive unzureichend und unbestimmt. Sie forderte die Bildungsministerin stattdessen zu einer grundlegenden Schulreform auf: "Weg vom gegliederten Schulsystem, das zahlreiche Schülerinnen und Schüler ohne Perspektiven in Haupt- und Sonderschulen aussortiert, hin zu einer integrativen Schule, in der alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam lernen und individuell gefördert werden."
Die GEW-Vizevorsitzende Marianne Demmer begrüßte den Vorschlag der Ministerin. Sie sei gespannt, wie die Länder darauf reagierten. "Bekanntlich werden die Bundesländer ja nicht müde, auf ihre Zuständigkeit in schulischen Fragen zu pochen."
Quelle: ntv.de