Heil kündigt Kontrollen an Homeoffice-Regel tritt kommenden Mittwoch in Kraft
20.01.2021, 10:23 Uhr
Bund und Länder wollen, dass in der Pandemie mehr Menschen im Homeoffice arbeiten. Grundlage soll eine Verordnung sein, die vor allem Arbeitgeber in der Pflicht sieht. Sanktionen sollen aber die Ausnahme bleiben.
Der Rückzug vom Arbeitsplatz ins Homeoffice soll ein zentraler Baustein im Kampf gegen die Corona-Pandemie werden. "Wenn keine zwingenden betrieblichen Gründe dagegen sprechen, müssen Arbeitgeber ihren Beschäftigten Homeoffice anbieten", sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zu einer entsprechenden Verordnung, die das Kabinett kurz zuvor beschlossen hat. Viele Unternehmen machten das bereits vorbildlich, aber es sei "durchaus viel Luft nach oben". Ziel sei es, Kontakte zu reduzieren und mögliche Infektionen zu vermeiden, sagte der SPD-Politiker.
Die Verordnung tritt nach Angaben Heils voraussichtlich am Mittwoch nächster Woche in Kraft. Sie ist befristet bis zum 15. März. Da es eine Verordnung, aber kein Gesetz ist, ist eine Zustimmung von Bundestag und Bundesrat nicht erforderlich.
"Mir geht es jetzt nicht darum, Unternehmen zu quälen oder ständig zu kontrollieren", sagte Heil. Jeder müsse sich in diesem Land an Recht und Gesetz halten und viele Unternehmen zeigten, was möglich sei. "Jetzt müssen es alle." In der entsprechenden Verordnung heißt es, Arbeitgeber hätten Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstünden.
Zudem werden strengere betriebliche Arbeitsschutzregeln für Abstände und Mund-Nasen-Schutz vorgeschrieben. Wenn Räume von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden, müssen pro Person zehn Quadratmeter zur Verfügung stehen. In Betrieben ab zehn Beschäftigten müssen diese in möglichst kleine, feste Arbeitsgruppen eingeteilt werden. Wenn Abstände und Belegungsvorschriften nicht eingehalten werden können, müssen Arbeitgeber medizinische Gesichtsmasken zur Verfügung stellen.
Bußgelder nur im "allergrößten Notfall"
Auf die Frage, wie die Maßnahme kontrolliert werden solle, riet Heil dazu, dass Arbeitnehmer zunächst mit ihrem Arbeitgeber sprechen oder sich im Zweifelsfall an den Betriebsrat und im "äußeren Konfliktfall" an die Arbeitsschutzbehörden der Länder wenden sollten. Nur im Zweifelsfall würden die Behörden kontrollieren und im "allergrößten Notfall" seien auch Bußgelder möglich. Das stehe aber nicht im Vordergrund, sagte der Minister. Er sprach von tiefen Eingriffen in das wirtschaftliche Leben des Landes. "Diese Maßnahmen sind aber notwendig und deutlich weniger restriktiv als in anderen Bereichen der Gesellschaft."
"Wir wollen kein bürokratisches Gebilde, sondern wir wollen erreichen, dass es flexibel im Interesse der Betriebe und Arbeitnehmer funktioniert", sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier der ARD. Es müssten so wenig Menschen wie möglich im öffentlichen Nahverkehr oder auf den Straßen sein. "Wir müssen soziale Kontakte reduzieren", sagte der CDU-Politiker. "Wir wollen so wenig staatliche Regulierungen wie möglich."
Der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping geht der Beschluss zum Homeoffice nicht weit genug. Er sei am Ende "leider nur sehr halbherzig" gefasst worden, sagte die Politikerin der ARD. Dass die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder in diesem Punkt weitere Schritte gehen, sei längst überfällig, so Kipping. Die Politik könne "nicht die komplette Last des Infektionsschutzes nur auf den Privathaushalten ablegen". Das Coronavirus interessiere sich nicht dafür, "ob der Kontakt auf der Arbeitswelt oder im Privaten stattfindet".
Ein Zwang zum Arbeiten in den eigenen vier Wänden ist allerdings umstritten. Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart von der FDP sagte im Radiosender WDR 5, das Ziel, den Homeoffice-Anteil an der Belegschaft zu erhöhen, sei zwar richtig, der Weg über eine Verordnung sei aber falsch. Die von Heil vorgelegte Regelung sei ein "Bürokratiemonster". Pinkwart wies darauf hin, dass Unternehmen seit dem Ausbruch der Pandemie mit Hygienekonzepten und mit geteilten Teams, die wechselnd zu Hause und im Unternehmen im Einsatz waren, "hervorragend gearbeitet" hätten.
Simulation errechnet Nutzen der Regelung
Ähnlich hatten Unternehmerverbände in der seit Wochen laufenden Homeoffice-Debatte argumentiert - und sich stets gegen eine Pflicht zur Arbeit zu Hause gesperrt. Für Ärztefunktionär Frank Ulrich Montgomery ist eine solche Pflicht aber nun dringend geboten. "Es ist gut, dass die Arbeitgeber jetzt per Verordnung zu mehr Homeoffice-Angeboten gebracht werden sollen", sagte der Vorsitzende des Weltärztebundes der "Rheinischen Post". "In dieser zweiten Welle wurden noch viel zu viele Büros offengelassen. Es gab sogar Unabkömmlichkeitserklärungen, die an Arbeitnehmer verschickt wurden, obwohl dies nicht unbedingt nötig gewesen wäre." Aus seiner Sicht haben Arbeitgeber "einen Anteil daran, dass die Infektionszahlen noch einmal so stark steigen konnten".
Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander, bezeichnete die beschlossenen Vorgaben für mehr Homeoffice als "inakzeptabel". Noch im November habe Heil verkündet, von diesem Vorhaben abzusehen. "Dieses nun unter dem Etikett der Pandemiebekämpfung einzubringen, erweckt den Eindruck, als nutze der Minister die Pandemie für parteipolitische Zwecke", teilte Zander mit.
Eine stärkere Verlagerung der Büroarbeit nach Hause könnte die Zahl der Infektionen nach Berechnungen von Wirtschaftswissenschaftlern deutlich verringern. Forscher um den Bonner Ökonomieprofessor Hans-Martin von Gaudecker haben in einem Rechenmodell eine Erhöhung der Homeoffice-Quote (die derzeit auf 25 Prozent geschätzt werde) auf 35 Prozent simuliert. Die Zahl der Neuinfektionen könne dadurch Ende Februar um gut ein Viertel geringer sein.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/rts