Streit um Gorleben Im Wendland wächst die Wut
15.09.2010, 12:48 Uhr
Behälter mit hochradioaktiven Abfällen stehen im atomaren Zwischenlager in Gorleben in der Transportbehälter-Halle.
(Foto: dpa)
Seeadler und Biber in den Elbtalauen, gemütliche kleine Ortschaften inmitten all der Wälder und Felder. Und überall ragen gelbe Andreaskreuze empor, Symbol des Widerstandes gegen Gorleben. Die Zeichen im Wendland stehen auf Sturm.
Das Wendland könnte für seine Naturschönheiten berühmt sein. Geschätzt als Ferienziel, beliebt wegen der Sommerlichen Musiktage oder der Deutschen Fachwerkstraße. Doch die dünn besiedelte Region im Nordosten Niedersachsens macht meist nur mit einem Thema bundesweit Schlagzeilen: Gorleben.

Der Protest gegen das geplante Endlager in Gorleben reißt nicht ab, die Stimmung ist vielmehr "auf dem Siedepunkt".
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Die schwarz-gelbe Bundesregierung will den Salzstock von Gorleben wieder als mögliches Endlager für hoch radioaktiven Atommüll untersuchen lassen. Das Projekt spaltet den 50.000 Einwohner großen Landkreis Lüchow-Dannenberg in Befürworter und Gegner. Der Riss geht durch Orte, Parteien, Vereine und Familien.
Mögliche Enteignungen für die Erkundung des Salzstocks heizen den Protest jetzt weiter an. "Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt", sagt Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. "Wir wissen, dass Schwarz-Gelb das Endlager in Gorleben will. Die Enteignungspläne sind das i-Tüpfelchen!" Jürgen Beecken, evangelischer Pastor von Gorleben, sieht das genauso. Die Kirche hat Widerstand gegen mögliche Enteignungen angekündigt.
Protest selbst mit Rollator und Krücken
"Es ist tatsächlich Hochspannung hier!", schildert Marianne Fritzen. Für sie sind die Endlager-Pläne wie eine Zeitreise. Die heute 87-Jährige wurde 1977 mit 53 Jahren und fünf Kindern zur Mutter der Protestbewegung im Wendland. "Wir fangen genau da an, wo wir vor mehr als dreißig Jahren standen", resümiert die alte Dame. "Auch die Initiative 60 der Älteren wird auf der Straße sein - selbst mit Rollator, Krücken oder Rollstuhl!"

Atomkraftgegner Andreas Graf von Bernstorff ist Inhaber von Salzrechten am Salzstock Gorleben und weigert sich, die Rechte zu verkaufen.
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Der junge Fried von Bernstorff, Sohn des beharrlichen Atomkraftgegners Andreas Graf von Bernstorff, spricht von einem angespannten Klima. "Da gibt es Familien, die kein Wort miteinander sprechen." Den Bernstorffs gehören rund 35 Prozent des Salzstockes Gorleben und 6000 Hektar Wald. Die Adeligen hatten sich geweigert, ihre Salzrechte für die Untersuchung unter Tage zu verkaufen. Im Streit war der Graf aus der CDU ausgetreten und kam damit einem Parteiausschlussverfahren zuvor.
Der parteilose Landrat des Kreises, Jürgen Schulz, sprach im Frühjahr von einer tiefen Spaltung der Region bis an jeden Geburtstagstisch. Er vermisst derzeit die versprochene Transparenz der politischen Entscheidungen und kritisiert vor allem Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU): "Wir haben Probleme, ihn wirklich einzuschätzen", beklagt der Landrat.
Streit trennt und vereint
Der Streit um das Endlager, er trennt aber nicht nur. In den jeweiligen Lagern verbindet die Auseinandersetzung mehrere Generationen und unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen - vor allem bei den Gegnern des Projektes, aber auch bei Befürwortern. So unterstützt im Gemeinderat von Gartow - die CDU hat hier die Mehrheit - auch die SPD das Endlager-Projekt. Die Parteigenossen in Land und Bund sind strikt dagegen.
Das malerische Örtchen erhält seit dem Bau der Anlagen wie dem oberirdischen Zwischenlager für Behälter mit Atommüll rund 840.000 Euro im Jahr, viel Geld für einen kleinen Ort im abgelegenen Wendland. Vor der Wiedervereinigung war Lüchow-Dannenberg an der Grenze zur DDR schlicht "Zonenrandgebiet". Wegen der hohen Arbeitslosigkeit in der landwirtschaftlich geprägten Region hatten in den 70er und 80er Jahren viele Lokalpolitiker für den Bau der Atomanlagen gestimmt. Sie schienen neue Jobs und sprudelnde Steuerquellen - kurz: den Aufschwung - zu versprechen.
"Es wird ein heißer Herbst"
Dreißig Jahre später haben sich die Fronten kaum verändert. "Es wird ein heißer Herbst. Mit Atomkraft und Gorleben kommen sie nicht durch", sagt Wolfgang Ehmke.
Quelle: ntv.de, Peer Körner, dpa