Das 1-Milliarde-Euro-Versprechen Intensivpfleger-Bonus könnte enttäuschend ausfallen
03.12.2021, 17:00 Uhr
Arbeiten am Limit: Viele Intensivpfleger gehen in der Pandemie über sich hinaus, und das seit Monaten.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Von 3000 bis 5000 Euro pro Intensivpfleger ist die Rede. Tatsächlich könnte der Corona-Bonus der Ampelkoalition viel niedriger ausfallen, wie aus einem ntv.de vorliegenden Gesetzentwurf hervorgeht. Dass im selben Gesetz die Impfpflicht für Pflegende geregelt wird, wirft weitere Fragen auf.
Während die Ampelkoalition bei der Bekämpfung der vierten Pandemie-Welle anfangs einen Schlingerkurs gefahren ist, startet sie zumindest bei der Anerkennung der Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen mit einem Tusch. Eine Milliarde Euro wollen SPD, FDP und Grüne als Anerkennung an die besonders Pandemie-belasteten Intensivpfleger auszahlen. Auch die Union hatte für einen zweiten Pflegebonus geworben.
Schon kursieren Zahlen, was am Ende bei den Einzelnen ankommen soll. Bis zu 5000 Euro und zwar steuerfrei forderte diese Woche Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied des SPD-Teams in den Ampel-Verhandlungen. Auch der scheidende Gesundheitsminister Jens Spahn nannte diese Zielsumme als wünschenswert. Allein: Der CDU-Politiker muss es nicht mehr umsetzen. Wie hoch der Bonus im Einzelfall tatsächlich ausfällt, ist trotz des so beeindruckend klingenden Milliardenversprechens mehr als unklar.
Eine ntv.de vorliegende Formulierungshilfe für einen Gesetzentwurf, den das CDU-geführte Bundesgesundheitsministerium im Auftrag der Ampelparteien im Bundestag vorbereitet hat, zeigt die ganze Komplexität der Materie - und dass der Bund nur begrenzt Einfluss darauf hat, wie viel Geld die Pflegekräfte wirklich erhalten. Ausgezahlt werden soll das Geld nach einem schon erprobten Schlüssel. Im Gesetzentwurf werden dieselben Krankenhäuser als Adressaten genannt wie schon beim im Frühjahr gezahlten Pflegebonus: Kliniken mit weniger als 500 Betten und mindestens 20 behandelten Corona-Fällen sowie Kliniken ab 500 Betten und mindestens 50 Corona-Fällen.
Die Pro-Kopf-Höhe wird in der Klinik verhandelt
Die genaue Zuteilung regelt das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK). Dieses kam im Frühjahr auf rund 1000 berechtigte Kliniken, die 450 Millionen Euro je nach Fallzahl, Personalzahl und Stundenzahl an Beatmungsgeräten zugeteilt bekamen. Innerhalb der Kliniken nahmen dann Geschäftsführung und Personalvertretung die Zuteilung vor. Die Kliniken stehen vor der schwierigen Entscheidung, welche Pflegekräfte durch die Corona-Lage Mehrarbeit hatten.
Tatsächlich bekommen ja nicht nur die Mitarbeiter auf den Corona-Stationen die Pandemie zu spüren. Mehrarbeit haben auch die Pfleger anderer Stationen, weil etwa Patienten kürzer als üblich auf der Intensivstation verweilen. Auch die geriatrischen Abteilungen waren schwer betroffen, als vor allem die Betagten an dem Virus erkrankten. Hinzukommt, dass der Formulierungshilfe zufolge erneut Kliniken rausfallen, die zwar keine Corona-Patienten haben, aber Corona-Kliniken andere Patienten abnehmen.
Das kritisiert auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft: Viele Beschäftigte blieben außen vor, weil "nur die Krankenhäuser berücksichtigt werden, die direkt in die Covid-Versorgung eingebunden waren", erklärt ein Sprecher. Dabei gebe es Teamarbeit zwischen Beschäftigten einzelner Einrichtungen, aber auch zwischen Kliniken. In der Pandemie hätten sich viele Netzwerke gebildet, in denen sich die Krankenhäuser untereinander die Arbeit aufgeteilt hätten. "Die, die die Regelversorgung verstärkt übernommen haben, damit andere Kliniken konzentriert Covid-Patienten versorgen konnten, gehen nun leer aus."
Die Steuerfreiheit ist schon angeknabbert
Richtig knifflig wird die Bonus-Auszahlung durch die Frage der Steuerfreiheit. Diese lag im Frühling bei 1500 Euro. Die Ampelkoalition will die Steuerfreiheit für Pflege-Boni laut Koalitionsvertrag auf 3000 Euro anheben. Alle Einkünfte darüber hinaus müssten als Einkommen versteuert und Sozialversicherungsanteile bezahlt werden, auch die Arbeitgeberanteile. Kliniken müssen dann entscheiden, ob sie den Arbeitgeberanteil aus eigener Tasche finanzieren, also de facto den Bonus bezuschussen. Oder aber sie entnehmen den Arbeitgeberanteil den ihnen zugeteilten Geldern. Damit schrumpft aber die Summe, die jeder einzelnen Pflegekraft ausgezahlt wird.
Selbst wenn die Zielsumme der Ampel eher bei 3000 Euro als bei 5000 Euro liegt, wie es aus Koalitionskreisen heißt, wären die 3000 Euro Steuerfreiheit durch die bereits ausgeschütteten Bonuszahlungen von Bund, Ländern und Kliniken schon zu einem Teil ausgeschöpft. Als der Bund im Frühjahr 450 Millionen Euro auszahlte, kam bei den Pflegenden eine dreistellige Summe bis 1500 Euro an. Wenn der Höchstbetrag den Vollzeitangestellten vorbehalten ist, kommt der erst recht nur einer Minderheit zu. Die Mehrheit der Pflegenden arbeitet nicht Vollzeit in dem körperlich und mental anstrengenden Beruf. Und: Je mehr Pflegende laut Klinik-internem Verteilschlüssel am Bonus teilhaben sollen, desto geringer fällt die Ausschüttung pro Kopf aus.
Hinzu kommt, dass die Finanzierung unklar ist: Die Milliarde Euro soll zunächst aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds über die Krankenkassen an die betreffenden Kliniken fließen. Das beim Gesundheitsfonds entstehende Defizit muss der Bund durch zusätzliche Zuschüsse an den Fonds ausgleichen. Aber: "Niemand weiß, woher das Geld kommen soll", sagt Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion.
Schwierige Gerechtigkeitsfragen
Die Milliarde über einen Kredit zu bezahlen "und das mit der Corona-Herausforderung zu begründen, mag juristisch erlaubt sein, ist aber nicht sehr schlau", sagt die Finanzpolitikerin. Sie gönne allen Pflegekräften den Bonus. Aber jetzt drohten abermals Konflikte bei der Verteilung. Sollte der Bonus steuerfrei sein, gebe es nicht nur ein Gerechtigkeits-, sondern auch ein Verfassungsproblem. "Die Kindergärtnerin und der Lehrer arbeiten auch schwer und gehen ein hohes Erkrankungsrisiko ein, was verfassungsrechtlich Voraussetzung für den Steuervorteil ist. Dass der Staat einer Berufsgruppe Geld schenkt, der anderen, die ebenfalls unter Corona gelitten hat, aber nicht, ist unfair."
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe begrüßt die Prämie als "sehr schönes Zeichen der Wertschätzung", möchte aber keine Vorschläge zur Verteilung machen, "da diese aus unserer Sicht kaum gerecht erfolgen kann". Geschäftsführerin Bernadette Klapper erklärt, auch mit Blick auf die schwierige Aufteilung des Bonus innerhalb der Kliniken: "Wir haben bei den letzten Bonuszahlungen gesehen, dass schnell Fragen der Gerechtigkeit gestellt werden, mit dem Potenzial, die Berufsgruppe zu spalten." Die Zuschüsse seien ohnehin kein Ersatz dafür, "die außerordentlichen Leistungen der Mitarbeitenden in allen pflegerischen Settings mit dringenden, langfristigen Verbesserungen zu honorieren".
Zwei Vorhaben, ein Gesetz
Womöglich geht es der Ampel aber nicht allein um Anerkennung der Pflegerinnen und Pfleger, sondern auch darum, Frust über die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern und über die geplante Impfpflicht für Klinikmitarbeiter abzufedern. Schließlich werden in der Formulierungshilfe beide Vorhaben, der Bonus und die Impfpflicht, in einem Gesetz geregelt. "Erst die Impfung, dann der Bonus: Das ist ein bisschen wie Zuckerbrot und Peitsche", kommentiert das eine Pflegekraft, die noch ungeimpft ist und hier nicht namentlich genannt werden will.
Dass so ein Bonus ein Stück weit Kompensation für generell schlechte Arbeitsbedingungen ist, war Anfang des Jahres auch die Position der in der Ampel mitregierenden Grünen. Kordula Schulz-Asche, Sprecherin der Grünen für Alten- und Pflegepolitik, erklärte im Februar, die Bonuszahlungen seien "mittlerweile als Schweigegeld verpönt", da sie an den schlechten Arbeitsbedingungen in Kliniken nichts änderten.
Der GKV-Spitzenverband aller gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen hält sich in der Bewertung des neuerlichen Pflegebonus zurück, da ihm noch keine Details bekannt seien. Er gehe aber "davon aus, dass der Pflegebonus als Teil der staatlichen Aktivitäten im Rahmen der Pandemiebekämpfung aus Steuermitteln finanziert wird". Ob es da bei einer Milliarde bleiben kann, um den vollmundigen Ankündigungen gerecht zu werden, bleibt vorerst offen.
Quelle: ntv.de