
Schon am Sonntagabend stehen zahlreiche Bauern mit Traktoren vorm Brandenburger Tor.
(Foto: dpa)
An diesem Montag demonstrieren die Bauern wieder in Berlin. Längst geht es ihnen nicht mehr nur um Agrardiesel. Auf einer großen Kundgebung stellt sich Finanzminister Lindner den Demonstranten. Die Protestler zu überzeugen, dürfte schwierig werden.
Traktoren vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule, Schlepper, die über den Potsdamer Platz donnern und jede Menge Wut: Heute demonstrieren die Bauern wieder in Berlin. Eigentlich sollte der Auflauf in der Hauptstadt der Höhepunkt der Aktionswoche sein, die vor einer Woche begann. Doch mittlerweile darf man sich fragen, ob es jetzt vielleicht erst richtig losgeht. Das Entgegenkommen der Bundesregierung in Sachen Agrardiesel und KFZ-Steuerbefreiung ist jedenfalls ergebnislos verpufft. Statt sofort fällt die Dieselbeihilfe über drei Jahre gestreckt weg und das grüne Kennzeichen bleibt erhalten. Aber, so sagen es Bauernvertreter landauf, landab, darum gehe es gar nicht mehr. Der Agrardiesel sei nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.
Jeder Landwirt kann eine ganze Liste mit Dingen herunterrattern, die ihn in den vergangenen Jahren geärgert haben. Da sind die ständig wachsenden, teils unpraktikablen Vorschriften, sei es beim Pflanzen- oder Tierschutz. Da sind die ungleichen Bedingungen in Europa, etwa bei CO2-Preis oder Mindestlohn. Viele beklagen auch fehlende Anerkennung. Über allem schwebt die Sorge, was einmal aus dem eigenen Hof wird. Dass ein, zwei gute Jahre hinter den Bauern liegen, ändert an dieser Gefühlslage wenig. Dennoch geben jedes Jahr Landwirte auf, weil sie mit dem ständigen Preisdruck, zum Beispiel seitens Aldi und Co., nicht mehr mithalten können.
Das politische Berlin blickt wie gebannt auf die Demo, denn solche Proteste hat die Republik schon lange nicht mehr erlebt. Die stets gut organisierten Bauern sind zwar schon öfter mit ihren Traktoren in Berlin vorgefahren, doch diesmal ist es anders. Sie bekommen Beistand etwa vom Transportgewerbe sowie von vielen Handwerkern, die sich zuletzt etwa an Straßenblockaden beteiligt haben. Dabei wenden sie sich gegen eine Regierung, die im vergangenen Jahr einen großen Teil des Wählervertrauens verloren hat. Eine eigene Mehrheit in Umfragen hat die Ampelkoalition schon lange nicht mehr. Stattdessen steht die AfD bei über 20 Prozent.
Ärger selbst eingehandelt
Anders als bei früheren Krisen, von Corona bis zu den Folgen des Kriegs in der Ukraine, hat sich die Regierung diesen Ärger selbst eingehandelt. Die Haushaltskrise mit ihrem akuten Sparzwang ist eine direkte Konsequenz des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. November. Im Hauruck-Verfahren stellten die Ampelspitzen einen Nachtragshaushalt für 2023 auf die Beine, was noch die leichtere Übung war. Innerhalb weniger Wochen 17 Milliarden Euro im Kernhaushalt für 2024 einzusparen, war dann aber offenbar eine Nummer zu groß. Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck suchten vier Wochen lang nach dem Geld und fanden es schließlich auch bei den Bauern. Dass das den Landwirten wie eine Nacht-und-Nebel-Aktion vorkommt, verwundert kaum. Auch wenn es in jener Nacht nicht neblig war.
Deren Empörung fiel mit dem Umstand zusammen, dass sie gerade mehr Zeit haben als sonst. Im Winter müssen keine Felder bestellt werden und so können sie überall in Deutschland protestieren. Dabei schwankt die Stimmung zwischen hitzig-wütend und sachlich-konstruktiv. Es gibt ernste, aber gesittete Gespräche zwischen Politikern und Landwirten, aber es gab eben auch den Vorfall in Schlüttsiel - jenem Ort in Schleswig-Holstein, wo ein aufgebrachter Mob die Fähre von Minister Habeck abfing, angestachelt auch aus der rechten Szene.
Das ist eine der Gratwanderungen für die Bauernproteste. Verbandspräsident Joachim Rukwied grenzt sich zwar deutlich von Rechtsextremen und Umsturzfantasien ab, doch heizt er zugleich die Stimmung weiter an. Gerade wurde er in der "Bild"-Zeitung mit dem Spruch zitiert, die Regierung werde von Menschen beraten, die "noch nie gearbeitet, noch nie geschwitzt" hätten. Das ist die reine Polemik - und könnte ein Hinweis sein, dass auch den Funktionären die Wut entgleitet. Die AfD heuchelt sich derweil an die Landwirte heran, weil sie sich gegen die Regierung stellen - verschweigt dabei aber, dass in ihrem Grundsatzprogramm der Abbau von Subventionen steht.
Dass Leute wie Rukwied noch in der Lage wären, die protestierenden Bauern nach Hause zu kommandieren, darf jedenfalls bezweifelt werden. In der Presse wird diskutiert, ob hier etwas entgleitet. Ist da ein Geist aus der Flasche entwichen? Ist das ein Hauch oder auch mehr als ein Hauch des Chaos' der Weimarer Republik? Oder wächst hier eine deutsche Gelbwestenbewegung heran, so wie 2019 in Frankreich? Auch dort fing der monatelange Protest mit einer Spritpreiserhöhung an.
Lindner redet zu den Bauern
Spannend wird auch deswegen die heutige Kundgebung am Brandenburger Tor. Dann stellt sich Finanzminister Lindner den Bauern. Das wird nicht freundschaftlich werden, denn Lindner verteidigt die Pläne der Regierung und verweist regelmäßig darauf, wie viele Subventionen die Bauern bereits bekommen. Das Kabinett hat das Haushaltsgesetz ohnehin schon verabschiedet. Änderungen wären zwar noch im Bundestag möglich - doch hat auch Kanzler Scholz gesagt, dass an der Agrardiesel-Entscheidung nicht gerüttelt werden soll. Ein erneutes Nachgeben soll es nicht geben. Ein Gesprächsangebot der Ampelfraktionen dürfte für die Bauernvertreter unter diesen Voraussetzungen nicht allzu attraktiv erscheinen.
Das machen alle Ampelpolitiker deutlich und auch die FDP-Fraktion will den Kompromiss nicht noch einmal aufschnüren. Doch aus den Ländern kommt weiter Widerstand, auch aus SPD-geführten. Die Ministerpräsidenten Stephan Weil (Niedersachsen) und Dietmar Woidke (Brandenburg) sowie ihre Amtskollegin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern stehen an der Seite der Bauern. Unionsgeführte Länder tun dies ohnehin. Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg zeigte ebenfalls viel Verständnis für die Bauern.
Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat deutlich gemacht, dass er nicht viel von den Agrardiesel-Plänen hält. In der Ampel krachte es darüber wieder einmal, weil der Grünen-Politiker kurz nach der entsprechenden Kabinettssitzung sich im Bundestag schon von den Plänen distanzierte. Andererseits war und ist es Özdemir, der die Wut der Bauern stellvertretend für die Ampel unmittelbar abbekommt. Er stellt sich Diskussionen, lässt sich auspfeifen und weicht kaum einer Debatte aus. Er war der einzige Ampelminister, der bei der großen Demo vor Weihnachten in Berlin zu den Landwirten sprach. Die Bauern hatten da auch schon Lindner angefragt, dieser habe aber aus Termingründen abgesagt, beschwerte sich Rukwied. Nun stellt sich der FDP-Chef der Wut auch persönlich.
Warum der Bundeskanzler das noch in dieser Form nicht getan hat, erklärte er bislang nicht. Vielleicht rechnet ja auch er damit, dass die Proteste noch weitergehen und er dann beim nächsten Mal spricht. Dass die Bauern nach diesem Montag beruhigt und überzeugt auf ihre Höfe zurückkehren, ist jedenfalls nicht zu erwarten.
Quelle: ntv.de