Politik

Angriff nahe Kundus Jung unter Druck

(Foto: AP)

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat den von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff auf zwei Tanklastwagen nahe der afghanischen Stadt Kundus verteidigt. Es habe ein Lagebild gegeben, das eine "sehr konkrete Bedrohung" für die Bundeswehrsoldaten bedeutet habe, sagte Jung.

"Wenn die Taliban in den Besitz von zwei Tanklastwagen kommen, dann ist das eine konkrete Gefahrenlage auch für unser Lager und unsere Soldaten", sagte er. Jung fügte an, bei einer solchen Lagesituation könne er sagen, "dass ich hier an der Seite unserer Soldaten stehe und sie nicht im Stich lasse".

Jung auf Defensivkurs - der Verteidigungsminister muss sich verteidigen.

Jung auf Defensivkurs - der Verteidigungsminister muss sich verteidigen.

(Foto: dpa)

Jung räumte erstmals die Möglichkeit ziviler Opfer ein. "Wenn es zivile Opfer oder auch zivile Verletzte gegeben hat, dann gilt denen unser Mitgefühl, und wir werden uns auch diesbezüglich mit den Betroffenen dann in Verbindung setzen", sagte der Minister in Bonn.

Opposition fordert Rücktritt

Politiker von SPD und Grünen legten Jung den Rücktritt nahe. Jung gebe ein desolates Bild ab, die Soldaten hätten solch einen Minister nicht verdient, sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. Der Links-Politiker Paul Schäfer nannte den Minister ebenfalls nicht mehr tragbar. FDP-Chef Guido Westerwelle bezeichnete die Informationspolitik der Regierung als inakzeptabel.

SPD, Linke, Grüne und FDP hatten bereits am Wochenende Jungs Informationspolitik kritisiert. Dem schloss sich der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, an. Es komme jetzt darauf an, alle nötigen Informationen so schnell und so klar wie möglich an die Öffentlichkeit zu bringen, sagte Kirsch im Hessischen Rundfunk.

Karsai kritisiert Einsatz scharf

Der afghanische Präsident Hamid Karsai kritisierte, die Bundeswehr habe bei dem Luftangriff auf zwei Tanklaster wegen einer "Fehleinschätzung" Dutzende Menschen getötet. Karsai sagte dem "Figaro", er frage sich, weshalb nicht Bodentruppen eingesetzt wurden. "Mehr als neunzig Tote für einen einfachen Tanklaster, der obendrein in einem Flussbett feststeckte!", sagte Karsai der Pariser Zeitung. Während der Oberbefehlshaber der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, detaillierte Angaben zu dem Angriff vermied und eine umfassende Untersuchung ankündigte, sagte Karsai, McChrystal habe sich bereits entschuldigt.

Angehörige trauern um die Toten.

Angehörige trauern um die Toten.

(Foto: dpa)

Zwei US-Kampfjets hatten am vergangenen Freitag auf Anforderung der Bundeswehr rund sieben Kilometer westlich von Kundus die Tanklastwagen bombardiert. Nach Darstellung des Verteidigungsministeriums, das sich auf offizielle afghanische Berichte berief, kamen dabei 56 Menschen ums Leben. Ministeriumssprecher Thomas Raabe sagte am Montag in Berlin, nach wie vor lägen keine belastbaren Angaben über den Tod von Zivilisten vor. Bei den Opfern handele es sich um Taliban oder andere regierungsfeindliche Gruppen.

Gouverneur: 135 Tote

Nach Angaben des Distrikt-Gouverneurs von Char Darah, Abdul Wahid Omarkhel, wurden bei dem Angriff mindestens 135 Menschen getötet, darunter auch Kinder. Omarkhel sagte, es sei unklar, wie viele der Toten Zivilisten sind.

Afghanische offizielle Quellen hätten auch am Sonntag bestätigt, dass ausschließlich 56 regierungsfeindliche Kräfte bei dem Angriff getötet worden seien. Zwölf Menschen seien verletzt worden. Einer davon werde im Krankenhaus bewacht. Die Nato zählte 125 Opfer.

Merkel gibt Regierungserklärung ab

Jung wies Kritik an seiner Informationspolitik zurück. Er habe stets gesagt, er gebe nur seinen gegenwärtigen Kenntnisstand wider. "Ich informiere über Fakten und nicht über Spekulationen." Jung kündigte an, an diesem Dienstag die Obleute der Fraktionen "noch einmal genau" über den zurzeit vorhandenen Sachverhalt zu informieren. Auch er habe großes Interesse an Aufklärung.

Die Zahl der Toten und Verletzten ist weiter unklar.

Die Zahl der Toten und Verletzten ist weiter unklar.

(Foto: dpa)

Ebenfalls am Dienstag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer Regierungserklärung Stellung zur Afghanistan-Politik beziehen. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass die vor allem von der Opposition geforderte Regierungserklärung zum Auftakt einer Sondersitzung des Bundestags abgegeben werden wird. Erwartetet wird, dass auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowie die Partei- und Fraktionschefs von FDP, Grünen und Linksfraktion reden werden.

Bundeswehr "empört" über USA

Der Luftangriff am Freitag löste nach Informationen der "Neuen Osnabrücker Zeitung" schwere Verstimmungen innerhalb der NATO-geführten ISAF-Truppe aus. Ranghohe deutsche Offiziere seien empört über "offenbar von den USA gezielt gestreute Fehlinformationen", berichtete die Zeitung. Die "Washington Post" hatte berichtet, der verantwortliche deutsche Offizier, Oberst Georg Klein, habe nicht genügend Quellen gehabt, um den Angriff anzuordnen.

Wilfried Stolze, Sprecher des Bundeswehrverbandes, bezeichnet im Gespräch mit n-tv die Kritik von Seiten der USA nicht nur als "unfair gegen die Bundeswehr" sondern auch als "unverschämt". Stolze erwartet, dass die Bundesregierung die Vorwürfe "in aller Schärfe zurückweisen wird". "Vieles sieht jetzt nach einer Retourkutsche aus, denn in früheren Zeiten sind natürlich die US-Militärs kritisiert worden für ihre Bombenabwürfe in Südafghanistan." Stolze hofft, dass bald wieder Sachlichkeit in die Diskussion einkehrt und dass man gemeinsam – wie verbündete Partner – zur Aufgabe in Afghanistan zurückkehrt.

"Keine Spannungen" - aber Seitenhieb

Das Verteidigungsministerium bestritt Spannungen mit Bündnispartnern. Es gebe "keine Risse" zwischen der Bundeswehrführung und McChrystal, oder europäischen Verbündeten, sagte Jungs Sprecher Raabe.

Mit einem Seitenhieb auf die USA verwies Raabe allerdings darauf, dass die US-Piloten noch deutlich massiver vorgehen wollten als die Bundeswehr. Der deutsche Kommandeur habe den Abwurf von zwei knapp 230 Kilogramm schweren Bomben angeordnet, während die US-Besatzungen sogar gut 900 Kilogramm schwere Bomben hätten verwenden wollen.

Zugleich wies Raabe Vorwürfe zurück, das Bombardement sei auf die Informationen einer einzigen Quelle und Luftbilder hin erfolgt. Es habe "einen weiteren Aufklärungsstrang gegeben, über den wir nicht öffentlich reden", sagte er. Mit dieser Formulierung umschreibt das Ministerium gewöhnlich den Einsatz des geheimen Kommandos Spezialkräfte (KSK). Die Quelle habe es ermöglicht festzustellen, ob bestimmte Personen vor Ort seien und weit mehr Erkenntnisse bringen können als Luftbilder.

Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP/rts

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