Rententalk bei "Hart aber fair" Juso-Chef Türmer: Nicht mit Geld von Bürgern zocken
22.10.2024, 06:18 Uhr Artikel anhören
Die Anlage eines Teils der Rentenbeiträge am Aktienmarkt findet Juso-Chef Türmer Zockerei.
Die Renten sind schon lange nicht mehr sicher. Darum hat die Bundesregierung ein Rentenpaket beschlossen. Darüber diskutiert Moderator Louis Klamroth mit seinen Gästen am Montagabend in der ARD-Sendung "Hart aber fair".
Armut im Alter – ein Problem, das immer größer wird. Die Bundesregierung hat ein Rentenpaket aufgelegt. Klar ist: Wird das aktuelle Rentensystem nicht reformiert, wird es implodieren. Doch ob das Paket der Bundesregierung wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, ist selbst innerhalb der Ampel-Koalition umstritten. Das zeigt die Diskussion, die sich unter anderem Vertreter von Jusos und Jungen Liberalen am Montagabend in der ARD-Talkshow "Hart aber fair" liefern. Beide haben offenbar schon in den Wahlkampfmodus geschaltet, und dass da so etwas wie eine Koalition ist, merkt man nicht, wenn man ihnen zuhört.
Was sieht das Rentenpaket II der Ampel-Koalition vor, das gerade vom Bundestag geprüft wird? Das Rentenniveau von 48 Prozent wird länger festgeschrieben. Eigentlich würde es nächstes Jahr auslaufen. Es soll jetzt bis zur Rentenanpassung im Juli 2039 gelten. Damit bliebe das Rentenniveau bis Juni 2040 in der jetzigen Höhe. Eigentlich wäre es auf 44,9 Prozent gesunken. Das Rentenniveau besagt, bei wie viel Prozent des Standardgehalts die Durchschnittsrente liegt.
Um das zu finanzieren, soll zunächst der Rentenbeitragssatz von 18,6 Prozent erhöht werden und ab 2035 bei 22,5 Prozent liegen. Rentner sollen ab 2028 finanzielle Anreize bekommen, damit sie länger arbeiten. Zusätzlich soll der Bund ein Darlehen zur Verfügung stellen, das dieses Jahr bei 12 Milliarden Euro liegt und danach jährlich um drei Prozent ansteigt. Das Geld soll gewinnbringend am Kapitalmarkt angelegt und ab 2036 an die Rentenversicherung ausgeschüttet werden. Das ergibt jährlich 10 Milliarden Euro, hofft die Bundesregierung.
Diese Regel findet der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer schlecht. Er lehnt es ab, mit dem Geld der Bundesbürger zu zocken. Die Vorsitzende der Jungen Liberalen Franziska Brandmann lehnt die Idee auch ab, allerdings weil sie ihr nicht weit genug geht. Sie möchte, dass die Steuerzahler entscheiden können, wie hoch der individuelle Betrag ist, mit dem an der Börse spekuliert wird. Auch Hermann-Josef Tenhagen, der Chefredakteur von "Finanztipp", kann einer teilweise durch Spekulationen finanzierten Rente etwas abgewinnen. Angst vor einem möglichen Börsencrash haben er und Brandmann offenbar nicht.
Die Junge Liberale hat allerdings tatsächlich eine ernstzunehmende Sorge: Das bisherige Rentensystem funktioniere wegen des demografischen Wandels nicht mehr. "Deswegen glaube ich, dass wir die Rente unbedingt reformieren müssen", sagt sie.
Etwas ändern will auch Philipp Türmer: "Es wäre schön, wenn Ihr von der FDP dabei wärt, wenn es um 15 Euro Mindestlohn geht, wenn es darum geht, die Leute besserzustellen."
Die Tafeln
Die Erhöhung des Mindestlohns kommt vor allem den Arbeitnehmern zugute, die wenig verdienen. Für Menschen, die aktuell in Rente sind und jeden Cent zweimal umdrehen müssen, dürfte sie keine Lösung sein. Menschen, mit denen Sirkka Jendis fast täglich zu tun hat. Sie ist Geschäftsführerin der Tafel Deutschland. Und immer mehr ältere Menschen müssen wöchentlich die Tafeln in ganz Deutschland nutzen, um sich dort Lebensmittel abzuholen. Sonst kämen sie nicht über die Runden.
975 Tafeln, so viele gibt es in Deutschland. Und viele von ihnen sind am Limit. Sie würden gerne neue Kunden aufnehmen, doch es geht nicht. Mehr als 30 Prozent aller Tafeln haben Wartelisten oder temporäre Aufnahmestopps, sagt Jendis. Ein Viertel der Menschen, die dort mit Lebensmitteln versorgt werden, sind Rentner. 60.000 Aktive helfen ihnen, davon gut 95 Prozent ehrenamtlich.
"Was die Tafeln machen, finde ich grandios", sagt Georg Kofler. Der 67-jährige Unternehmer gehörte jahrelang zu den Investoren der Gründer-Show "Die Höhle der Löwen" bei Vox. "Ich habe allen Respekt davor, dass sich da so viele Menschen einbringen und anderen Menschen helfen. Sehr viel sinnvollere Beiträge kann man der Gesellschaft nicht liefern." Kofler denkt noch lange nicht an Rente. Würde sein Arzt sagen, er habe nur noch eine Woche zu leben, dann vielleicht.
Kofler hat sich die Rentenpläne der Ampel-Koalition angeschaut. "Versetzung gefährdet", sagt er darüber. Die jetzige umlagefinanzierte Rente sei nicht finanzierbar, doch das neue Rentenpaket der Bundesregierung auch nicht, solange sie nicht dafür sorge, dass die Wirtschaft in Deutschland wieder auf die Beine käme. Kofler kritisiert, dass die Ausgaben für das neue Rentenpaket nicht gegenfinanziert sind. "Einen Unternehmer, der mir so was gibt, würde ich als Investor noch mal nach Hause zum Nachdenken schicken."
Türmer will Kapitaleinkommen heranziehen
Philipp Türmer hat da einige Vorschläge. Die Rente werde nur von den Arbeitseinkommen getragen, sagt er. "Bei Kapitaleinkommen wird überhaupt nichts abgeführt, um die Rente abzufedern." Was er meint, sind etwa Gewinne aus Aktien. Auf viel Gegenliebe bei Georg Kofler und Franziska Brandmann stößt er mit seinem Vorschlag nicht. Und auch nicht mit der Idee, dass in Zukunft auch Beamte in die Rentenversicherung einzahlen sollen. Brandmann: "Ihr habt ein System, das in eine Schieflage geraten ist und nicht funktioniert, weil die Leute immer älter werden, und was sagt Ihr, dass wir jetzt brauchen? Mehr Menschen, die Rente empfangen." Dadurch würde das Rentensystem nicht stabilisiert. "Ganz ehrlich: Ich finde diesen Vorschlag scheiße. Aber wenn das mein einziger Vorschlag wäre, um die Rente zu stabilisieren, würde ich den auch machen. Aus Verzweiflung."
Noch in diesem Jahr soll das neue Rentenpaket im Bundestag beschlossen werden. Bei "Hart aber fair" sind einige der Probleme benannt worden. Aber eine wirkliche Antwort auf die Gretchenfrage blieb aus: Wie sollen arme Menschen ohne erwartbares Erbe und gut bezahlten Job im Alter menschenwürdig leben können, ohne dabei die jungen Arbeitnehmer allzu sehr zu belasten?
Quelle: ntv.de