Der Kriegstag im Überblick Kiew meldet russische Geländegewinne - Schweden und Finnland streben in NATO
15.05.2022, 21:06 Uhr
Ukrainisches Militär räumt im Osten des Landes Gewinne für Russland ein.
(Foto: picture alliance / AA)
Russische Truppen rücken nach Angaben der Ukraine im Osten des Landes vor. Auf das besetzte Asow-Stahlwerk fallen nach dem ukrainischen ESC-Sieg offenbar Phosphorbomben. Ein NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands rückt näher. Der 81. Kriegstag im Überblick.
Ukraine meldet Phosphorbomben nach ESC-Sieg
Die Frontlinie im ostukrainischen Donbass hat sich zugunsten von Russland verschoben. Das geht aus Angaben des ukrainischen Militärs hervor. Russische Kräfte seien demnach an einigen Stellen vorgerückt. Es wird zudem erwartet, dass Russland in Isjum Streitkräfte zusammenzieht. Die Ukraine hat hier nach eigenen Angaben eine Gegenoffensive gestartet, die teilweise Erfolg habe.
In der Hafenstadt Mariupol wurde nach ukrainischen Angaben das Asow-Stahlwerk mit Phosphorbomben beschossen. "Die Hölle ist auf die Erde gekommen. Zu Asowstal", schrieb der Mariupoler Stadtratsabgeordnete Petro Andrjuschtschenko auf Telegram. Solche Brandbomben entzünden sich durch Kontakt mit Sauerstoff und richten verheerende Schäden an, ihr Einsatz ist verboten. Der Kommandeur der Donezker Separatistenbrigade "Wostok", Alexander Chodakowski, und russische Kriegskorrespondenten wiederum berichteten von Angriffen mit Brandraketen. Beide Seiten veröffentlichten ein Video mit Luftaufnahmen, auf denen ein Feuerregen zu sehen ist, der auf das Werk niedergeht. Andrjuschtschenko veröffentlichte zudem Bilder, die Aufschriften auf Bomben zeigen. Demnach soll das russische Militär damit auf den Sieg der Ukraine beim Eurovision Song Contest (ESC) reagiert haben.
Mehrere Ehefrauen der letzten dort verschanzten Kämpfer schilderten derweil in einem Interview katastrophale Zustände in Asowstal. Pro Person gebe es nur noch ein Glas Wasser am Tag, sagte eine der Frauen. Sie und die anderen forderten einmal mehr eine Evakuierung aller verschanzten Kämpfer - zuerst der Schwerverletzten unter ihnen. Deren Situation sei "schrecklich": Manchen fehlten Arme oder Beine, es gebe kaum noch Medikamente oder Betäubungsmittel.
Erstmals seit einigen Tagen wurde auch wieder im Westen des Landes militärische Infrastruktur beschossen. Über Tote oder Verletzte wurde zunächst nichts bekannt, wie der Chef der ukrainischen Militärverwaltung, Maxym Kosyzkyj, auf Telegram mitteilte. Das Ausmaß der Zerstörung werde untersucht. Ein Objekt nahe Jaworiw - vermutlich um den dortigen Truppenübungsplatz herum - soll komplett zerstört sein. Es war demnach das erste Mal seit etwa einer Woche, dass es Luftalarm in der Region Lwiw nahe der polnischen Grenze gab. Im Lagebericht des russischen Militärs gab es dazu zunächst keine Angaben.
Stoltenberg hält Sieg der Ukraine für möglich
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält eine Niederlage Russlands im Krieg gegen die Ukraine für möglich. "Die Ukraine kann diesen Krieg gewinnen", sagte der Norweger nach den Beratungen in Berlin. Der Krieg in der Ukraine verlaufe für Moskau nicht wie geplant. So sei die Offensive im Donbass ins Stocken geraten und die Russen zögen sich aus der Gegend um Charkiw zurück. Zudem sei die geplante Eroberung Kiews gescheitert. "Russland erreicht seine strategischen Ziele nicht", ergänzte Stoltenberg. Die Ukraine stehe noch immer, und die NATO sei stärker denn je.
Auch britische Militärgeheimdienste sehen Russlands Offensive im Donbass im Osten der Ukraine weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan. "Unter den derzeitigen Bedingungen ist es unwahrscheinlich, dass Russland seinen Vorstoß in den kommenden 30 Tagen dramatisch beschleunigen kann", hieß es in einem Lagebericht. Möglicherweise habe Russland rund ein Drittel der im Februar für die Invasion aufgestellten Bodentruppen verloren. "Trotz kleiner anfänglicher Vorstöße hat Russland in den vergangenen Monaten keine substanziellen Territorialgewinne verzeichnet, während es kontinuierlich hohe Verluste hinnehmen musste."
Schweden und Finnland streben in die NATO
Unterdessen kamen Finnland und Schweden bei ihrem Vorhaben einer NATO-Mitgliedschaft voran. In Stockholm sprachen sich die regierenden Sozialdemokraten für einen entsprechenden Antrag aus. Es wird erwartet, dass das Parlament dem folgt. In Helsinki erklärte Präsident Sauli Niinistö offiziell, sein Land werde einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Er habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin am Samstag über seine Entscheidung unterrichtet. Die Regierung in Moskau kündigte an, bei einer NATO-Mitgliedschaft beider Länder Vergeltung üben zu wollen. Konkrete Schritte nannte Russland aber nicht. Niinisto sagte dem US-Sender CNN, in seinem jüngsten Gespräch mit Putin habe es keine Drohungen gegeben. "Insgesamt war die Diskussion aber, wie soll ich sagen, sehr ruhig und kühl."
US-Außenminister Antony Blinken sagte nach einem NATO-Treffen in Berlin, er gehe trotz kritischer Töne der Türkei von einem baldigen Beitritt der beiden Länder aus. Es gebe dafür breite Unterstützung in der NATO und noch weitere Gespräche der Türkei mit den beiden skandinavischen Staaten. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier einen Konsens finden werden." Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und NATO-Generalsekretär Stoltenberg betonten, dass beide Länder in der Übergangszeit bis zum abgeschlossenen Beitrittsprozess Sicherheitsgarantien erhielten.
Die Türkei hatte sich am Wochenende skeptisch gezeigt. Sie kritisiert vor allem die beiden Länder seit Jahren für deren Umgang mit Organisationen, die von der Türkei als terroristisch eingestuft werden, darunter die militante Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und die Bewegung des islamischen Geistlichen Fethullah Gülen.
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Quelle: ntv.de, chf/rts/dpa